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Lust am Spiel - ohne Worte

Der ungarische Regisseur Viktor Bodó ist im deutschen Theaterbetrieb ein gefragter Mann. Mehr oder minder wortlos, wenn auch nicht geräuschlos, geht es in Viktor Bodos jüngster Inszenierung zu: "Der Mann an Tisch 2" heißt das Stück, geschrieben hat es Andras Vinnai, zu sehen am Kölner Schauspiel.

Von Dina Netz |
    Mit einem Knalleffekt im Wortsinne beginnt Viktor Bodós Inszenierung, und mit einer Schießerei in der kantinenartigen Gaststätte mit abgeschabtem 60er-Jahre-Charme endet sie auch. Man kann das Stück des ungarischen Autors András Vinnai also als Rekonstruktion einer Massenschießerei betrachten. Oder auch als ein Stück über den Zufall, der Menschen in einem Lokal zusammenführt; vom Leben gedemütigte und hart gewordene Menschen. Man kann "Der Mann an Tisch 2" auch als ein Theaterstück sehen über die Relativität von Zeit und das Verschwimmen von Traum und Wirklichkeit: Die Uhr an der Wand über der Essensausgabe dreht sich vor, zurück, schneller, langsamer, Szenen wiederholen sich mit leichten Abwandlungen.

    Dies alles steckt tatsächlich in "Der Mann an Tisch 2" und Viktor Bodós Inszenierung. Vor allem aber geht es an diesem Abend in Köln ums Theater, um seine Möglichkeiten, seine Freiheiten und um die Lust am Spiel.

    In seiner ersten Kölner Inszenierung "Transit" gab Viktor Bodó den ungarischen Schauspielern seiner "Sputnik Shipping Company" und dem deutschen Ensemble noch unterschiedliche Aufgaben: Die Kölner spielten die Sprechrollen, die Ungarn die stummen. Seine Inszenierung von Peter Handkes sprachlosem Stück "Die Stunde da wir nichts voneinander wussten" scheint Bodó nun aber auf den Geschmack gebracht zu haben: Auch in "Der Mann an Tisch 2" wird fast gar nicht gesprochen, sodass ungarische und deutsche Schauspieler in ebenbürtigen Rollen auftreten.

    Im Mittelpunkt steht das Personal: Nikolas, der Koch. Irina, seine Frau und Kassiererin. Und Boris, der das Essen ausgibt. Boris wird von Lena verfolgt, seiner Verflossenen. Rozália Székely als Lena zeigt Irina Fotos, und niemand braucht Text, um ihre Botschaft zu verstehen.

    Lena und Irina fallen sich in die Arme, landen eng umschlungen auf dem Boden, sodass Irinas Mann dazwischen geht. Später buhlen beide Frauen um die Gunst von Boris – das Leben hält eben mindestens so viele Möglichkeiten bereit wie die Mathematik.

    Außer diesem Quartett treten auf: Walter, der Mann vom Ordnungsamt, der das Lokal zwischenzeitlich sperrt. Zwei etwas beschränkte Ganoven, ein um so gewitzterer Taschendieb, der sich in eine verprügelte Frau verliebt, eine Putzfrau, die sich in ihrer Arbeit nicht ernst genommen fühlt, und ein buckliger Chef, der sich in seinem Zimmer auf der Empore verschanzt. Ganz selten sprechen sie, miteinander oder am Telefon; András Vinnai hat ihnen dafür ein Fantasie-Kauderwelsch geschrieben.

    Die Sprache taugt also nur bedingt als Transporteur von Informationen, bei Viktor Bodó muss da die Musik einspringen. Bekannte Songs geben die Atmosphäre vor, endet das Lied, endet die Szene. Zu "Can't buy me love" legen sie hinter der Essensausgabe einen flotten Tanz mit Tellerwerfen hin. Wenn der Koch einen Niesanfall bekommt, bricht der Jazz kurz ab. Nur Walter, der spröde Mann vom Ordnungsamt, mag sich der Musik nicht fügen: Sobald romantische Klaviermusik erklingt, hämmert er gegen die Wand.

    Viktor Bodó ist ein Filmfan, und er bedient sich im cineastischen Gedächtnis völlig ungeniert. Diese Nonchalance macht wahrscheinlich, dass man trotzdem lacht, wenn an der Eingangstür Leute immer wieder auf einer gar nicht vorhandenen Bananenschale ausrutschen. Wie in Jacques Tatis Film "Play Time", der auch für das Kauderwelsch Pate gestanden hat, passieren auf der Bühne immer mehrere Dinge gleichzeitig, sodass der Zuschauer sich entscheiden muss, welchen Figuren er folgt. Bodó lässt die Schauspieler in Zeitlupe oder Schnellvorlauf spielen und sagt damit: Was das Kino kann, kann das Theater schon längst, nur live und ohne technische Hilfe.

    All diese vielen Elemente greifen völlig mühelos ineinander. Viktor Bodó liefert mit "Der Mann an Tisch 2" perfektes Theaterhandwerk, das seine Mittel nicht vorzeigt, sondern (fast) alle Sinne herausfordert und unterhält.