Donnerstag, 18. April 2024

Archiv


Machtsymbol mit fünf Ecken

Der Grundriss erinnert an eine Festung und ist Symbol militärischer Stärke: Am 15. Januar 1943 bezog das US-Verteidigungsministerium das fünfeckige Gebäude am Rande Washingtons, das "Pentagon". Zu Fuß brauchte man nicht mehr als sieben Minuten, um von einer der fünf äußeren Ecken zur anderen zu gelangen.

Von Jochen Stöckmann | 15.01.2013
    "There can only be one answer, and that is war to final victory ... cost what it may in blood, treasure and tears. Now we must press the war with vigour and full efficiency.""

    Koste es, was es wolle, jetzt hilft nur noch Krieg - und der muss energisch und effizient geführt werden: Die Redner im US-Kongress gaben sich nach dem japanischen Überfall auf Pearl Harbour kämpferisch. Die Tatsachen in Washington aber sahen anders aus, alle Anstrengungen des Kriegsministeriums drohten zu versanden im Behördentrott zwischen 17 quer über die Hauptstadt verstreuten Standorten, manche Büros waren untergebracht in Lagerhäusern und Garagen.

    Präsident Roosevelt hatte deshalb im Sommer 1941 angeordnet, Führung und Verwaltung aller drei Streitkräfte - Heer, Marine und Luftwaffe - so schnell wie möglich in einem zentralen Gebäudekomplex unterzubringen, groß genug für die Anforderungen des Generalquartiermeisters:

    "Wir brauchen ein Gebäude für 40.000 Mitarbeiter, Parkplätze für 10.000 Autos. Das Ganze nicht höher als vier Stockwerke, ohne Fahrstühle, ohne Air Condition. Der gesamte Bau muss in spätestens einem Jahr fertig sein."

    Für die Architekten - George Edwin Bergstrom und David Witmer - blieb weder Zeit noch Geld, um Fassadendekor einzuplanen oder einen Turm im zentralen Innenhof durchzusetzen. Als Symbol militärischer Stärke blieb nur der Grundriss, aber auch dieses an Festungsbauwerke erinnernde Fünfeck war ausschließlich rationalen Erwägungen geschuldet: Durch die kranzförmige Staffelung von jeweils fünf Büroriegeln, auf einer Fläche von 114 Fußballfeldern radial durchschnitten von zehn Querkorridoren, brauchte man zu Fuß nicht mehr als sieben Minuten, um von einer der fünf äußeren Ecken zur anderen zu gelangen.

    Beim Pentagon hatten die Architekten Stahl für den Bau eines kompletten Schlachtschiffs einzusparen, sie verwendeten anstelle eines Eisenskeletts über 42.000 Betonsäulen. So entstand ein monotoner Rasterbau, bei dem allein die Ausmaße monumental gerieten - und der Aufwand für Kommunikation und Logistik:

    "Es wurden über 100.000 Kilometer Fernsprechkabel verlegt mit 125 Telefonvermittlungen, dazu ein schnelles Rohrpostsystem. Im Pentagon tickten 4000 Wanduhren. Vier Frauen waren allein damit beschäftigt, den Austausch der täglich etwa 6000 durchgebrannten Glühbirnen zu organisieren."

    Eine ungewöhnlich verschwenderische, doppelte Ausstattung mit Pausenräumen und Toiletten war durch die Rassentrennung nötig geworden. "Whites only" - nur für Weiße - stand an vielen Türen, bis Präsident Roosevelt bei seinem ersten Besuch des neuen Ministeriums die Entfernung der diskriminierenden Schilder anordnete.

    Am 15. Januar 1943, als das Pentagon offiziell seine Arbeit aufgenommen hatte, war der oberste Kriegsherr der USA in Casablanca, wo die Alliierten Deutschlands bedingungslose Kapitulation zum Ziel ihres Kampfes um Freiheit und Demokratie erklärt hatten.

    Kriegsziele und Strategien haben sich seither geändert, geblieben ist das Pentagon, dessen symbolische Bedeutung der Schriftsteller Norman Mailer im Oktober 1967 beim Protestmarsch gegen den Vietnamkrieg hervorhob:

    "Die Kathedrale jener komplexen Verschlingung von Militär und Industrie: Blindes Auge Pentagon, blindes fünfeckiges Auge der heimtückischen Unterdrückung."

    Im Oktober 1992 wurde das Pentagon zum nationalen Baudenkmal erklärt, mit einer offenherzigen Begründung:

    "Seit der Fertigstellung 1943 verkörpert seine enorme Größe den Einfluss dieses Ministeriums in der Zeit des Zweiten Weltkriegs."

    Dass es mehr denn je als Symbol amerikanischer Übermacht angesehen wurde, zeigte sich am 11. September 2001, als islamistische Terroristen ein Passagierflugzeug entführten und über Washington zum Absturz brachten. Claus Kleber, der ARD-Korrespondent, berichtete damals:

    "Ich sehe, dass der Nordwestflügel des Pentagon brennt. Es ist ein Gebäude, in dem weit über 10.000 Menschen arbeiten, das größte Behördengebäude der Welt. Ein ganzer, großer Teil des Gebäudes brennt."