Mittwoch, 24. April 2024

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Luftverschmutzung
Smog in der Stadt

Stadtluft macht frei? Mitnichten. Heutzutage macht Stadtluft vor allem eines: krank. Feinstaub, Stickoxide und Ozon belasten Lunge, Herz und Kreislauf. Forscher schätzen, dass weltweit rund drei Millionen Menschen pro Jahr vorzeitig an den Folgen der Luftverschmutzung sterben.

Moderation: Arndt Reuning | 19.03.2017
    Dicke Luft überm Stuttgarter Kessel. Seit Tagen gilt Feinstaubalarm, doch die Werte gehen nicht zurueck. Autofahrer werden weiterhin gebeten, freiwillig auf OePNV umzusteigen. Zudem soll auf Komfortkamine verzichtet werden.
    Ob London, Delhi, Los Angeles oder Stuttgart (im Bild): Smog vernebelt die Metropolen überall auf der Welt. (imago / Arnulf Hettrich)
    Der Großteil der urbanen Gebiete erfüllt nicht die Richtlinien der WHO zur Luftqualität. Ob London, Delhi oder Los Angeles: Smog vernebelt die Metropolen überall auf der Welt. Nur die Ursachen für den Schmutz unterscheiden sich von Stadt zu Stadt.
    Und so müssen auch die Lösungen individuell zugeschnitten werden – von der Abgas schluckenden Mooswand bis hin zu den ungeliebten Fahrverboten. Doch allen Einzelmaßnahmen zum Trotz: Das Problem dürfte sich in Zukunft noch verschärfen, denn eine Patentlösung ist nicht in Sicht.

    Londoner Cab in der Oxford Street.
    Londoner Cab in der Oxford Street. (picture alliance / dpa / Daniel Kalker)
    London: Wo Smog Tradition hat
    Von Friedbert Meurer
    Smog vernebelt Metropolen überall auf der Welt. Doch in einer Stadt gehört der Smog zur Tradition: London. Dort gibt es ihn bereits seit der Zeit von Königin Viktoria.
    Im laufenden Jahr 2017 waren keine fünf Tage vergangen, da war an einigen Messstationen entlang viel befahrener Straßen das zulässige Jahreslimit an Stickstoffdioxid-Ausstoß schon erreicht. Zum Beispiel an der Putney High Street im Londoner Westen. Sie war 2016 mit einem Jahresmittelwert von 120 Mikrogramm die schmutzigste Straße Londons. Erlaubt sind nur 40 Mikrogramm. Unter den Top Ten der Stadtteile mit der schlechtesten Luft befinden sich Westminster (100 Mikrogramm), Chelsea (85) und der Finanzdistrikt der City mit über 90 Mikrogramm Stickstoffdioxid.
    Londons Bürgermeister Sadiq Kahn hat den Dreckschleudern den Kampf angesagt, also allen Fahrzeugen mit Dieselmotor. Ab Oktober müssen Fahrzeuge, die die EU-Abgasvorschriften nicht erfüllen, 10 Pfund pro Tag bezahlen, knapp 12 Euro, wenn sie in die Stadt wollen. Zusätzlich zur City-Maut, versteht sich, die beträgt schon jetzt werktags 13 Euro. "Transport for London", die Verkehrsbetriebe, sollen keine neuen Diesel- Busse mehr anschaffen.
    Auch ein Viertel aller Schulen Londons liegt in kritischen Zonen mit unzulässig hoher Luftverschmutzung. Mitte Januar war die Partikelmenge in der Luft im Südlondoner Stadtteil Brixton sogar höher als in Peking. In London sterben geschätzt 4000 Menschen pro Jahr an den Folgen der Luftverschmutzung. Die 8,5 Millionen Einwohner-Metropole erstickt in ihrem Verkehr.
    Paris liegt unter einer Smog-Glocke.
    Paris liegt unter einer Smog-Glocke. (dpa/picture-alliance/Olivier Arandel)
    Paris: Stadt der Liebe und der Fahrverbote
    Von Jürgen König
    Smogalarm wurde in Paris früher eher selten ausgerufen. Doch seit 2014 regiert Rot-Grün unter Bürgermeisterin Anne Hidalgo - sie nimmt den Umweltschutz ernst, will den Autoverkehr drastisch reduzieren. Wegen der hohen Feinstaub-Belastung hat die Pariser Stadtverwaltung vor allem dem Diesel den Kampf angesagt: Bis 2020 will Anne Hidalgo alle Dieselfahrzeuge, also auch Neuwagen, aus der Stadt verbannen. Seit dem 1. Januar sind Schadstoff-Vignetten vorgeschrieben: Bei Feinstaubalarm, der in den letzten Wochen schon mehrmals ausgerufen wurde, dürfen Diesel-Autos der Schadstoffklasse Euro-2 in Paris nicht mehr fahren. Eingeschränkte Fahrverbote für alle Autos, die vor 1997 zugelassen wurden, gibt es schon seit letztem Sommer.

    Wie ungesund ist Feinstaub?
    Schweizer Forscher in der Räucherkammer
    Von Sabine Goldhahn
    Luftverschmutzung in Städten und Ballungsgebieten. Ein globales Problem mit vielen verschiedenen Ursachen. Was die Folgen für die menschliche Gesundheit angeht, besteht allerdings noch Forschungsbedarf. Gerade beim Feinstaub, denn der ist ja üblicherweise ein sehr inhomogenes Gemisch. Schweizer Forscher haben eine Art Räucherkammer entwickelt, um der Sache auf den Grund zu gehen.
    Das Wetter auf der Fahrt nach Villigen in der Schweiz passt zum Thema Smog, denn dicker grauer Nebel hängt über den Dörfern und Feldern am Oberrhein. Aus den Schornsteinen vieler Häuser steigt an diesem kalten Spätwintertag grau-weißer Rauch empor und an Sonne braucht man heute kaum zu denken. Gemütlicher ist es hingegen in der Smogkammer des Paul Scherrer Instituts. In dem containergroßen Holzbau im Inneren einer Experimentierhalle ist es warm und trocken, am Eingang stehen Pantoffeln. Hier erzeugen die Forscher absichtlich Feinstaub und untersuchen unter genau definierten Bedingungen, was damit in der Luft passiert. Simone Pieber vom Labor für Atmosphärenchemie:
    "Die Kammer ist innen sehr rein gehalten. Um Verschmutzungen zu vermeiden, müssen wir jetzt unsere Pantoffeln anziehen, bevor wir reingehen. Sie sehen, hier ist ein großer Teflonsack, das kann man sich vorstellen wie einen großen Ballon, der von außen abgeschlossen ist, und wir sehen da sehr viele Leitungen, die in die Mitte der Kammer führen, diese verwenden wir einerseits, um die Emissionen in die Kammer zu injizieren und dann unsere Proben zu den Instrumenten zu leiten."
    Mit Emissionen meint die Chemikerin beispielsweise Autoabgase oder Rauch aus einer Holzfeuerung. So steht je nach Versuch entweder ein Auto mit laufendem Motor vor der Experimentierhalle, oder in einem Außenkamin brennt ein Feuer. Ein Teil der Schadstoffemissionen wird dann über beheizte Rohre und ein Verdünnungssystem direkt in den 30 Kubikmeter großen, durchsichtigen Teflonsack in der Smogkammer geleitet. Dort treffen sie auf absolut reine Luft, erklärt Pieber:
    "Von hier kommt die reine Luft, sie ist schon befeuchtet, und das ist wichtig, weil wir die Emissionen in der Kammer verdünnen wollen, um die Experimente bei Außenluftbedingungen durchführen zu können."
    Außenluftbedingungen. Das ist für Smogforscher besonders wichtig, denn nur der kleinere Teil des Feinstaubs entsteht direkt als Partikel an der Quelle, zum Beispiel am Holzfeuer. Der größere Teil ist der sekundäre Feinstaub, der sich erst in der Atmosphäre bildet. Zum Beispiel, indem flüchtige chemische Stoffe aus den Abgasen miteinander oder mit anderen Molekülen in der Luft reagieren und zusammenklumpen oder sich auf bestehenden Feinstaubteilchen ablagern. Auch durch die Wirkung des Sonnenlichts können sie sich über mehrere Tage hinweg chemisch verändern. Die Forscher sprechen dabei vom Altern des Feinstaubs und achten deshalb auch in der Smogkammer auf den Faktor Licht. Auf Knopfdruck wird es dort Tag oder Nacht. Pieber:
    "Wir haben hier am Boden der Kammer Sets von Solariumlampen, die uns UV-Licht simulieren, dann haben wir hier rechts oben die Lampen für das sichtbare Licht, das dann von den Aluminiumwänden auf die Kammer reflektiert wird, um eine homogene Lichteinstrahlung auf die Kammer zu erzeugen."
    "Feinstaub ist nicht gleich Feinstaub"
    Genau simuliertes Sonnenlicht, reine Luft, Temperatur nach Wunsch und die richtige Schadstoffquelle - so natürlich wie möglich und doch genauestens kontrolliert. Am Ende solch eines Experiments entsteht ein komplexer Feinstaub-Mix, den die Forscher mithilfe modernster Massenspektrometer in Echtzeit analysieren. Urs Baltensperger, Leiter des Labors für Atmosphärenchemie:
    "Feinstaub ist nicht gleich Feinstaub. Es gibt ganz unterschiedliche Arten von Feinstaub und je nach der chemischen Zusammensetzung dieses Feinstaubs sind die gesundheitlichen Auswirkungen auch durchaus sehr unterschiedlich."
    Zwar hat die Lunge ein gut ausgebildetes Reinigungssystem, um den eingeatmeten Feinstaub möglichst unwirksam zu machen und wieder loszuwerden, doch diese Abwehrfunktion reicht nicht immer.
    "Die Wirkungsmechanismen, also wie dieser Feinstaub jetzt wirklich seine Toxizität entwickelt, diese Mechanismen, die sind noch sehr, sehr unerforscht, wir haben deshalb dazu auch Experimente durchgeführt, indem wir diesen Feinstaub, den wir einerseits aus einer bestimmten Quelle nehmen und andererseits in der Smogkammer altern lassen, auf lebende Lungenzellen appliziert haben", erklärt Baltensperger.
    In einem aufwendigen Experiment haben die Forscher gemeinsam mit Medizinern untersucht, welche Wirkung sekundärer Feinstaub aus Euro-5 Benzinmotoren auf Lungengewebe hat. Dazu haben sie die Autoabgase erst in die Smogkammer geblasen und dort den Einfluss der Atmosphäre simuliert. Die dabei entstandenen, sekundären Feinstaubpartikel haben sie schließlich auf vier verschiedene Zellkulturen geleitet, die sowohl gesunde als auch kranke Zellen aus den Atemwegen enthielten. Das Ergebnis: Bei allen Zellkulturen kam es in Abhängigkeit von der Partikeldosis zu mehr Zelltod. Hinzu kommt, dass sich auch die Menge verschiedener wichtiger Entzündungsstoffe änderte. Vor allem in den durch Krankheit vorgeschädigten Lungenzellen, so Baltensperger: "Es gibt keinen eigentlichen Schwellenwert, unter dem die Feinstaubkonzentration nicht gesundheitsschädlich wäre."
    Daher muss man nach Ansicht des Forschers alles technisch Mögliche tun, um den Feinstaub zu reduzieren.

    Karlsruhe
    Unterwegs mit der Aerotram
    Von Arndt Reuning
    Luftschadstoffe verteilen sich ungleichmäßig über ein Stadtgebiet. Gemessen wird üblicherweise nur an einzelnen, fest installierten Punkten. Um ein umfassendes Bild zu erhalten, haben Forscher am Karlsruher Institut für Technologie, KIT, ein Messgerät auf Reisen geschickt - quer durch die Stadt, immer wieder hin und zurück, über Jahre hinweg. So haben sie ein sehr genaues Schadstoffprofil aufzeichnen können entlang der Linien S11 und S2. Denn das Gerät befand sich an Bord einer Straßenbahn. Ich habe mich mit dem Leiter des Projekts getroffen, mit Dr. Bernhard Vogel vom KIT - und zwar in Karlsruhe am Hauptbahnhof. Dort hat er mir erklärt, wie die "Aerotram" funktioniert:
    "Um die Messungen durchzuführen, musste die Bahn umgerüstet werden. Wir haben ein Messmodul auf dem Dach der Straßenbahn installiert. Es musste ein eigener Einlass konstruiert werden. Und das sah so ein bisschen aus wie ein Kanonenrohr oder ein Ofenrohr. Weswegen es die Karlsruher auch manchmal als die Bahn mit dem Ofenrohr bezeichnet haben."
    Direkt vor dem Bahnhof laufen die Straßenbahngleise entlang. Von hier aus kann man weit bis ins Umland gelangen.
    "Ja, das ist das Besondere an dem Straßenbahnsystem in Karlsruhe, was uns auch zu unserem Messexperiment am Ende bewogen hat: Dass eben die Straßenbahnen in Karlsruhe nicht bloß im Stadtgebiet verkehren, sondern auch weit bis in das Umland fahren. Wir durchfahren also mit unserer Messstraßenbahn Regionen, die ganz unterschiedliche Emissionsverhältnisse und somit auch Belastungsverhältnisse aufweisen."
    Als die S11 kommt, steigen wir ein und suchen uns einen Platz am Fenster.
    "Wir haben NO, NO2, also Stickoxide, gemessen. Wir haben Ozon gemessen. CO,CO2. Das waren die Gase, die wir beobachtet haben. Außerdem haben wir uns insbesondere für Aerosol interessiert, was man auch als Feinstaub kennt."
    Nach kurzer Zeit biegt die Bahn Richtung Norden ab.
    "Ja, wir fahren jetzt in Richtung des Theaters auf einer der Strahlen von Karlsruhe. Und danach werden wir abbiegen in Richtung Innenstadt."
    Links und rechts von uns rollen die Autos vorbei.
    "Es ist so, dass bei bestimmten Schadstoffen dort, wo die hohen Fahrzeugdichten sind, auch die höchsten Konzentrationen auftreten. Das trifft zum Beispiel für Stickoxide zu, das trifft auch für die Partikelanzahlkonzentration zu. Hier im Stadtbereich selbst sind die Konzentrationsunterschiede zunächst einmal gar nicht so groß, außer an Kreuzungsstellen. Dort, wo eben eine hohe Verkehrsdichte vorliegt."
    Am Kronenplatz fährt die Bahn eine weite Linkskurve.
    "Jetzt biegen wir ein in die Kaiserstraße, die Haupteinkaufsstraße von Karlsruhe und somit auch den Fußgängerzonenbereich."
    "Nun ist es so, dass hier eine der wesentlichen Quellen für Aerosolpartikel wegfällt, nämlich der Straßenverkehr. Und dadurch gehen natürlich auch die Konzentrationen zurück - von Stickoxiden und auch von Aerosolpartikeln. Es ist aber nicht so, dass das dann auf null zurückgehen würde, sondern aus der Umgebung wird weiterhin Umgebungsaerosol herbei advektiert. Aber dadurch, dass die Quellen fehlen, geht es lokal zunächst einmal zurück."
    Feinstaub ohne Verbrennungsmotoren - durch Straßenbahnen
    Wir rollen vorbei am Marktplatz mit der Pyramide. Auch ohne Verbrennungsmotoren entsteht hier Feinstaub, erklärt Bernhard Vogel. Zum Beispiel durch die Straßenbahn: Abrieb von den Bremsen etwa und vom Stromabnehmer.
    "Denn dieser Stromabnehmer, der ist ja mit Kohle beschichtet, diese wird abgerieben. Und das ist auch nichts anderes als Feinstaub. Wenn man sich Straßenbahnen von oben anschaut, wird man auch sehen, dass die meisten schwarz sind. Oder verdreckt sind. Das ist eben der Abrieb des Stromabnehmers."
    Wir fahren vorbei am Mühlburger Tor. Was ist Luftqualität angeht, ist das der Hotspot in Karlsruhe. Denn dort treffen wichtige Verkehrsachsen aufeinander.
    "Ja, wir sind jetzt an der Haltestelle Yorckstraße, haben die gerade verlassen. Jetzt biegt die Bahn ab in Richtung Norden. Und damit beginnt quasi die Fahrtstrecke, die jetzt die Stadt verlässt und sich ins Umland begibt."
    "Mit dem Verlassen des Stadtgebietes nehmen die Konzentrationen der Schadstoffe erwartungsgemäß ab, zeigen somit eigentlich ein Verhalten, wie man es wahrscheinlich erwartet hätte."
    Dann aber, bereits im ländlichen Gebiet nördlich der Stadt, steigen die Feinstaubwerte erneut an und sinken dann wieder ab. Für Bernhard Vogel und seine Kollegen war das zunächst eine Überraschung.
    "Wir befinden uns also jetzt an einer Stelle zwischen Leopoldhafen und Linkenheim. Das sind sehr kleine Ortschaften nur. Selbst würden Sie wahrscheinlich sagen aus der Erfahrung: Nee, da würde ich jetzt keine hohen Konzentrationen von Luftbeimengungen erwarten. Dennoch haben wir sie gefunden und durch unsere Messungen belegt. Wir konnten auch sehr schön sehen, dass das nur dann vorhanden ist, dieses Maximum, wenn der Wind aus südwestlicher Richtung kommt. Das heißt, das gibt auch schon einen Aufschluss, wo sich diese Quellen für dieses Maximum höchstwahrscheinlich befinden."
    Denn Richtung Südwesten befindet sich ein Industriegebiet mit Raffinerieanlange, vermutlich die Quelle der Partikel.
    "Es sind also Partikel, die in größerer Höhe emittiert werden über Kamine und dann außerhalb der Stadt Karlsruhe eben an diesem Punkt, wo wir die hohen Konzentrationen gefunden haben, erst den Boden berühren."
    Und damit geht unsere Fahrt quer durch die Dunstglocke von Karlsruhe auch schon wieder zu Ende.
    Autos fahren am 09.03.2016 in Stuttgart (Baden-Württemberg) durch die Innenstadt, während auf einer Anzeige ein Feinstaub-Alarm für die Umweltzone Stuttgart angezeigt und auf öffentliche Verkehrsmittel hingewiesen wird.
    Feinstaub-Alarm im Stuttgart 2016 (picture-alliance/ dpa/ Marijan Murat)
    Im Talkessel
    Stuttgart, die deutsche Feinstaub-Hauptstadt
    Von Leonie Seng
    Von Karlsruhe nun nach Stuttgart. Die Stadt im Talkessel ist die deutsche Feinstaub-Hauptstadt. Ab dem Jahr 2018 soll es dort ein Fahrverbot für viele Dieselfahrzeuge geben. Für alle, die die Abgasnorm Euro-6 nicht erfüllen. Das ist nur eine Maßnahme von vielen, mit der die Stadt ihre Luftqualität verbessern will. Bereits jetzt schon stellt sie Wände auf, die die Schadstoffe binden sollen. Wände aus Moos.
    Moose können Mikropartikel aus der Luft elektrostatisch anziehen, verdauen oder in ihre Blattstruktur einschließen. 2007 wiesen Bonner Biologen diesen Effekt im Labor mit mineralischen Partikeln nach und entwickelten die These, dass Moose sich auch zum Abbau von Feinstaub eignen könnten. In weiteren Laborversuchen wurde inzwischen gezeigt, dass die Pflanzen mit der enormen Blattoberfläche tatsächlich sämtliche, auch schädliche, Partikel aus der Luft aufnehmen können wie Ruß, Abrieb von Bremsbelägen oder die hauptsächlich durch Landwirtschaft entstehenden Ammoniumsalze. Dies nun nachzuweisen hat sich ein Stuttgarter Team nun vorgenommen. Darunter auch Jan Knippers, Leiter des Instituts für Tragkonstruktion an der Fakultät für Architektur und Stadtplanung der Universität Stuttgart. Er zeigt mir vor Ort die drei Meter hohe Wand, die einmal 100 Meter lang werden soll. Etwa 20 Meter stehen bereits:
    "Also hier sieht man die gewellte Lärmschutzwand, die seit den 70er-Jahren die Straße vom Park trennt. Und dort hinten sieht man diese Mooswand, die in ihrer Kontur möglichst genau dieser Lärmschutzwand folgt, um eben diese Vergleichsmessungen durchführen zu können: Vor der Mooswand und neben der Mooswand. Im Moment sieht man nur die Aluminiumplatten, die gerade montiert werden und dann kommen in den nächsten Tagen die Moosmatten drauf."
    Am Straßenrand der B14 werden die Mooswände aufgestellt
    Nahe dem Neckartor, am Straßenrand der B14 werden die Mooswände derzeit aufgestellt - insgesamt eine Fläche von 500 Quadratmetern. Jan Knippers:
    "Es geht schon darum, eine richtige signifikante Fläche zu installieren, damit überhaupt ein Effekt messbar ist. Ja, weil, wenn man dem nicht eine gewisse Größe gibt, dann wird man auch nichts messen können.
    Und das ist ja auch der Unterschied zu diesen ganzen anderen Projekten, die immer so kleinräumig und kleinteilig sind. Da kann man nicht viel erwarten. Mann muss schon mit einer gewissen Fläche operieren.
    Ansonsten sieht man hier da vorne, das ist so ein Partikelmessgerät, das sammelt also den Feinstaub auf und hinterher kann er dann ausgewertet werden. In welchen Größen und vor allem auch in welcher Anzahl die Partikel auftauchen."
    Im Gegensatz zu anderen Begrünungsprojekten, die in europäischen Hauptstädten bereits realisiert wurden, ist das Ziel der Stuttgarter Forscher, zunächst einmal die Wirksamkeit der Moose außerhalb des Labors nachzuweisen. Jan Knippers betont:
    "Es geht bei dieser Mooswand um eine Messeinrichtung. Das ist kein architektonisches Konstrukt, sondern es geht um die Messung und das ist ein wissenschaftlicher Versuch, der eben die Wirksamkeit dieser Maßnahme nachweisen soll."
    Bis zur nächsten Feinstaub-Hochsaison im Winter 2017 kommen noch einige Herausforderungen auf die Projektbeteiligten zu: Wachsen die Moose auch langfristig vertikal? Brauchen Sie im Sommer zusätzliche Bewässerung? Und wie gehen die Pflanzen mit der extremen Belastung am Stuttgarter Neckartor um?
    Trotz der positiven Laborversuche erwarten Jan Knippers und seine Kollegen, dass die Moose nur zehn bis maximal 15 Prozent des Feinstaubs aus der Luft filtern können.
    "Am Ende wird die effektivste Maßnahme eine drastische Reduktion des Straßenverkehrs sein. Das muss man ganz klar sehen."