Freitag, 19. April 2024

Archiv


Machtspiele in Portugal

In der Not rückten sie im vergangenen Jahr zusammen: die portugiesische Regierung unter Ministerpräsident Socrates und die größte Oppositionspartei PSD. Heute böte sich die Gelegenheit zum politischen Wechsel: Die PSD bräuchte nur einem Misstrauensantrag einer anderen Oppositionspartei zuzustimmen.

Von Tilo Wagner | 10.03.2011
    Pedro Passos Coelho ist seit knapp einem Jahr Präsident der PSD, der stärksten konservativen Kraft im portugiesischen Parlament. Doch so richtig ernst wird es erst jetzt für den 46-jährigen Geschäftsmann. Wenn heute das Parlament über einen Misstrauensantrag abstimmt, kann seine Partei den Sturz der Regierung auslösen und anschließende Neuwahlen erwirken. Selten schien in den vergangenen Monaten die Machtübernahme so greifbar nah. Und dennoch erklärte Parteichef Passos Coelho:

    "Ich habe der PSD-Fraktion die Entscheidung des politischen Komitees mitgeteilt, den Misstrauensantrag nicht zu unterstützen. Die PSD ist kritisch gegenüber der Regierung und verlangt von ihr, dass sie das Land richtig regiert. Denn dies ist immer noch der Zeitpunkt, an dem die Sozialisten regieren."

    Führende Figuren innerhalb der Partei, wie etwa der Fraktionsvorsitzende, kritisierten die Entscheidung. Jüngsten Umfragen zufolge liegt die PSD fast 20 Prozent vor den regierenden Sozialisten und würde bei Neuwahlen eine absolute Mehrheit nur knapp verpassen. Marina Costa Lobo, die in Oxford über Portugals politisches System promoviert hat, erklärt, warum der Druck auf den PSD-Vorsitzenden so groß ist:

    "In den ersten zwei Jahrzehnten der portugiesischen Demokratie war die PSD immer an der Macht. Das hat die Partei geprägt: Sie ist weniger ideologisch, und mehr auf die Person des Parteiführers zugeschnitten. Die Position des Vorsitzenden definiert, für was die Partei steht. Der Gang in die Opposition fiel der PSD sehr schwer. Denn als ehemalige Regierungspartei ist sie immer auf der Suche nach dem Vorsitzenden, der die Partei zurück an die Macht bringt."

    Der letzte "starke Mann" an der Spitze der PSD war der frühere Premierminister José Manuel Durão Barroso: Seit er im Sommer 2004 von Lissabon nach Brüssel gewechselt ist, herrscht große Instabilität in der Partei. Barrosos Nachfolger war dem Amt des Premierministers nicht gewachsen; und seit dem Verlust der Regierungsmacht im Jahr 2005 sind vier verschiedene Politiker an der Spitze der PSD gescheitert. Erschwert wird die Parteiführung zudem durch immer wieder aufflackernde Grabenkämpfe zwischen einem liberalen und einem konservativen, christlich-demokratischen Flügel. Dazu komme die relative Unerfahrenheit von Pedro Passos Coelho, meint Marina Costa Lobo:

    "Es ist unmöglich herauszufinden, welchem Parteiflügel Passos Coelho näher steht. Er hat weder unter einem liberalen noch unter einem konservativen PSD-Vorsitzenden eine wichtige Rolle gespielt. Er hat keine Erfahrung in einem politischen Amt auf nationaler Ebene sammeln können. Im Moment ist er wie ein unbeschriebenes Blatt."

    Will Coelho die Führungsposition innerhalb der eigenen Partei behaupten, muss er unter allen Umständen die nächsten Parlamentswahlen gewinnen. Doch trotz der guten Umfragewerte ist der Zeitpunkt für einen Sturz der sozialistischen Regierung noch nicht gekommen. Das sagt der Geschichtsprofessor und politische Analyst António Costa Pinto:

    "Die kurzfristige Perspektive für die PSD ist ernüchternd, selbst wenn sie mögliche Neuwahlen gewinnen würde. Sie müsste genau das gleiche Programm machen wie die Sozialisten. Das heißt: Kürzen, kürzen und noch mal kürzen, und damit Sozialleistungen streichen und die Arbeitslosigkeit in die Höhe treiben."

    Viele politische Beobachter gehen deshalb davon aus, dass Passos Coelho seine Parteigenossen auch in den kommenden Monaten um Geduld bitten wird. Denn der Handlungsspielraum für eine neu gewählte Regierung unter Führung der PSD wäre in diesem Jahr stark eingeschränkt. Um den Staatsbankrott zu verhindern, muss sich Portugal ganz eng an die vereinbarten Sparvorgaben halten. Viel Platz für neue politische Akzente bleibt da nicht.