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Luxemburg
Die Schuld der Kollaborateure

Welche Rolle spielten die Behörden in Luxemburg in den ersten Monaten der Besatzung durch Nazideutschland? Um das zu klären, wurde vor zwei Jahren eine Expertenkommission ins Leben gerufen. Inzwischen liegen erste Ergebnisse vor.

Von Tonia Koch | 04.05.2015
    "Wir waren nicht alle Helden", befand Luxemburgs Premier Xavier Bettel Anfang des Jahres anlässlich einer Gedenkfeier zu Ehren der Opfer des Nazi-Terrors. Diese politische Einschätzung wird nun von Forschungsergebissen gestützt, die eine Historiker-Kommission vor wenigen Wochen als Artuso-Bericht veröffentlicht hat.
    "Das würde ich auf jeden Fall unterschreiben", sagt ihr Vorsitzender Michel Pauly. Das Bild vom im Widerstand vereinten Luxemburg hat Risse bekommen, nachdem bekannt geworden ist, dass die luxemburgischen Behörden jüdische Schulkinder und jüdische Flüchtlinge damals systematisch erfassten. Zunächst hatte die Regierung und danach die luxemburgische Verwaltungskomission entsprechende Listen erstellt. Die Kommission war eine Art Ersatzregierung, die im Mai 1940, als Luxemburg von den Deutschen besetzt wurde, für ein paar Monate die politischen Geschäfte übernahm. Zuvor hatte sich die Regierung und auch das Staatsoberhaupt, die Großherzogin, ins Exil begeben. Die Frage, inwieweit die Behörden willfährig, in vorauseilendem Gehorsam gehandelt haben, könne der Artuso-Bericht nicht abschließend klären, sagt Professor Pauly.
    "Es gibt kein schriftliches Zeugnis, dass die Erstellung der Listen von den Detuschen verlangt worden ist. Es gibt auch nicht das Gegenteil. Es gibt auch keinen Beweis, dass sie das selbständig, von sich aus gemacht hätten."
    Kooperation in der "Judenfrage"
    Tatsache sei allerdings, dass die aus luxemburgischen Beamten bestehende Verwaltunsgkommission in der sogenannten "Judenfrage" kooperiert und sich damit auch mitschuldig gemacht habe.
    "Ja, ich würde sagen ja, ohne aber damit sagen zu wollen, dass es nicht milderne Umstände gibt." Und diese lägen in der politischen Zielsetzung der Verwaltungskommission, so Pauly. "Ihr Hauptziel war, die staatliche Unbahängigkeit Luxemburgs zu retten und sie haben nicht gemerkt, dass sie in der Judenfrage den Besatzern in die Hand spielen."
    Die Jüdische Gemeinde in Luxemburg hat lange auf eine Aufarbeitung dieses dunklen Kapitels luxemburgischer Geschichte gewartet. Der Artuso-Bericht rücke die Dinge zurecht, findet Gemeindemitglied Francois Moyse.
    "Es ist für uns eine Bestätigung, dass das was die Verwaltungskommission während des Krieges gemacht hat, weit über das hinausging, was eine neutrale Verwaltung machen kann, und zwar hat man sich aktiv damit beschäftigt, die Juden auszugrenzen."
    Im Land wird nun darüber diskutiert, wie eine Versöhnungsgeste gegenüber der jüdischen Bevölkerung aussehen könnte. Das Parlament soll eine Empehlung geben, ob sich die Regierung offiziell entschuldigt, so wie es der belgische Regierungschef di Rupo getan hat, oder ob es bei einem Ausdruck des Bedauerns bleibt. Die jüdische Gemeinde möchte dazu nicht Stellung beziehen. Francois Moyse.
    "Wir haben überhaupt keine Forderung. Es geht uns darum, die Anerkennung des Leides der jüdischen Personen hier in Luxemburg zu bekommen. Ganz klar. Jetzt ist es nicht an uns, der Politik zu sagen, ob eine Entschuldigung kommem soll, das muss der obere Vertreter der luxembugischen Regierung selbst entscheiden. Es geht uns darum, dass die Geschichte anerkannt wird und dass es nicht ein Tabu bleibt in der Geschichte."
    Stiftung und Denkmal geplant
    Im Parlament zeichnet sich noch keine klare Richtung ab. Serge Wilmes, Historiker und Mitglied der CSV, der Christlich Soziale Volksunion, plädiert zunächst dafür, die historische Forschung zu vertiefen, damit das Ausmaß der Kollaboration mit Hitler-Deutschland besser eingeordnet werden kann. Aufschiebende Wirkung dürfe die weitere geschichtliche Forschung jedoch nicht haben.
    "Es ist klar, der Bericht bietet genug Anhaltspunkte. Wir müssen einen Schritt auf die jüdische Gemeinschaft zugehen und ihnen Konkretes zur Verfügung stellen, damit anerkannt wird, das Leid, das ihnen widerfahren ist, dass das Gedenken am Leben gehalten wird. Und dass man ihnen sagen, ihr seid Teil dieses Landes."
    Zu den konkreten Angeboten gehören eine nationale Gedenkstätte für die jüdischen Opfer des Nazi-Terrors und eine Stiftung.
    "Die Erinnerung an die Schoah muss weiter leben, deshalb wird man eine Stiftung gründen wie in Frankreich die 'Fondation pour la memoire de la shoa'. Die muss mit Geldern gespeist werden, da kann man sich zum Beispiel an Belgien orintieren, wo der Staat und auch die Wirtschaft das Ganze dann finanziert."
    Politisch sind sowohl die Stiftung als auch ein Denkmal weitgehend unumstritten. Vereinzelt gibt es aber auch Meinungsäußerungen, die den jetzt eingeschlagenen Weg einer späten Anerkennung jüdischen Leids mit zweifelhaften Kommentaren begleiten. In einem offenen Land wie Luxemburg aber sind sie die Ausnahme.