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"Lukiskes atme noch den Geist der Zarenzeit"

Im Herzen der litauischen Hauptstadt Vilnius liegt das 100 Jahre alte Gefängnis Lukiškės. Viele Ex-Insassen haben in ihrem späteren Leben Berühmtheit erlangt. Heute sitzen mehr als 1000 Gefangene in den überfüllten und baufälligen Gebäuden ein. Doch ein geplanter, privat finanzierter Neubau lässt seit Jahren auf sich warten.

Von Alexander Budde |
    Eine Kohorte von Gefangenen hastet im Stechschritt vorbei, zackig grüßen die Wärter. Im Eilschritt inspiziert auch Vilnius Šlaičiūnas sein Reich. Der Mittfünfziger leitet das Gefängnis Lukiškės im Zentrum von Vilnius:

    "Willkommen im Wohnblock! Im linken Flügel sitzen die zu lebenslanger Haft Verurteilten. Im rechten, sind Personen untergebracht, gegen die eine Ermittlung läuft. Einigen werden grausame Verbrechen wie Mord und Totschlag vorgeworfen, anderen vergleichbar harmlose Delikte wie Raub, Diebstahl und sexueller Übergriff."


    Gewöhnlich warten Verdächtige zwischen sechs und 18 Monate auf ihr Verfahren. Nur schleppend kommen auch die Reparaturarbeiten an ihrer betagten Unterkunft voran. Lukiškės wurde im Jahre 1904 erbaut.


    Knastdirektor Šlaičiūnas ermöglicht Einblicke in die bescheidene Privatsphäre des Gefangenen Justinas Butas: Eine rote Stoffgardine verbirgt das Gitterfenster der gerade einmal acht Quadratmeter großen Zelle. Plüschbären bevölkern die harte Schlafpritsche.

    "Dies ist eine typische Zelle. Der Insasse schmückt das Ambiente mit einer Blumenvase. Im Moment ist er bei seiner Arbeit. "


    Aufstehen um sechs Uhr morgens, Arbeitsbeginn um acht, dann eine Stunde Hofgang und am Abend ein wenig Freizeit für Sport oder Literatur: Im Knastalltag herrscht ein strenges Regiment, sagt Zellenbewohner Butas. Der Endfünfziger steht, in eine weiße Kittelschürze gehüllt, an der Nudelmaschine:

    "Ich bin ausgebildeter Mechaniker, habe früher was ganz anderes gemacht. Doch in diesen Zeiten, wo es selbst in der Freiheit so hart ist, empfinde ich meine Arbeit hier als Privileg."

    Butas ist ein Mustergefangener, den die Anstaltsleitung gern vorzeigt. Der Familienvater studiert Sozialpädagogik auf Distanz an der Uni Vilnius. Seit 16 Jahren büßt er im Gefängnis für einen Bankraub, bei dem ein Wächter getötet wurde.

    Justinas Butas:
    "”Wir Gefangenen haben unsere Konflikte. Aber als ich damals hier einzog, waren die Verhältnisse noch viel schlimmer. Litauen ist jetzt in der EU. Unsere Obrigkeit ist bemüht, die vielen Menschenrechte umzusetzen." "

    Vilius Šlaičiūnas zieht es hinaus in den Hof. Eine Mauer mit Stacheldraht umgibt die beiden sternförmigen Gebäuderiegel aus Ziegelsteinen sowie den Kuppelbau mit der Kirche des heiligen Wundermachers Nicolai. In der dunklen Sowjetzeit schliefen Häftlinge auf dem Fußboden der Kapelle. Baulicher Mangel, unbesetzte Stellen beim Aufsichtspersonal - an eine vernünftige Betreuung der Insassen sei auch heute kaum zu denken, gesteht Knastdirektor Šlaičiūnas:

    "Als Lukiškės errichtet wurde, hat niemand an Resozialisierung gedacht. Wir sind hoffnungslos überfüllt. Nicht nur die Inhaftierten leiden unter den kläglichen Zuständen."

    "Lukiškės atme noch den Geist der Zarenzeit", sagte Dalia Grybauskaité als sie den betagten Gefängnis-Komplex vor zwei Jahren besuchte. Die Lebensbedingungen seien furchtbar, schimpfte Litauens Staatspräsidentin, so bald wie möglich müsse der Knast geschlossen werden. Vilius Šlaičiūnas schmerzt dieser Tadel. Doch im Grunde seines Herzens stimmt er dem Staatsoberhaupt zu.

    Vilius Šlaičiūnas:
    "Wir brauchen dringend einen Neubau. Unsere Politiker diskutieren mit Leidenschaft, aber die Probleme sind nicht an einem Tag zu lösen. Ich glaube nicht, dass in absehbarer Zeit etwas entschieden wird."