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Lukasz Galecki/Balsil Kerski (Hg.): Die polnische Emigration und Europa 1945 - 1990

Seit der Vertreibung aus dem Paradies ist die erzwungene Emigration, ist Asyl, politisches Asyl zumal, eine einschneidende Erfahrung für jeden, den es betrifft. Gerade das eben vergangene Jahrhundert war besonders freigiebig darin, Menschen zur Flucht aus ihrer Heimat zu treiben. Jeder Kontinent war auf die eine oder andere Weise betroffen. Deutsche ebenso wie ihre Nachbarn. Die Menschen in Polen können ein besonderes Lied davon singen: Nach der Nazi-Okkupation - das sowjetische Zwangssystem, die antisemitische und anti-intellektuelle Kampagne der polnischen Kommunisten in den späten Sechzigern, schließlich das Niederschlagen der Solidarnosc-Bewegung im Dezember 1981 - all dies sind beispielhafte Wegmarken der jüngsten Geschichte Polens. Literaturwissenschaftler, Historiker und Journalisten links und rechts der Oder haben sich jetzt daran gemacht, die Literatur und das politische Denken der Polen im Exil zwischen 1945 und 1990 in einem Sammelband zu bilanzieren, der im "fibre"-Verlag erschienen ist.

Joanna Wiorkiewicz |
    Was nimmt ein Exilant als allerwichtigste existentielle Habseligkeiten mit auf seine erzwungene Reise in die Fremde? - Vor allem Erinnerungen. Diese ziehen sich durch 200 Jahre polnische Exilliteratur, die als Phänomen 1989 glücklich ihren Abschluss finden konnte, weil die politischen Ursachen für ihre Existenz gleichzeitig mit der kommunistisch verfassten Volksrepublik Polen erloschen sind. Die Exilliteratur wurde im kommunistischen Polen offiziell als politisches, von der Gegenwart isoliertes Ghetto betrachtet, nicht selten auch als Brutstätte ethnischer Phobien oder religiöser Schreckgespenster. "Dieser Diskurstyp hat," meint dazu der Warschauer Literaturwissenschaftler Wlodzimierz Bolecki, "jetzt sein Ende gefunden." Heute - in den Zeiten des politischen und sozialen Umbruchs - kehren manche Schriftsteller in ihre Heimat, nach Polen zurück. Die anderen aber haben längst ihre neue Heimat im Ausland gefunden.

    "Ich bin ein Pole, ein Pole par excellence, der zur Zeit in Deutschland lebt und arbeitet. Und das war's. Die Tatsache ist einfach und simpel."

    Janusz Rudnicki, 1956 geboren, Autor dreier Erzählbände, lebt bereits seit 18 Jahren in Deutschland. Er mag es nicht besonders , wenn man ihn als Exil-Schriftsteller bezeichnet. Und damit steht er nicht allein. Oft und fast floskelhaft kann man hören, dass Schriftsteller in ihrer eigenen Heimat leben, nämlich in ihrer Sprache, und zwar egal, wo sie zu Hause sind. Das Schreiben im eigenen Land ist immer am erstrebenswertesten. Deshalb ist die Rückkehr zur sogenannten Normalität in Polen - nach der Wende 1989 - auch im kulturellen Leben für die polnischen Exil-Literaten ein wahrer Segen.... Die Normalität wiederum ist aber, wie Czeslaw Milosz bemerkt, weder einfach noch selbstverständlich. Czeslaw Milosz, in Litauen geboren, lebte jahrzehntelang in Kalifornien und damit über 10.000 Kilometer von Polen entfernt. Seit einigen Jahren hat er auch wieder ein Haus in Krakau. Doch dort hält er sich jetzt nur selten auf. Denn inzwischen ist Kalifornien für ihn auch zur Heimat geworden. Die räumliche Entfernung zwischen Hamburg und Oppeln hingegen ist wesentlich geringer als der Weg in die U.S.A. Wie Milosz hat auch Janusz Rudnicki seine Sensibilität für die Sprache in der Emigration erhöht. Seit die deutsch-polnische Grenze durchlässig ist, spürt er in seinem Alltag keine konkret wirkende Trennungslinie mehr. Es macht ihm klar, dass ihm längst zwei Länder Heimat sind: Polen und Deutschland. Deshalb irritiert es ihn, wenn die Leute fragen: Warum kommst Du nicht zurück?

    "Ich bin ja zurück - wie viele Male soll ich das wiederholen? Ich fühle mich wie ein - Delegierter. Ich lebe im Spagat: Meine Kinder sprechen Polnisch, schreiben Polnisch, besuchen ihre Großmutter in Polen. Es hat keine so große Bedeutung, wo Du gerade lebst. Diese Fragen sind ein bisschen archaisch. Die reale Wirklichkeit, d. h. keine Entfernungen mehr und Grenzen, wo Du Dich frei bewegen kannst, die reale Wirklichkeit ist viel schneller als die mentale. Die schleppt sich manchmal hinter der realen her wie eine Kuh. - Wohin zurück?! - Ich bin in Polen, ich bin in Deutschland..."

    Als die 39-jährige Izabella Filipiak nach 16 Jahren aus den Vereinigten Staaten zurückkam, hatte sie schon zwei Bücher in Polen veröffentlicht und glaubte, es sei ein Leichtes, wieder in der mittlerweile veränderten polnischen Sprache und Heimat Fuß zu fassen. Es kam aber anders. Auf sie wartet ein neuer Integrationsprozess, so als ob sie eine "Fremde" wäre:

    "Zuerst habe ich mich gefreut, dass ich nach Polen zurückkomme. Ich habe mich sehr nach der Sprache gesehnt. Wenn ich polnische Wörter zufällig irgendwo in New York auf der Straße oder im Laden hörte, war ich ganz entzückt. Sehr romantisch. Andererseits hatte ich damals in Polen eine sehr schlechte Presse. Niemand kannte mich in den entsprechenden Kreisen. Ich habe auch anders, als in Polen üblich, geschrieben. Also die ersten drei Jahre nach meiner Rückkehr musste ich schwer arbeiten, um meine Situation zu verbessern, und es ist mir gelungen."

    Der Mensch ist also überall - sowohl in der Emigration, als auch in der Heimat - gleich fremd. Es gibt im Grunde genommen keine nationale oder geographische Gemeinschaft, die dem Individuum eine dauerhafte Verwurzelung und ein Gefühl der Sicherheit gewährleisten könnte - schlussfolgert einer der Autoren des Sammelbandes, Jaroslaw Fazan, in seinen Essay "Exil als existentielle Erfahrung". Hier aber zeigen die polnischen Autoren der in dem Band gesammelten Beiträge insgesamt eine Eigenheit, die tief in ihnen verwurzelt zu sein scheint - eine begrenzte Betrachtungsweise nur auf die nationale Befindlichkeit, so als ob Exilliteratur eine "specialité de la maison" Polens wäre. Rot-weiße Scheuklappen verstellen ihnen eine breitere Perspektive, und so merken sie einfach nicht, dass der Vergleich der eigenen Positionen mit den Exilliteraturen Chiles, Argentiniens, Tschechiens, Russlands und nicht zuletzt Ex-Jugoslawiens auch ihnen selbst zu neuen Erkenntnisse verhelfen könnte. Das "Exil" als internationales Phänomen schlechthin ist bekanntlich keineswegs verschwunden. Es hat lediglich seine Standpunkte verschoben.

    "Die polnische Emigration und Europa 1945 - 1990", herausgegeben von Lukasz Galecki und Basil Kerski im fibre-Verlag, Osnabrück, 269 Seiten - zum Preis von 38 Mark.