
Ein dunkles, ein erbarmungsloses Stück. Eine verstörende, erbarmungslose Aufführung. Das Saallicht bleibt über zweieinhalb pausenlose Stunden an. Alle Rollen werden von halb-, meistens aber ganz nackten Männern gespielt, und Lady Macbeth ist dabei mit Pumps, schwarzer Langhaarperücke und Plisseerock unterm nackten Oberkörper noch am Vollständigsten bekleidet. Die Bühne: ein anthrazitfarbener Raum mit einer großen weißen Fahne aus Papier, die gerade mal ein paar Minuten überlebt; ferner billige Resopaltische und ein paar rote Plastikstühle, die sehr bald mit Blut verschmiert sind, das sich die Protagonisten aus Flaschen über den Kopf gießen. Aber es kommt noch schlimmer.
20 Minuten nach Beginn der Vorstellung verlassen die ersten zwei Dutzend Zuschauer den Saal, viele andere werden folgen. In der Tat sieht das Stück über weite Strecken aus, als hätte man ein paar Pennern einen Kurs Schultheater verpasst, in dem sie dann unter Anleitung tun können, was sie sonst auch tun: undeutlich sprechen, raufen, miteinander in die Ecke pissen, mit T-Shirts über dem Kopf Leute dumm anmachen oder in Lederjoppe und mit dicker Brille einen schlecht bezahlten Job als verdingter Mörder annehmen.
Doch so einfach ist es natürlich nicht. Jürgen Gosch präpariert nichts anderes als das ganz und gar Ungeheuerliche an diesem Stück heraus. Nacktheit ist hier nicht als Provokation, sondern als die existentiellste Daseinsform schlechthin zu verstehen. Das Böse im Stück, hier: fortgesetzter Mord aus ohnehin schlecht motiviertem Ehrgeiz und mit den schlimmsten Folgen für die Seele von Macbeth, trifft die Menschen also ungeschützt. Das Irrationale ist das Dominierende, alles andere, schottische Geschichte, Politik, Schlachtengetümmel wäre ja schon wieder ein menschlicher Rahmen, hier geht es um das Abgründig-Unbewusste, lange vor Nietzsche, lange vor Freud: "Lieber tot sein als auf der Folter der Gedanken liegen, endlos gepeinigt", sagt Macbeth. Ein Schlüsselsatz dieser Aufführung.
Jürgen Gosch ist angetreten, um das ganz und gar Außer-Ordentliche des Schauspiels zu betonen, statt sich davor zu drücken. Weshalb er die gewohnte Dramaturgie außer Kraft setzt und manche Szenen-Übergänge fast schmerzhaft dehnt. Langes Klopfen am Tor. Langes Beifall-Klatschen beim Krönungsfest. Langes Morden. Langes anschwellendes Singen mit Hand auf dem Herz.
Die Ordnung der Dinge ist hier also ganz und gar aus den Fugen, aber im Grunde, sagt Gosch, ist das Stück selbst die Zumutung. Sein Hexenkessel aus zusammen geschobenen Tischen, auf deren Rand nackte Männer mit zwischen die Beine geklemmtem Gemächt vor Lust und Schmerz stöhnen über ihre Fäkal-Aktivitäten ist nur dessen konsequente Verbildlichung. Das Ungeheure wird als Ungeheuer dargestellt: Banquos Geist ist ein blutdurchtränktes, in Mehl gewendetes Etwas. Wir hören und sehen: Dialoge von zutiefst verstörten, entstellten, entwurzelten, de-moralisierten Menschen. Wer hätte zuletzt die Amoralität dieses blutigsten, vernunftlosesten Werks von Shakespeares so drastisch bewusst gemacht? Die Mord-Maschine aus Einbildung? Den dummen, geworfenen König?
Die kraftvolle und für alle Beteiligten anstrengende Inszenierung lebt auch vom Mut ihrer Schauspieler. Herausragend: Thomas Dannemann als Macbeth, Erwin Stötzner als König Duncan und als Hexe und Devid Striesow als Lady Macbeth.
Die Frage bleibt: soll man sich so was antun? Ja, man soll. Wer immer vier Tage zuvor im selben Theater das Stück zum "Thema der Saison" - Moritz Rinkes "Café Umberto" über Arbeitslosigkeit - in elegischem Selbstmitleid zerfließen sah, der wird goutieren, dass Theater wieder weh tut. Allerdings sollte man in Düsseldorf wenigstens das Programmheft mit Stückabdruck kostenlos verteilen. Für die einen als Schmerzensgeld. Für die anderen zum Wiederlesen eines Klassikers, der ganz offensichtlich zu früh als "vertraut" in unseren je persönlichen Kultur-Haushalt eingemeindet wurde. Die Übersetzung Angela Schanelecs und Jürgen Goschs Inszenierung präparieren das Wilde, das Unglaubliche, das Vormoderne und das Instinkthafte dieses Stücks heraus. Eine Aufführung wie ein Hexenwahn. Und das erste Muss der Saison für die Auswahl zum nächsten Berliner Theatertreffen. Wenn die sich trauen!
20 Minuten nach Beginn der Vorstellung verlassen die ersten zwei Dutzend Zuschauer den Saal, viele andere werden folgen. In der Tat sieht das Stück über weite Strecken aus, als hätte man ein paar Pennern einen Kurs Schultheater verpasst, in dem sie dann unter Anleitung tun können, was sie sonst auch tun: undeutlich sprechen, raufen, miteinander in die Ecke pissen, mit T-Shirts über dem Kopf Leute dumm anmachen oder in Lederjoppe und mit dicker Brille einen schlecht bezahlten Job als verdingter Mörder annehmen.
Doch so einfach ist es natürlich nicht. Jürgen Gosch präpariert nichts anderes als das ganz und gar Ungeheuerliche an diesem Stück heraus. Nacktheit ist hier nicht als Provokation, sondern als die existentiellste Daseinsform schlechthin zu verstehen. Das Böse im Stück, hier: fortgesetzter Mord aus ohnehin schlecht motiviertem Ehrgeiz und mit den schlimmsten Folgen für die Seele von Macbeth, trifft die Menschen also ungeschützt. Das Irrationale ist das Dominierende, alles andere, schottische Geschichte, Politik, Schlachtengetümmel wäre ja schon wieder ein menschlicher Rahmen, hier geht es um das Abgründig-Unbewusste, lange vor Nietzsche, lange vor Freud: "Lieber tot sein als auf der Folter der Gedanken liegen, endlos gepeinigt", sagt Macbeth. Ein Schlüsselsatz dieser Aufführung.
Jürgen Gosch ist angetreten, um das ganz und gar Außer-Ordentliche des Schauspiels zu betonen, statt sich davor zu drücken. Weshalb er die gewohnte Dramaturgie außer Kraft setzt und manche Szenen-Übergänge fast schmerzhaft dehnt. Langes Klopfen am Tor. Langes Beifall-Klatschen beim Krönungsfest. Langes Morden. Langes anschwellendes Singen mit Hand auf dem Herz.
Die Ordnung der Dinge ist hier also ganz und gar aus den Fugen, aber im Grunde, sagt Gosch, ist das Stück selbst die Zumutung. Sein Hexenkessel aus zusammen geschobenen Tischen, auf deren Rand nackte Männer mit zwischen die Beine geklemmtem Gemächt vor Lust und Schmerz stöhnen über ihre Fäkal-Aktivitäten ist nur dessen konsequente Verbildlichung. Das Ungeheure wird als Ungeheuer dargestellt: Banquos Geist ist ein blutdurchtränktes, in Mehl gewendetes Etwas. Wir hören und sehen: Dialoge von zutiefst verstörten, entstellten, entwurzelten, de-moralisierten Menschen. Wer hätte zuletzt die Amoralität dieses blutigsten, vernunftlosesten Werks von Shakespeares so drastisch bewusst gemacht? Die Mord-Maschine aus Einbildung? Den dummen, geworfenen König?
Die kraftvolle und für alle Beteiligten anstrengende Inszenierung lebt auch vom Mut ihrer Schauspieler. Herausragend: Thomas Dannemann als Macbeth, Erwin Stötzner als König Duncan und als Hexe und Devid Striesow als Lady Macbeth.
Die Frage bleibt: soll man sich so was antun? Ja, man soll. Wer immer vier Tage zuvor im selben Theater das Stück zum "Thema der Saison" - Moritz Rinkes "Café Umberto" über Arbeitslosigkeit - in elegischem Selbstmitleid zerfließen sah, der wird goutieren, dass Theater wieder weh tut. Allerdings sollte man in Düsseldorf wenigstens das Programmheft mit Stückabdruck kostenlos verteilen. Für die einen als Schmerzensgeld. Für die anderen zum Wiederlesen eines Klassikers, der ganz offensichtlich zu früh als "vertraut" in unseren je persönlichen Kultur-Haushalt eingemeindet wurde. Die Übersetzung Angela Schanelecs und Jürgen Goschs Inszenierung präparieren das Wilde, das Unglaubliche, das Vormoderne und das Instinkthafte dieses Stücks heraus. Eine Aufführung wie ein Hexenwahn. Und das erste Muss der Saison für die Auswahl zum nächsten Berliner Theatertreffen. Wenn die sich trauen!