Es gehört zur Verlegenheit der Philosophie, dass sie sich selbst ins Wort fallen muss. In diesem Sinn ist jeder philosophische Satz eigentlich in Unordnung, in Bewegung.
'Vernunft im Zeichen des Fremden' ist der Band betitelt, in dem Freunde, Kollegen und Schüler zu Waldenfels' Schriften Stellung nehmen. Der Bochumer Emeritus ist durch seine Gratwanderungen im Grenzbereich der phänomenologischen Philosophie bekannt geworden. 'Phänomenologie in Frankreich', 'Deutsch-Französische Gedankengänge' und die 'Studien zur Phänomenologie des Fremden' markieren wichtige Abschnitte seines Denkwegs. Das 50-seitige Interview mit Petra Gehring und Matthias Fischer empfiehlt sich zum Lektüreeinstieg. Es entfaltet die wichtigsten Denkmotive des Philosophen. Seine Phänomenologie der Fremdheit hat sich schon im restaurativen Nachkriegsdeutschland als Randkritik verstanden.
Damals habe ich also Husserl mit Adorno zusammengespannt. Es war eine Weise, die Phänomenologie nicht so konformistisch zu treiben. In Frankreich war das sowieso nicht der Fall gewesen, und in Deutschland habe ich Adorno und auch Marcuse als eine Stütze empfunden, die Phänomenologie aus ihrem unpolitischen Loch herauszuholen.
Die Begegnung mit Maurice Merleau-Ponty sollte der Wendepunkt der Studienjahre werden. Über ihn konnte Waldenfels das Denken Edmund Husserls erschließen.
Ich war immer wieder in Paris, schließlich um bei Merleau-Ponty zu studieren. Und habe dann die letzten Vorlesungen gehört. Das war einfach bewegend, eine Philosophie, die von dem Dogmatismus, der mir in diesem Nachkriegsdeutschland doch erheblich begegnet ist, einfach nichts hatte. Es war wirklich ein Philosophieren mit offenen Türen zur Literatur, zur Politik, zur Kunst.
Die Vermittlung deutschen und französischen Denkens hat sich Waldenfels zur Lebensaufgabe gemacht. Husserls Technik der phänomonologischen Meditation hat ihm die Sprache der Konkretion geschenkt, Merleau-Pontys Kunst der Verflechtung von Philosophie und Nicht-Philosophie hat die Ambiguität seines Ausdrucks geprägt. Der Mentor eines Philosophierens mit offenen Türen will für einen regen Austausch diesseits und jenseits des Rheins sorgen. Doch frischer Wind scheint nur aus der Seine-Metropole zu kommen.
Das wird an den Beiträgen des Sammelbandes deutlich. Die Franzosen geben sich die Klinke in die Hand. Im Drehtürtakt werden Zitatmontagen aus Foucault und Derrida, Blanchot und Levinas aufgerufen, um Waldenfels' Philosophie auf den Begriff zu bringen. Dabei hat der Geehrte selbst der Ringfahndung des Autorenkreises einen sachdienlichen Hinweis gegeben.
An den Grenzen der vertrauten Welt lauert Unbekanntes und Unverfügbares, das uns verlockt und bedroht, und beides oft in einer delikaten Mischung aus Überraschendem und Übermächtigem.
Waldenfels' Phänomenologie der Fremdheit hat sich einem Ethos der Sinne verschrieben, das Sinn und Sinnlichkeit verschränkt. Das Fremde soll zur Aussprache seines eigentümlichen Sinnes kommen, das originär Unzugängliche aus sich selbst heraus erschlossen werden. Ihn treibt ein Pathos des Außer-Ordentlichen: Weil Waldenfels die Positionen einer klassischen Philosophie des Dialogs von Platon bis Gadamer mit einem flotten Pariser Flair fortschreibt, streift er gelegentlich die Grenzen der sprachlichen Artikulation. So erscheint jene Mixtur aus Lockung und Drohung fragwürdig: Immerhin lebt gerade die Spaßkultur der gegenwärtigen Erlebnisgesellschaft von exzentrischen Reizen. Wenn Waldenfels die bewegte Unordnung zwischen den Fronten von Hermeneutik und Poststrukturalismus mustert, klingt das so:
Die Konzeption der Verflechtung als eines asymmetrischen Ineinanders, in dem eines auf das andere, den anderen oder die andere übergreift, schließt einen Holismus ebensosehr aus wie einen Atomismus. Die Nicht-Koinzidenz meiner selbst mit mir selbst und mit anderen lässt nicht zu, dass Ich und die Anderen Teile oder Glieder eines umgreifenden Ganzen bilden.
Die im Zeichen des Fremden erweiterte Vernunft hat sich als bescheidene Randkritik eingerichtet. Die Andeutung eines 'anderen Denkens' beim 'Denken des Anderen' bleibt Appell. Der Verzicht auf das erste und das letzte Wort verschwimmt in einer prekären 'Nicht-Koinzidenz', die kaum in der Lage sein dürfte, das 'unpolitische Loch' der Phänomenologie aufzufüllen. Es gehört zu den Verlegenheiten dieses Philosophierens, sich dort, wo ein Wort das andere gibt, ins Wort zu fallen. Das ist sympathisch und problematisch zugleich. Wenn Waldenfels Farbe bekennt, spricht er wie ein Maler, der Gedanken als Gemälde behandelt.
Im übrigen bin ich eher ein Kolorist: Farben widersprechen sich nicht. Man muss nicht die ganze Farbauswahl über den Haufen werfen. Man schattiert und setzt andere Akzente, und das Bild kann ganz anders aussehen, obwohl man nichts völlig verwirft. Die Palette kann sich ändern.
Khosrow Nosratian besprach 'Vernunft im Zeichen des Fremden. Zur Philosophie von Bernhard Waldenfels. Das Buch, herausgegeben von Matthias Fischer, Hans-Dieter Gondek und Burkhard Liebsch ist im Frankfurter Suhrkamp Verlag als Wissenschafts-Taschenbuch erschienen, hat 463 Seiten und kostet 31.90 Mark.