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Machtwechsel in Kenia

29. Dezember 2002, 16.00 Ortszeit: die Wahlkommission erklärt Emilio Mwai Kibaki zum neuen Präsidenten der Republik Kenia.

Ralph Sina |
    29. Dezember 2002, 16.00 Ortszeit: die Wahlkommission erklärt Emilio Mwai Kibaki zum neuen Präsidenten der Republik Kenia.

    Einen Tag später wird der 72-jährige als neuer Staatschef vor Hunderttausenden im Uhuru-Freiheitspark von Nairobi vereidigt: nach Jomo Kenyatta und Daniel arap Moi ist Mwai Kibaki der dritte Präsident Kenias. - 39 Jahre Dauerherrschaft der Regierungspartei Kanu gehen zuende. 24 Jahre Ära Moi sind endgültig Vergangenheit. Die gewaltfreien und fairen Präsidentschafts-Wahlen im Dezember 2002 markieren einen tiefen Einschnitt in der Geschichte des Landes: Es ist, als habe für Kenia eine zweite Unabhängigkeit begonnen, die Unabhängigkeit von der korrupten postkolonialen Machtelite und ihrem Autokraten Daniel arap Moi.

    Zanele Mbeki, die first lady Südafrikas, bringt es vor den jubelnden Kenianern im Uhuru-Freiheitspark von Nairobi auf den Punkt: der friedliche Machtwechsel in Kenia ist ein Signal des Aufbruchs für den gesamten Kontinent.

    Die Demokratie in Kenia hat sich mit diesen Wahlen einen entscheidenden Schritt weiterentwickelt, sagt John Githongo, Kenia-Direktor der Nichtregierungsorganisation Transparency International. Ein grandioser Sieg für die rainbow-Opposition, die so genannte Regenbogen-Koalition der 13 größten Oppositionsparteien. Die sich zum ersten Mal seit Einführung der Mehrparteiendemokratie vor 11 Jahren nicht gegenseitig zerfleischten. Sondern ihr kleinkariertes Stammesdenken überwanden. Und die sich, ganz gleich welcher der 42 ethnischen Gruppen sie angehören, als bunt-schillernde Regenbogen-Koalition hinter Oppositionschef Kibaki vereinten. Doch der rainbow-Sieg war zugleich und vor allem eine Abrechung mit der Kenian African National Union, mit der selbstherrlichen Regierungspartei Kanu, die den Reichtum Kenias als ihren Partei- und Privatbesitz betrachtete, betont Transperancy International Direktor Githongo.

    Für Daniel, den Sohn des Moi, wie sein Name wörtlich übersetzt heißt, hatten die Menschen zum Schluss nur noch gellende Pfiffe und tiefe Verachtung übrig. Alles ist möglich ohne Moi, rufen sie bei seiner Abschiedsrede im Uhuru-Freiheitspark. Die Menge bewirft Mois Limousine mit Dreckklumpen, schimpft ihn einen Dieb und schleudert ihm immer wieder triumphierend den Namen des einstigen Oppositions– und jetzigen Regierungsbündnisses entgegen. -- Es ist die Stunde seiner größten Niederlage und schlimmsten Demütigung.

    Moi muss gehen. So schreibt es die Verfassung nach zwei gewählten Amtsperioden vor. Und Moi hatte bereits vor der Wahl angekündigt, dass er von der politischen Bühne abtreten werde: Daniel arap Moi, der mit 24 Jahren Dauerpräsidentschaft neben Libyens Gaddhafi, und Gabuns Omar Bongo zu den am längsten regierenden Staatschefs Afrikas gehört. Der gemeinsam mit seinen Söhnen und Parteikadern das einst reiche Kenia ausplünderte wie vor ihm sein Freund Mobutu den ehemaligen Kongo-Zaire: dieser 78-jährige Daniel arap Moi macht die Stunde seiner Niederlage zugleich zur Stunde seines größten historischen Verdienstes:

    Heute übergebe ich die schwere Bürde meines Amtes. Wir haben viel erreicht, aber vieles bleibt noch zu tun. Die nächsten fünf Jahre werden entscheidend sein für die Trendumkehr in Kenia.

    Doch die Kenianer haben keine Kraft mehr, Mois friedlichen Abgang von der politischen Bühne zu würdigen. Über zwei Jahrzehnte litten sie unter der Moi-Herrschaft. Kenia, zu Mois Amtsantritt auf dem gleichen wirtschaftlichen Niveau wie Südkorea und damals eines der reichsten Länder Afrikas, zählt heute zu den Armenhäusern des Kontinents.

    Alles hat seine Zeit, sagt David Murathe, einer der wenigen Kandidaten von Mois Regierungspartei Kanu, die den Wiedereinzug ins Parlament geschafft haben. Und dann fügt er hinzu: Eines Tages werde Moi trotz seiner korrupten Herrschaft als einer der großen Staatsführer Afrikas gewürdigt werden. Als einer, der sein Land weder in einen Krieg und noch in einen Bürgerkrieg gestürzt habe. Als einer, der Kenia einen friedlichen Übergang in eine neue Epoche ermöglichte.

    Die Kenianer sind entschlossen, die Vergangenheit hinter sich zu lassen und ein neues Leben zu beginnen, sagt Emilio Mwai Kibaki, wenige Minuten bevor er im Uhuru-Freiheitspark von Nairobi zum neuen Präsidenten vereidigt wird. Vom riesigen Holzpodest in Nairobis größten Stadtpark schwört Kibakis sambischer Präsidentenkollege Wanawassa die Kenianer wie ein Sonntagsprediger per Sprechgesang auf die neue Zeit ein.

    Wenn ich sage: "Die Stunde”, dann erwidert ihr: "ist gekommen"! Die Stunde ist gekommen, vor allem für Mwai Kibaki, den neuen Hoffnungsträger. Der von den Menschen gefeiert wird wie ein Nelson Mandela Ostafrikas: gekommen und gewählt, um die soziale Apartheid in Kenia zu überwinden. Die Aufspaltung der Gesellschaft in ein vegetierendes Millionenheer der Verarmten. Und einen kleinen ,feinen' Club schwarzer Dollar-Milliardäre.

    Als Anti-Korruptionspräsident will Mwai Kibaki Geschichte schreiben. Die Zeiten sollen endgültig vorbei sein, in denen die Restaurantmanager der großen Touristen-Hotels erst einmal von jedem neuen Kellner ein Monatsgehalt vorab kassierten.

    Der Vergangenheit angehören soll auch die in Kenia gängige Praxis, dass sich schlechtbezahlte Polizisten mitsamt ihren AK 47 Maschinengewehren den Verbrecherbanden von Nairobi als Gelegenheitskriminelle andienen. Die Käuflichkeit vieler Polizisten, die Verbrechensopfern allenfalls gegen Vorkasse helfen. Und die sich Verbrechern gegen cash als bewaffnete Stoßtrupps zur Verfügung stellen, macht Nairobi nach einer Sicherheitsstudie der Vereinten Nationen mittlerweile zu einer der zehn gefährlichsten Städte der Welt. Die Wahrscheinlichkeit, in Kenias Hauptstadt überfallen, ausgeraubt, entführt oder vergewaltigt zu werden, ist laut einer UN-Studie mittlerweile noch größer als im südafrikanischen Johannesburg. Internationale Investoren meiden deshalb die kenianische Millionenmetropole.

    Klaus Töpfer, der Direktor des Umweltprogramms der Vereinten Nationen, wirbt verzweifelt für den Erhalt des UN-Standortes Nairobi. Doch wegen der zunehmenden Gewaltkriminalität in Kenias Hauptstadt hat Töpfer immer größere Schwierigkeiten, qualifizierte Wissenschaftler für seine UN-Umweltorganisation zu finden. Der Kampf gegen Kriminalität und Korruption steht deshalb ganz oben auf der Agenda des neuen kenianischen Präsidenten.

    Kibakis Hoffnung: Wenn die Regierung das Problem von oben bekämpft, dann wird auch die Bevölkerung keine Korruption mehr tolerieren: dann wird es die Feuerwehr der Millionenmetropole Nairobi nicht mehr wagen, nur bei dem zu löschen, der vorher ein Bündel Bargeld vorbeibringt. Dann werden Schuldirektoren nicht mehr gute Noten gegen cash vergeben. Und Chirurgen nicht mehr ausschließlich jene Schwerverletzten operieren, deren Verwandte zuvor mehrere Monatsgehälter auf den OP-Tisch blättern. Dann ist es aus mit der Kultur des 'kleinen bisschen', des kitu kidogo, der allgegenwärtigen Bestechlichkeit. Die Kenias Popstar Eric Wainaina während des Wahlkampfes so treffend besang.

    Sein Anti-Korruptionslied "Nchi ya kitu kidogo” machte Kenias Popstar Eric Wainaina zum Volkshelden.

    Kenia war in Afrika in den letzten zwei Jahrzehnten unter Moi nicht für seine historischen Verdienste bekannt, für den Freiheitskampf der Mau-Mau zum Beispiel, sagt der Anthropolge Muhita Kitui, ehemaliger Oppositionspolitiker und jetzt Mitglied der rainbow-Regierung. Nein, Kenia hatte ein Negativ-Image und galt neben Nigeria als die Inkarnation der Bestechlichkeit, des "Alles ist käuflich, des "Gib mir ein kleines bisschen". Auch Francis Ogeto, ein Farmer aus der Nähe von Banana Hill, kennt nur ein Ziel: die Bekämpfung der Korruption. Denn Farmer Ogeto war jahrelang ihr Opfer: Obwohl der Kenia-Kaffee in Metallcontainern zu den Röstern nach Hamburg und in alle Welt verschifft wird, musste Francis Ogeto seine Kaffee- Bohnen zunächst in völlig überflüssige und teure Sisalsäcke verpacken. Bloß weil eine der größten Sisalfabriken Kenias einem der mächtigen ehemaligen Minister gehört.

    Ein Tag wie dieser, ein Tag des Neuanfangs, bedeutet für mich, dass Kenia seine Behörde zur Bekämpfung der Korruption und Wirtschaftskriminalität, die von der alten Regierung geschlossen worden war, wiedereröffnet und mit umfassenden Vollmachten ausstattet. Eine solche Institution ist die Grundlage für Entwicklung und Fortschritt.

    Doch hat der 72-jährige Präsident Mwai Kibaki, der seit einem schweren Autounfall während des Wahlkampfes an den Rollstuhl gefesselt ist, die fast übermenschliche Kraft und Energie, Kenias Korruptionssumpf trockenzulegen? Zumal Kibaki vor seiner Zeit als Oppositionsführer 10 Jahre lang Vizepräsident unter Kenias korruptem Staatschef Moi war, fragt John Githongo, Kenia-Direktor von Transparency International.

    Kibaki war Mois Stellvertreter in einer Phase, in der die Korruption in Kenia ständig zunahm. Kibaki hat sich zwar nicht persönlich bereichert. Aber er war Teil eines sehr korrupten Regimes.

    Nicht nur Präsident Kibaki selber, sondern auch sein von ihm gerade ernannter Erziehungsminister George Saitoti ist ein ehemaliger Vizepräsident der Moi–Ära. Saitoti war zudem verstrickt in einen der größten Finanzskandale des Landes und wechselte erst wenige Wochen vor der Wahl von der Regierungspartei Kanu zur Regenbogen-Opposition.

    Unsere Großmeister der Korruption sitzen jetzt wieder auf der Regierungsbank, meint Kanu-Abgeordneter David Murathe. Vielleicht können die uns mal verraten, wie sie jetzt plötzlich die Bestechung bekämpfen wollen.

    Doch Kenias neuer Präsident Kibaki hat keine Wahl. Nur wenn er die Korruption umgehend auf allen Ebenen bekämpft, bekommt er Geld vom Ausland. Und das braucht er dringend. Denn Kenias Staatskasse ist leer. Und Kibakis zentrales Wahlversprechen, die Gebühren an allen Grund- und Hauptschulen des Landes abzuschaffen, ist kostspielig.

    Kibaki muss dieses Versprechen bereits zum Schulbeginn im Januar einlösen, sonst drohen der neuen Regierung die ersten Massendemonstrationen. Denn die horrenden Schulgebühren haben Millionen kenianischer Kinder während der Moi-Ära von jeder Schulbildung ausgeschlossen und zu Analphabeten gemacht. Freie Schulbildung für alle, dieser Slogan hat entscheidend zu Kibakis Wahlsieg beigetragen.

    Ich erwarte, dass die neue Regierung ernst macht mit ihrem Versprechen einer freien Schulbildung, sagt diese Kibaki –Wählerin. Jawohl, wir werden dieses Zusage sofort umsetzen, betont Kibakis Vertrauter Kitui. Doch nur wenn Weltbank und Währungsfond ihre seit fünf Jahren gesperrten Kredite von 500 Millionen US-Dollar freigeben, nur dann ist das Geld da, um den Kampf gegen Kenias Analphabetentum dauerhaft zu finanzieren und gleichzeitig den Staatsbankrott zu vermeiden. Doch die Kenia–Kredite werden erst überwiesen, wenn das neue Parlament die angekündigten Antikorruptionsgesetze verabschiedet und die Regierung der neuen Anti-Korruptionsbehörde umfassende Strafverfolgungs-Kompetenz einräumt.

    Kibakis Regierungsmannschaft hat keine Wahl, sagt Trancparency–International-Direktor Githongo. Die politische Legitimation dieser Regierung hängt aus Sicht der Kenianer und der internationalen Geldgeber vom Kampf gegen die Korruption ab.

    Der Kampf gegen die Korruption bedeutet in Kenia zugleich die Bekämpfung des internationalen Terrorismus. Bisher machten es Kenias bestechliche Grenzbeamte potentiellen Attentätern sehr leicht, Waffen und Sprengstoff nach Kenia zu schmuggeln. Sei es aus den direkt angrenzenden Bürgerkriegsländern Somalia oder Südsudan. Sei es über den Hafen von Mombasa.

    Rückblende: 28. November, 8.15 Uhr. Ein deutscher Mombasa-Urlauber erinnert sich:

    Gegen 8.15 habe ich einen lauten Knall gehört. Das hört sich genauso an, als ob ein Flugzeug durch die Schallmauer bricht.

    Doch es ist kein Flugzeug. Es sind 200 Kilogramm TNT, die das israelische Paradise-Hotel von Mombasa in die Luft jagen und 16 Menschen töten. Wenige Minuten vor dem Hotelattentat feuern Terroristen zwei schultergestützte Raketen auf eine israelische Chartermaschine, die gerade vom Mombasa-Flughafen abhebt. An Bord befinden sich 271 Menschen. Die Raketen verfehlen die Tragflächen der Boing 757 nur um wenige Zentimeter. Warum trifft der internationale Terrorismus zum zweiten Mal innerhalb von vier Jahren ausgerechnet Kenia? Erst das Attentat auf die US-Botschaft in Nairobi. Dann der Doppelanschlag von Mombasa. Für Sheik Ali Shei, Mombasas prominenten Imam und Moslemführer, liegt die Antwort auf der Hand:

    Weil Du in Kenia sehr leicht fast jeden kaufen kannst. Zollbeamte zum Beispiel. Die lassen im Hafen von Mombasa gegen das entsprechende Schmiergeld auch Sprengstoffcontainer ins Land.

    In weiten Teilen Kenias herrscht Anarchie: Du kannst machen, was Du willst. Entsprechend leicht ist es für Terroristen, ins Land zu kommen, fügt der Mann hinzu, der von westlichen Geheimdiensten selber des Terrors verdächtigt wird.

    Das korrupte Kenia, ein Eldorado für finanzkräftige Terrorgruppen. Und ein Alptraum für die meisten seiner Bewohner, die von wenigen Cent pro Tag leben müssen.

    Kenia, das einstige Wirtschaftszentrum Ostafrikas, mit acht Universitäten und drei internationalen Flughäfen. Mit traumhaft schönen Nationalparks und luxuriösen Hotels am Indischen Ozean. Mit einigen der besten Kaffee- und Teesorten der Welt und hochprofitablen Blumenfarmen. Dieses Kenia ist während der Ära Moi zum Mega-Slum verkommen.

    Ich fürchte, dass die Erwartungen der Kenianer an die neue Regierung extrem hoch und unrealistisch sind. Die Kenianer erwarten, dass sich ihr Leben buchstäblich über Nacht verändert, dass jetzt alle einen Job bekommen, dass alles sofort besser wird, sagt Politikwissenschaftlerin Ann Njabera von der Universität in Nairobi.

    Kenia steht nach der Befreiung von den britischen Kolonialherren und von der postkolonialen Ära Moi ein dritter Unabhängigkeitskampf bevor: der Kampf gegen Armut, Korruption und Kriminalität - der Kampf gegen das Erbe der hyperkorrupten Ära Moi.