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Lustmarsch durchs Theoriegelände

Der Ästhetik-Professor Bazon Brock vermittelt, gibt Orientierungshilfe und polarisiert durch gewagte Thesen zu Kunst und Kultur. Seit acht Jahren gibt es denn auch die Sendung "Bilderstreit" auf 3sat - eine Art "Literarisches Quartett" der Kunst. Doch Bazon Brock äußert sich nicht nur zur Kultur. Auch die Staatsverschuldung, die Windkraft oder das papierfreie Büro sind Themen für ihn. Im Karlsruher Zentrum für Kunst- und Medientechnologie ist Bazon Brock nun eine Ausstellung gewidmet. Anlass ist sein 70. Geburtstag Anfang Juni. Und die Führung durch die Schau übernimmt er höchstpersönlich.

Von Christian Gampert |
    Dass der Mann 70 wird, glaubt man erst, wenn man die ausstellungsbegleitende kleine Chronologie Brockscher Kunst-Interventionen abgeschritten hat, von der "Gründung der Deutschen Studentenpartei" mit Joseph Beuys 1967 über die Pfingstpredigt bei der "documenta IV", den "Eignungstest" für eine Kreuzigung 1977, das Empedokles-Happening 1984, bei dem Brock seine Schuhe dem Ätna überantwortete, bis zu einem Action-Teaching von 1991 mit dem Titel "Wir geben das Leben dem Kosmos zurück".

    Das Karlsruher ZKM ist Ausgangspunkt für insgesamt 11 weitere Ausstellungs-Stationen, auf denen Bazon Brock der Welt zeigen möchte, wie aus ihm, dem einstigen "Sorgenkind", ein "Wundergreis" wurde - und vor allem natürlich, warum Kunst Interpretation, Gespräch, Erklärung, Eingriff braucht.

    " Ich möchte mit diesen Theorielandschaften anknüpfen sowohl an die Präsentationsformen der Kunst- und Wunderkammern wie auch an das Memorialtheater des 17.Jahrhundert und an die Reliquien-Verwaltung in den Kultzentren und Kirchen. Das bedeutet, dass man lernt, mit den Objekten selber umzugehen nach einem Beispiel, das jemand vorgibt - denn ich weiß ja nicht, was ich mit einem weißen oder schwarzen Quadrat anfangen soll; ich kann mich ja nicht davor hinlegen, auf den Boden schmeißen und schreien 'Das Absolute, das Absolute’. Das ist ja alles Tinnef. Also muss mir jemand vormachen, wie man damit umgeht. Das heißt, zur Ausstellung gehört auch der beispielgebende Betrachter... "

    ...und der heißt Bazon Brock. In Karlsruhe wird zunächst in einem einstündigen "Gewaltmarsch" erklärt, dass auch ein Rembrandt-Gemälde nur "mit Farbe beschmiertes Sackleinen" sei, dass aber der damit umgehende Betrachter daraus, "kontrafaktisch", wie Brock das nennt, ein Kunstwerk, also Sinn mache. "Gott und Müll" lautet folglich auch einer der Untertitel, Brock beschäftigt sich mit Winfried Baumanns "Kathedralen für den Müll", mit dem "Karfreitags-Phänomen", also dem Gottesmord und der Wiederauferstehung, eine wiederkehrende Kulturtechnik, und der "EntDeutschungsproblematik", der traurigen Tatsache, dass faschistische Strategien wie Angriffskrieg, Eugenik, Euthanasie, Vertreibung längst auch von ausgewiesenen Demokratien praktiziert werden.

    Dass die Kunstwerke dabei zweitrangig sind und hier auf sympathisch-verrückte Art Philosophie getrieben wird, vor einer Altar-Installation mit Dornenkrone, Lanze, Schwamm und Nägeln, darauf werden die meisten Besucher schon gefasst sein. Bazon, der Redner, der Hohes und Triviales stets listig mischt, der stundenlang beinahe druckreif improvisieren kann und dabei erstaunlicherweise nicht langweilig wird, dieser freudianische Spät-Adornit, Turbo-Dialektiker und Neo-Dekonstruktivist, hält den Tropfenfänger für Kaffeekannen und den Sockenhalter für Herrenstrümpfe für die wichtigsten Kulturleistungen überhaupt. "Würdigen Sie Ihren Stuhlgang als eine kulturelle Produktion" - so bündig kann nur ein fröhlich gebliebener 68iger-Avantgardetheoretiker den ewigen Kreislauf von Werden und Vergehen zusammenfassen.

    Bazon Brock kommt im zweiten Teil des Abends dann aber ganz ernst zur Sache: zuerst zeigt er, in einer der Thomas-Mann-Erzählung "Beim Propheten" nachempfundenen Versuchsstube, wie die Intelligenz an der Wende zum 20.Jahrhundert "sich selbst entfesselte", wie mit Richard Wagner, Nietzsche, Stefan George die Realität einer Fiktion, einem Willen angeglichen werden sollte - mit den bekannten wahnhaft-faschistischen Folgewirkungen. In einem Fünfziger-Jahre-Wohnzimmer erläutert Brock die darauf folgende "Selbstfesselung" als Kulturtechnik, die Ohnmacht des Geistes vor dem Fernsehgerät, Passivität als Eigenschaft der erfolgreich umerzogenen Deutschen. Anschauungsmaterial zu dieser "Kultur durch Unterlassen" habe schon Marcel Duchamp mit seinen Ready-Mades geliefert.

    Natürlich werden diese Action-Teachings jeden Abend neu und thematisch ganz anders stattfinden. Zwar ist der Mensch das größte Kunstwerk, und wenn der Mensch Bazon Brock heißt, ist es sogar ein besonders schönes und provokantes. Allerdings ist Brocks Zukunfts-Prognose düster: die europäischen Kulturen seien dabei, das Privileg der Kunst zu verspielen und sich den islamischen und asiatischen Kulturen auszuliefern, die statt Universalismus und freiem Raum nur Ideologie zu bieten hätten. So ist Brocks Ausstellungs- und Vorlesungs-Tournee auch eine Abschiedsgabe: Europa, so seine These, trete aus der Weltgeschichte aus.