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Lustgarten

Mertens und Krause singen Karaoke. Das heißt: singen können sie eigentlich nicht. Aber das macht nichts. Ist ja nur zur Enthemmung da. Jeder kann heute Popstar sein, Mertens, Krause oder Küblböck.

Von Christian Gampert |
    Mit dieser Gesangssimulation endet Sabine Harbekes "Lustgarten" im Neumarkt-Theater. Mit Karaoke aber, mit So-tun-als-ob, hat alles auch angefangen: Mertens und Krause haben eine Frau kennen gelernt, die sie dann im Auto mitgenommen hat. Was dann passierte, wird im Lauf des Theaterabends rekonstruiert. Oder eher angedeutet. Denn Mertens und Krause sind einerseits lachanfallartig euphorisiert, andererseits schämen sie sich ein bisschen. Die Frau ist weg. Was haben sie mit ihr getan? Sie vergewaltigt? Kann sein. Vielleicht auch nur weggesperrt, in den Kofferraum gesperrt. Auch eine Form der Vergewaltigung. Aber sie wollte es ja so. Sie war ja einverstanden. Frauen wollen eigentlich immer, sie zeigen es nur nicht so.

    Es ist also ein lustiges Stück, Mertens und Krause reden auf ihrem Parkplatz über Currywurst, Kuchen und Bier, und die Autorin Sabine Harbeke lässt alles schön in der Schwebe; es ist nicht gerade ein Gespräch im Hause Stein über den abwesenden Herrn Goethe, aber doch über die große Abwesende, ein Gespräch zweier neudeutscher, nicht unintelligenter Prolo-Männer über ihre geheimsten Wünsche, die man aber nicht wirklich aussprechen darf in diesen elliptischen Harbeke-Mono- und Dialogen.

    Das Züricher Theater am Neumarkt betreibt, seit Otto Kukla und Crescentia Dünßer dort Intendanten sind, eine konsequente Erforschung der Gefühlswelten und Lebensrealitäten des orientierungslosen Mitteleuropäers. Das heißt: Gegenwartsstücke meist von jungen, unbekannten Autoren. Wer im Neumarkt aufgeführt wird, ist nicht unbedingt hype, und er will es vielleicht auch gar nicht werden. Sabine Harbeke zum Beispiel inszeniert jetzt schon zum viertenmal dort ein eigenes Stück. Auch in den anderen ging es um intime Dinge, um ganz kleine Situationen: eine Frau in drei Lebens-Phasen, in drei Beziehungen zu Männern. Oder: ein saturiertes Mittelstands-Paar, in dessen Idylle der angebliche Bruder des Mannes einbricht. Oder: die erwachsenen Kinder treffen sich zum Begräbnis der Mutter. Und zum Reden.

    Sabine Harbeke ist eigentlich Filmemacherin. Das merkt man. Die Dialoge werden so nebenbei zur Seite weggesprochen, wie auf der Straße oder in der Kneipe, ganz alltäglich. In New York arbeitet sie am "Actors Studio" und dokumentiert Schauspieler-Übungen und –Entwicklungen mit der Kamera. Das hat Folgen auch für ihr eigenes Inszenieren: das Bemühen um größtmögliche persönliche Authentizität, um Understatement, um Unterspielen der Figur ist unübersehbar. Allerdings hat Harbeke mit Bartosz Kolonko und Andreas Storm auch zwei exzellente Akteure zur Hand: Kolonko macht das Schlaksige, Unsichere, Schüchterne, Storm steht breitbeinig im Leben und ist immer für einen Witz, für eine Ordinärheit gut. Eigentlich sind sie ein Komikerpaar, aber ihr Leben ist postmodern traurig.

    Aus den Andeutungen der beiden Männer wird nun das Bild der unbekannten Frau zusammengesetzt. Ziemlich schräger Vogel. Und dann tritt Schwester der Vermissten auf, die weiter am Bild der Unbekannten malt: gescheiterte Ehe, gestörtes Essverhalten, Diabetes, eine seltsame Vorliebe für Schlangen. Wie lange hält es eine Diabetikerin im Kofferraum aus, ohne sich zu spritzen? Die Frau wird möglicherweise sterben.

    Leider aber stirbt auch Sabine Harbeke Stück in diesem zweiten Teil langsam vor sich hin. Ursula Reiter sagt ihren Monolog auf, als sei sie an der Rampe festgebunden. 20 Minuten steht sie auf einer Stelle, nur das Gesicht zuckt und die Finger. Eine Art Mutprobe für Schauspieler. Ursula Reiter besteht sie, aber das Stück versackt in Gerede. Schade drum.