Samstag, 20. April 2024

Luther heute in den Medien
Ein politisch Unkorrekter

Theologe, ja klar. Aber Martin Luther war auch Politiker. Und was für einer. Heute käme er bestimmt beinahe täglich in den Nachrichten vor. Aber wie fiele die Berichterstattung aus? Wie käme er in den Nachrichten weg?

Von Marco Bertolaso | 12.10.2017
    Sie sehen Martin Luther.
    Martin Luther (1483-1546) (Cranach)
    Bibelmensch hin oder her, Luther hat auch das politische Europa der frühen Neuzeit aufgemischt. Theologie und Politik waren damals ein kaum zu trennender Komplex. So wie in unseren Tagen Politik, Wirtschaft, Hochfinanz und Militär für manchen Linksdenkenden bilderbergmäßig zusammengehören.
    Die Cranachs waren Luthers Warhol
    Luther legte sich mit Päpsten und Kaisern an. Mehrfach wurde er von Lucas Cranach gemalt, dem Älteren wie dem Jüngeren. Beide schufen Ikonen wie viel später Andy Wahrhol. Von Luther ist das "Hier steh ich nun, ich kann nicht anders" überliefert. Das ist mindestens mal die Preisklasse von Obamas "Yes, we can". Gut, Luthers Zitat ist nicht zu belegen, doch der Schönheitsfehler tut der Wirkung keinen Abbruch.
    Omnipräsent - wie Bosbach und Gysi
    Versuchen wir doch einmal, den politischen Revolutionär in der Medienlandschaft unserer Tage zu verorten. Klar ist schon einmal, in den Talkshows wäre Luther mindestens so präsent wie Wolfgang Bosbach und Gregor Gysi. Sicher würde er auch zu den üblichen Verdächtigen bei den Deutschlandfunk-Interviews gehören, immer wieder würde er auf der ersten Seite der BILD-Zeitung prangen. Denn der Mann hatte zu allem was zu sagen.
    Würde Luther abends nach seinem Auftritt bei "Hart, aber fair" einen Artikel für die "Nachdenkseiten" schreiben - oder doch eher was Polemisches für die "Achse des Guten"? Würde er heute die Geldpolitik des in Rom (sic!) geborenen Mario Draghi bekämpfen wie früher den römisch inspirierten Ablasshandel? Und wie zum Teufel hätte er sich in der Flüchtlingskrise positioniert?
    Luther - ein hässlicher Deutscher?
    Politisch korrekt hat Luther sich nicht immer ausgedrückt. Ganz im Gegenteil. Er hat dem Volk aufs Maul geschaut, wie man so mäßig schön sagt. Seine Positionen würden ihn in Italien oder Spanien so beliebt machen, wie Wolfgang Schäuble es auf dem Höhepunkt der Euro-Krise in Griechenland war. Ein hässlicher Deutscher wäre er, intensiv bis verbissen in seinen Überzeugungen.
    Darüber hätten wir in den Nachrichten viel zu berichten. Vermutlich hätte er sich auch Ärger à la Merkel in Europa eingehandelt mit der Behauptung, Kirchenmitarbeiter in Rom hätten viel mehr Urlaub als die Mönche in Erfurt.
    Nationalistische Untertöne
    Hätte er sich als wahrer Ahnherr der Nachwendepolitpastoren einer Partei angeschlossen? Falls ja, welche wäre es geworden? Die SPD wohl eher nicht, sieht man seine Haltung zu den Bauernkriegen. Für die Grünen wäre er wohl gesellschaftlich nicht progressiv genug. CDU und CSU hätten vieles rund um das "C" gut gefunden. Aber Luthers Schriften über die Juden hätten ihm auch dort ein Parteiausschlussverfahren eingetragen. Hätte er die AfK gegründet, die "Alternative für Kirche"?
    Für seine Tiraden gegen die römische Kurie bekäme er aus der Zivilgesellschaft und von Nichtregierungsorganisationen einiges an Unterstützung. Doch dieselben Organisationen würden Anstoß am deutschnationalen bis nationalistischen Unterton nehmen, den sein Kreuzzug gegen die Zentrale der Kreuzzüge hatte.
    Luther, der PR-Profi
    In Sachen PR würde es Luther wiederum mit den erfolgreichsten NGOs aufnehmen. Was sind die zehn besten Schlauchbootaktionen von Greenpeace, was sind selbst die Provokationen von Femen gegen den Thesenanschlag von Wittenberg? Auch wenn die Veröffentlichung per Hammer und Nagel vermutlich eine Legende ist, so wirkt sie fort und beschert uns noch 500 Jahre später, am 31. Oktober 2017, einen bundesweiten Feiertag. Oder würde der Reformator seine Thesen inzwischen twittern als @realMartinLuther?
    Wie dem auch immer sei, Martin Luther wäre heute ein absolutes Medienereignis. In den Nachrichten wäre er oft verbunden mit dem Etikett "umstritten". Bestimmt hätte er schon einen Bambi bekommen oder zwei. Politisch-gesellschaftlich hätte er ein Profil, das himmelweit von seinem geschichtlichen Image entfernt ist. Historische Ironie: eher unwahrscheinlich, dass ihn die EKD zum Botschafter für das Reformationsjubiläum gemacht hätte.