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Luftverschmutzung
Qualität der Luft wichtiger für Genaktivität als eigenes Erbgut

Stickoxide, Ozon oder Feinstaub in der Luft machen Menschen nachweislich krank. Krankheiten werden aber auch durch die individuelle genetische Ausstattung beeinflusst. Eine Studie aus Kanada zeigt nun: Für die Gesundheit ist es weniger wichtig, wo man genetisch herkommt, entscheidend ist, wo man aktuell lebt. 

Von Volkart Wildermuth |
    Dichter Straßenverkehr auf dem Mittleren Ring in München
    Schlechte Luft beeinflusst die Genaktivität mehr als das eigene Erbgut, sagen Forscher aus Kanada (imago / Simon)
    Wer sich für die Beziehungen zwischen Genen, Umweltfaktoren und Krankheiten interessiert, der versinkt schnell in einem unübersichtlichen Sumpf aus Daten. Deshalb untersuchen Bioinformatiker wie Philip Awadalla gerne vergleichsweise übersichtliche Gruppen.
    "Quebec hat natürlich eine sehr kosmopolitische Bevölkerung, aber wir haben die Dinge einfach gehalten, indem wir uns auf die Frankokanadier konzentriert haben, die sind genetisch ziemlich einheitlich."
    Lebensort ist entschiedend für die Genaktivität
    Denn sie alle stammen von Franzosen ab, die vor gut 400 Jahren nach Kanada ausgewandet sind. Im Rahmen eines Projektes namens " Kanadas Partnerschaft für die Zukunft" haben sich die Forscher am Ontario Institut für Krebsforschung in Toronto das Genom von rund 1.000 Frankokanadiern angesehen. Ob ein Mensch krank wird, hängt aber nicht allein vom Erbgut ab. Wichtig ist zum Beispiel auch, welche Gene, an- oder abgeschaltet sind. Überaktive Entzündungsgene beispielsweise schädigen die Adern und das begünstigt wiederum Herz-Kreislaufleiden. Diese Muster der Genaktivität haben die kanadischen Forscher im Blut bestimmt und mit den Erbgutdaten verglichen. Auf beiden Ebenen gab es deutliche Unterschiede zwischen Leuten, die aus Montreal im Süden stammen, aus der Stadt Quebec oder der eher ländlichen Region um den Lac Saint-Jean.
    Philip Awadalla: "Da dachten wir zuerst: klar, die DNA bestimmt, wie aktiv die Gene sind. Aber das Schöne an unserer Studie ist: wenn jemand heute zum Beispiel in Montreal lebt, können wir sagen, ob seine Vorfahren ebenfalls aus Montreal stammen oder ob sie vielleicht ursprünglich aus dem Norden von Quebec kommen. Wir können fragen: was ist hier wichtiger, die genetische Herkunft oder die aktuelle Umwelt? Und die Antwort lautet: wo man lebt, ist entscheidend für die Genaktivität. Die Herkunft spielt auch eine Rolle, aber die Umwelt dominiert."
    Entscheidend ist die Luftverschmutzung
    Hinter dem Begriff Umwelt kann sich in Studien alles Mögliche verbergen: deshalb haben sich Philip Awadalla und seine Kollegen die Lebensbedingungen in Quebec sehr genau angesehen. Für jedes Stadtviertel, für jede Siedlung listeten sie auf, wie grün die Umgebung ist, wie hoch das Durchschnittseinkommen liegt, ob die Ernährung gut ist und wie es dort um die Luftqualität bestellt ist.
    "Und als wir all diese Daten mit den Mustern der Genaktivität verglichen, zeigte sich: entscheidend ist die Luftverschmutzung. Also Stickstoffdioxid, Schwefeldioxid, Feinstaub und so weiter."
    Zumindest im genetisch und sozial relativ homogenen Quebec. Entscheidend ist die direkte Wohnumgebung, das zeigt die feinmaschige Analyse. Generell ist die Region um den Lac Saint-Jean naturnah, aber es gibt dort auch Aluminiumwerke. Wer in deren Nähe wohnt, leidet unter der lokalen Luftverschmutzung, egal wie grün die Wälder etwas weiter weg sind. Stickoxide, Schwefeldioxid, Feinstaub und Ozon verschieben die Mustern der Genaktivität und das wiederum führte tatsächlich auch zu einem gehäuften Auftreten von Asthma und anderen Lugenleiden, sowie von Schlaganfällen und generell Herz-Kreislaufproblemen. Die Umweltforscherin Prof. Annette Peters, ist von den neuen Ergebnissen aus Kanada nicht überrascht.
    "Aus meiner Sicht bestätigt die Studie, was wir zurzeit in Deutschland zu den Luftschadstoffen diskutieren. Das Besondere ist ja, dass die Autoren zeigen konnten, dass die auch auf der Ebene unserer genetischen Regulation unmittelbare Auswirkungen auftreten, die man eben dem Luftschadstoffgemisch zuschreiben kann und damit ist es auch für Diskussionen, die wir in Deutschland haben, aus meiner Sicht sehr relevant."
    70 Prozent der Krankheitslastgeht auf Umweltfaktoren zurück
    Die Direktorin des Institutes für Epidemiologie am Helmholtz-Zentrum München leitet selbst Studien zu den verschiedenen Ursachen von Krankheiten. Sie schätzt, dass etwa 70 Prozent der Krankheitslast in der Bevölkerung auf Umweltfaktoren zurückgeht und nur 30 Prozent auf die Gene. Da könnte der Eindruck entstehen, das Erbgut ist gar nicht so wichtig. Große Studien wie die aus Quebec oder in Deutschland die NAKO Gesundheitsstudie müssten sich gar nicht die Mühe machen, das Genom von Tausenden von Menschen zu sequenzieren. Doch Philip Awadalla betont, dass auch die DNA vielleicht nicht die Hauptrolle spielt, es durchaus wichtige Genvarianten gibt, die zum Beispiel die Einflüsse der Umwelt auf die Aktivität des Erbgutes vermitteln. Das sieht Annette Peters ähnlich.
    "Wenn wir die breite Bevölkerung vor den Luftschadstoffen schützen wollen, dann brauchen wir nicht die Gene zu charakterisieren. Wenn wir aber neue Medikamente entwickeln wollen und neue Wege zu finden, die Krankheiten dann zu heilen, dafür sind die Gene sehr, sehr wertvoll."
    Der Wert der Studie für die Forscher liegt in den vielen Details zu den Wegen, über die Schadstoffe die Gesundheit schädigen. Auf der politischen Ebene ist die Interpretation einfacher: für ein gesundes Leben ist saubere Luft entscheidend.