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Machtrausch

Die Grünen und die SPD in Baden-Württemberg wollen über Ostern ihre Koalitionsverhandlungen fortsetzen. Deshalb geht es jetzt nicht nur um Inhalte sondern auch um Namen. Wer wird Minister in der ersten grün-roten Regierung.

Von Uschi Götz | 21.04.2011
    Auf der Wahlparty der Grünen liegen sich alle in den Armen. An diesem Abend ist alles vergessen, was gerade die Partei in Baden-Württemberg bisweilen vor eine Zerreißprobe stellte: der Konflikt zwischen Realos und Fundis. Zwei Lager, die zwar fast die gleichen Zielen hatte, aber bei der Durchsetzung unterschiedlich agierten.

    "Wir haben so etwas wie einen historischen Wahlsieg errungen."

    Die Mehrheit der Wähler im Ländle wünsche sich einen Landesvater, der wie eine Mischung aus Gandhi, Peer Steinbrück und Jürgen Klinsmann regiert, schrieb jüngst der Spiegel. Statt elf benötigt Kretschmann theoretisch zehn Mitspieler, denn zehn Ministerposten gibt es zurzeit in Stuttgart zu besetzen. Viele seiner Parteifreunde wollen jetzt was werden, am liebsten Minister.

    "Kraft, Ausdauer und Geduld."

    Die wird der künftige Ministerpräsident auch brauchen. "Der Mann geht einen schweren Gang", lässt sich der frühere Regierungschef Erwin Teufel zitieren. "Kretschmann ist ein seriöser Mann", sagt der CDU-Politiker in einem Zeitungsinterview, "aber es gibt zu wenig Kretschmänner oder Kretschfrauen bei den Grünen. Wertkonservative also, die wie der bodenständige Kretschmann sozusagen Oberrealos sind. Zwar gehören zwei Drittel der neuen Landtagsfraktion dem Realo-Flügel an; ein Drittel wird immerhin noch zu den Fundis, also zum linken Parteiflügel gezählt. Auch die Fundis werden Ansprüche auf Ministerposten erheben.

    "Kraft, Ausdauer und Geduld."

    Der künftige Regierungschef wird das brauchen, denn auch seine Parteibasis, vor allem in den Universitätsstädten, gilt politisch als stark links. Die Oberbürgermeister in Freiburg und Tübingen, übrigens Realos, können von stundenlangen ideologischen Diskussionen berichten. Vor fast genau 20 Jahren warnte der heutige Bundestagsfraktionsvizechef Fritz Kuhn bereits seine Parteifreunde:

    "Ich glaube, dass die Realos, das kann ich auch meinen politischen Freunde sagen, dass sie nicht immer zu sehr die Partei schlecht machen wollen, weil sie damit erreichen wollen, dass sie sich bessert."

    Kuhn hat viel mitgemacht, auch in seiner Zeit als Chef der baden-württembergischen Landtagsfraktion. Die musste in ihrer Anfangszeit sogar psychologisch betreut werden, weil sich die Mitglieder ständig verkrachten. Die Grünen haben die Kurve schließlich gekriegt, auch wenn es bis heute Leute gibt, die den verschiedenen Lagern angehören und deshalb bei mehrtägigen Treffen in getrennten Hotels untergebracht werden müssen. Schwamm drüber, nach 57 Jahren CDU-Vorherrschaft müssen die Grünen gemeinsam mit der SPD jetzt zeigen, was sie drauf haben. Fritz Kuhn ist wohl nicht dabei, er wird in Berlin bleiben. Denn er und Kretschmann mögen sich nicht besonders. Der künftige Ministerpräsident gehörte zu denen, die die Partei "bessern", also die Fundis überzeugen wollte. Eine Spezis, die der gläubige Christ mal "Gesinnungsethiker" nannte. Die Grünen wollten Kretschmann in den 1990er Jahren sogar aus der Partei ausschließen; er drohte damit, zur SPD oder CDU zu wechseln.

    "Also, wenn ich es mir wirklich selber aussuchen würde, würde ich Bildung und Finanzen machen - Ich finde, Bildung ohne Finanzen geht sowieso nicht."

    Muhterem Aras gilt als Ministerin gesetzt. Denn die Stuttgarterin ist die grüne Stimmkönigin, sie holte mit 42,5 Prozent nicht nur das landesweit beste Ergebnis, sondern auch eines von insgesamt neun Direktmandaten. Davon drei allein in Stuttgart - die Landeshauptstadt ist nicht mehr schwarz sondern grün - der Grund: der Widerstand gegen Stuttgart 21. Werner Wölfle ist das politische Gesicht gegen das Bahnprojekt. auch er eroberte ein Direktmandat. Der Wahlabend war für ihn die Krönung:

    "Weil ich jetzt schon so lange Politik mache und alle Kernerarbeit hinter sich gebracht hat, ist das auch eine große Genugtuung, dass diese Leute auf der Straße, dass wir gemeinsam diesen Wechsel hingekriegt haben."

    Wölfle mit einem Ministerposten zu belohnen, wäre konsequent. Fürs Verkehrsministerium im Gespräch auch der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer, weil er in vorderster Reihe mit Heiner Geißler schlichtete. Doch es gilt als wahrscheinlicher, dass Palmer bei der nächsten Oberbürgermeisterwahl in Stuttgart antreten wird. Dann fällt noch der Name Winfried Hermann. Der gebürtige Schwabe ist Verkehrsexperte der Bundestagsfraktion und hat ebenso engagiert gegen Stuttgart 21 gekämpft. Der 58jährige gilt als besonnen und einer, der mit dem Kretschmann gut kann:

    "Ja, jetzt ist die Wahl noch nicht einmal zu Ende und dann reden wir nicht über Minister, dann reden wir erst einmal über das Ergebnis. "

    In diesen Tagen wird klar: Die Grünen haben nicht zu wenig potenzielle Minister, sondern eigentlich viel zu viele. Hinzu kommt, die Regierungspartei ist mit einem CDU-lastigen Verwaltungsapparat konfrontiert. Amtsleiter, Referatsleiter, Regierungspräsidenten - wer in Baden-Württemberg etwas werden wollte, benötigte ein schwarzes Parteibuch. Die politische Färbung in den Ministerien birgt den eigentlichen Sprengstoff der kommenden Jahre.

    ""Ich gewöhne mich gerade daran, dass die Leute mich dauernd ansprechen und mich jetzt irgendwie alle kennen. Ob sie dann noch Ministerpräsident sagen, das macht es nicht mehr fett.""

    Bis 12. Mai darf Winfried Kretschmann mit seiner neuen Rolle fremdeln, dann wird er zum ersten grünen Ministerpräsidenten Deutschlands gewählt. Bis dahin dreht das Ministerkarussell seine Runden. Erfolg macht sexy - auch das haben die Grünen gelernt. Seit dem Wahlabend zählt die Landespartei rund 8.000 neue Mitglieder. Einige haben dem Aufnahmeantrag übrigens ihre Bewerbungsunterlagen beigelegt. Denn die Regierungspartei hat viele Jobs zu vergeben: Es werden Persönliche Referenten, Parlamentarische Berater und Pressesprecher gesucht.