Donnerstag, 28. März 2024

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"Luftzerplatzer" über Tscheljabinsk

Geowissenschaften. - Hunderte Verletzte und Schäden an zahlreichen Gebäuden, das ist die Bilanz eines in der Luft über der sibirischen Stadt Tscheljabinsk explodierten Himmelskörpers. Der Raumfahrtingenieur Michael Khan vom Europäischen Weltraumkontrollzentrum Esoc in Darmstadt ordnet das Ereignis im Gespräch mit Monika Seynsche ein.

Michael Khan im Gespräch mit Monika Seynsche | 15.02.2013
    Seynsche: Herr Khan, gibt es einen Zusammenhang zwischen diesem Ereignis und dem Vorbeiflug des Asteroiden 2012DA14, der heute stattfinden soll?

    Khan: Also, man kann davon ausgehen, dass es ein Zufall ist und dass die beiden nichts miteinander zu tun haben.

    Seynsche: Was weiß man den bislang schon über diesen Meteoriten?

    Khan: Also, eigentlich ist es auch ein Asteroid. Ein Meteorit ist es in dem Moment, wenn Sie ein Stein auf dem Boden finden, der vom Himmel gefallen ist, dann ist es ein Meteorit. Aber was da in der Erdatmosphäre explodiert ist, ist ein Bolide oder auch ein Asteroid, ein Stück Gestein, das im Weltall seine Kreise zieht. Was man über den weiss, ist, dass er wahrscheinlich von Osten kommend Richtung Westen in die Atmosphäre eingetreten ist und in einigen Dutzend Kilometer Höhe explodiert ist. Das ist nicht sehr viel. Und das gibt einen Hinweis darauf, dass er eben wahrscheinlich nur einen Meter Durchmesser hatte oder maximal einige Meter Durchmesser.

    Seynsche: Wie kommt es denn, dass man über diesen anderen Asteroiden sehr viel weiß, schon seit Wochen weiß, dass er an der Erde vorbei fliegt heute, und jetzt dieser kleine Asteroid auf einmal kommt, scheinbar völlig aus dem Nichts. Ist der nicht überwacht worden? Kann man so etwas überwachen in der Größenordnung?

    Khan: Nein, Objekte in der Größe kann man nicht überwachen. Objekte in der Größe wie der DA14, das ist hart an der Grenze von demjenigen, das man noch einigermaßen überwachen kann, wenn man Glück hat. Einige Dutzend Meter, das geht gerade noch. Die kann man in Teleskopen, wenn man Glück hat, entdecken. Die sind da schon recht dunkel, die sind schon recht lichtschwach, die leuchten ja nicht selbst, sondern werden von der Sonne angestrahlt, aber weil sie klein sind werden sie sehr dunkel. Aber der wurde halt entdeckt und den konnte man verfolgen, seit einem Jahr kennt man ihn schon, konnte also seine Bahn über längere Zeiträume verfolgen. Aber das Objekt von heute, das ist einfach zu klein, so etwas werden Sie auch in absehbarer Zukunft nicht feststellen können. Das ist halt etwas, dagegen kann man nichts machen.

    Seynsche: Sie hatten gerade schon gesagt: [Durchmesser] ungefähr ein Meter. Jetzt melden die russischen Nachrichtenagenturen aber, dass es ungefähr 500 Verletzte gegeben hat, 300 Wohnhäuser und zwölf Schulen beschädigt. Das ist ja ein deutlicher Schaden. Wie kommt das bei einem so kleinen Meteoriten?

    Khan: Der Schaden ist nicht beim Einschlag entstanden, sondern der Schaden ist dadurch entstanden großteils, dass es eine Schockwelle gegeben hat, oder allein schon der Überschallknall von so einem Objekt, das mit typischerweise 15 Kilometern pro Sekunde oder sogar noch schneller in die Atmosphäre eintritt. Das ist ein sehr lauter Überschallknall, selbst wenn das in einigen Dutzend Metern Kilometern Höhe passiert. Und so ein Überschallknall, der kann Scheiben zum Bersten bringen, ohne Probleme. Also ich kann mich erinnern in den 70ern, an meine Kindheit in Norddeutschland, da flogen die Düsenjäger im Tiefflug und mit Überschall, und da sind auch Scheiben zu Bruch gegangen.

    Seynsche: Wie oft kommt denn ein solcher Einschlag von einem Asteroiden dieser Größe vor?

    Khan: Ich muss noch einmal betonen, dass es sich nicht um ein Einschlag handelt wahrscheinlich, sondern es handelt sich um einen Luftzerplatzer. Also man kann davon ausgehen, dass Objekte, die so vielleicht einen Meter oder ein paar Meter Durchmesser haben und sich in der Atmosphäre zerlegen, dass es alle paar Monate mal vorkommt. Selbst Objekte, die so zehn oder vielleicht ein Dutzend Meter Durchmesser haben, und die sich in der Atmosphäre zerlegen und zwar mit der Wucht einer Hiroshima-Bombe, also durchaus schon vergleichbar mit einem nuklearen Sprengsatz, dass das einmal im Jahr vorkommt.

    Seynsche: Und wie kommt es, dass man dann nicht öfter von Schäden hört, jetzt in der Größenordnung, die wir heute berichten?

    Khan: Das ist wahrscheinlich ein Zusammentreffen aus Umständen. Möglicherweise hängt das damit zusammen, dass dieses Objekt viel Eisen enthielt und deswegen einfach tiefer kommen konnte. Es hängt einfach immer davon ab, wie hoch ist es, wenn sich zerlegt. Das ist auch sehr steil eingetreten, zufällig, und bestand auch zufällig aus Material, dass das zusammenhält. Und hat sich deswegen in geringerer Höhe zerlegt. Und deswegen war es einfach dichter dran, als dieses Zerplatzen stattfand. Aber vor einigen Jahren, das noch gar nicht lange her, ist ein Objekt in Peru heruntergekommen hat tatsächlich in einem Dorf einen Krater hinterlassen, in Carancas, Südamerika. Das war wahrscheinlich auch ein Eisenobjekt und ist eingeschlagen und hat eine tiefe Grube hinterlassen, hat auch Häuser beschädigt.

    Mehr zum Asteroiden über Tscheljabinsk lesen Sie hier:
    Tausend Menschen durch Meteoritenregen verletzt, Aktuell vom 15.02.12
    Himmelskörper voller Energie, Radiofeuilleton: Thema vom 15.02.12

    Zum Ereignis in Tunguska, 1908:
    Grollen über Tunguska, Wissenschaft im Brennpunkt, 22.06.08