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Machtprobe

Wer hat das Sagen: die Politik oder das Militär? Dieser Machtkampf wird in der Türkei schon seit langem geführt. So auch im vorliegenden Fall: Die Armee will elf ranghohe Offiziere befördern, die noch vor wenigen Jahren gegen die Regierung putschen wollten. Die Regierung stellt sich dagegen.

Von Susanne Güsten | 04.08.2010
    Blitzlichtgewitter im großen Tagungssaal des türkischen Generalstabs, doch bis auf das Klicken der Kameras ist nichts zu hören. Eisig schweigend sitzen 15 Generäle am Tagungstisch um Ministerpräsident Erdogan und seinen Verteidigungsminister Gönül herum, die ebenfalls versteinerte Mienen zeigen. Außer Erdogan und Gönül sind keine Zivilisten zugelassen bei der Tagung des Hohen Militärrates, bei der alljährlich die Personalfragen der türkischen Armee geregelt werden – und auch sie sitzen nur pro forma in dem Gremium. Die Meinung der gewählten Politiker ist hier nicht gefragt, wie der pensionierte Brigadegeneral Nejat Eslen erläutert:

    "Die türkischen Streitkräfte haben ihre Traditionen. Und dazu zählt es, dass die Streitkräfte selbst ihren Offiziersnachwuchs auswählen, ausbilden, fördern und befördern, bis hin zum Generalstabschef und den obersten Kommandanten. Die Politiker haben sich da nie eingemischt, und das war auch richtig so."

    Diesmal aber ist es anders – deswegen die frostige Stimmung im Saal. Erstmals in der Geschichte der Türkischen Republik hat der Staatspräsident angedroht, seine Unterschrift unter die Beschlüsse des Militärrats zu verweigern – die einzige Möglichkeit einer zivilen Macht, den Militärs hineinzureden.

    Anlass ist die geplante Beförderung von elf hohen Offizieren, die wegen Vorbereitung eines bewaffneten Umsturzes angeklagt sind. Die Staatsanwaltschaft wirft den Generälen und Admiralen vor, an der sogenannten Vorschlaghammer-Verschwörung beteiligt gewesen zu sein. Der Umsturzplan sah unter anderem vor, eine Moschee in Istanbul zu bombardieren und einen eigenen Kampfjet abzuschießen – alles, um Chaos zu säen und den Boden für eine Militärintervention zu bereiten. In der vergangenen Woche ergingen Haftbefehle gegen die Offiziere, der Prozess soll im Dezember beginnen. Dass die Angeklagten jetzt vom Militär befördert werden sollen, halten Juristen wie der pensionierte Staatsanwalt Mete Göktürk für rechtswidrig:

    "Das Armeedienstgesetz schreibt vor, dass Beförderungen von Militärangehörigen, gegen die ein Gerichtsverfahren läuft oder ein Haftbefehl anhängig ist, solange vertagt werden müssen, bis der Prozess abgeschlossen ist. Es wäre also ein schwerer Fehler, diese Offiziere zu befördern. Es ist ja eine Verwaltungsentscheidung, die der Militärrat fällt, und die muss auf der Rechtslage gründen."

    Die Beförderungen aber ist inzwischen schon längst nicht mehr nur eine Verwaltungsentscheidung, sondern ein Politikum – ein höchst sensibles Politikum. Regierung und Staatspräsident fordern vom Militär, auf die Beförderung der Offiziere zu verzichten, die sie aus dem Amt putschen wollten. Das Militär sieht darin einen Angriff auf seine bisherige Autonomie, wie Brigadegeneral Eslen sagt:

    "Es geht bei dieser Militärratstagung um den Machtkampf zwischen den Unterstützern der laizistischen, demokratischen Republik und den Anhängern des politischen Islam, also der Regierung. Die türkischen Streitkräfte sind die Verteidiger der demokratischen Republik, das war schon immer so. Deshalb versuchen die Politiker jetzt auf dieser Sitzung des hohen Militärrats, mit den Traditionen der Streitkräfte zu brechen, um das Militär außer Gefecht zu setzen. Darum geht es hier."

    Diese Meinung teilen freilich längst nicht alle im Land, nicht einmal in den Reihen der Militärs selbst. Auf der Militärratstagung gehe es um etwas ganz anderes, meint der frühere Stabsarzt Nevzat Tarhan:

    "Der Machtkampf geht zwischen den Erneuerern des Landes und denjenigen, die das alte System und vor allem ihre privilegierte Stellung darin bewahren wollen, der tief im Staatsapparat verwurzelte Riege von Putschisten. Der Machtkampf, der jetzt ausgetragen wird, hätte eigentlich schon vor 50 Jahren ausgetragen werden müssen, bevor es zu all den Militärputschen kam. In der Türkei haben sich die zivilen, gewählten Volksvertreter bisher nie behaupten können. Was die Militärs jetzt fürchten, ist genau dies."

    Um nichts weniger als eine Neubestimmung des Kräfteverhältnisses zwischen Militärs und gewählten Volksvertretern geht es in Ankara, wo seit Tagen ein Krisentreffen von Staatspräsident, Ministerpräsident und Generalstabschef auf das nächste folgt. Wie das Ringen ausgeht – ob die Offiziere tatsächlich befördert werden – das wird sich noch in dieser Woche zeigen, wenn die Beschlüsse des Militärrats bekannt gegeben werden.