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Madagaskar
Die Wege der Parasiten bei den Lemuren

Parasiten brauchen Wirte. Am Beispiel der Lemuren untersuchen Biologen, welche Tiere und aus welchem Grund besonders gefährdet sind. Diskutiert wurde das Ergebnis auf den 9. Göttinger Freilandtagen des Deutschen Primatenzentrums.

Von Michael Stang | 06.12.2013
    "Es sind immer so zwischen 35 und 40 Tiere, je nachdem wie viele Babys schon gefressen wurden."
    Sagt Andrea Springer mit einem gewissen Fatalismus, den sich alle Madagaskarforschenden irgendwann zu Eigen machen. Denn die Fossas, die einzigen Raubtiere des Eilandes vor Ostafrika, schätzen Lemuren als einfache Beute. Bei den Studienobjekten der Tiermedizinerin handelt es sich um Primaten namens Verreaux's sifaka: schwarzweiße, drei Kilogramm schwere Tiere, die im Kirindiwald im Westen der Insel heimisch sind.
    "Ich habe jetzt über zweieinhalb Monate hinweg etwa 300 Kotproben gesammelt, das sind etwa drei Proben pro Tier pro Monat. Und wir haben bis jetzt 22 Tiere während dieser Studienphase anästhesiert und invasive Proben nehmen können. Der Plan ist, dass wir einen Großteil der Population dann auch invasiv untersuchen können."
    Denn den Lemuren, die meist in kleinen Gruppen mit höchstens neun Tieren leben, machen nicht nur die Raubtiere zu schaffen, sondern auch Schmarotzer. Diese können das Immunsystem der kleinen Primaten erheblich beeinträchtigen.
    "Also, erstmal interessieren wir uns für die Parasiten, die diese Tiere überhaupt haben. Und dann geht es vor allem dadrum, wie diese Parasiten sich durch das Sozialsystem der Tiere von einem Tier auf das andere übertragen und welche Faktoren des Sozialsystems da eine Rolle spielen."
    Diese Lemuren, die Namen wie Bochum, Montreal oder Zürich bekommen haben, aber auch Ghandi, Goa und Florida sind darunter, werden befallen von Viren, Bakterien, Einzellern oder Würmern, die sich im Darm ausbreiten. Hinzu kommen sogenannte Ektoparasiten wie etwa Milben oder Läuse. Um diese Schmarotzer zu untersuchen, sind neben den Kotproben auch invasive Untersuchungen wie Blutproben oder Abstriche vonnöten. Die meisten Analysen kann Andrea Springer vor Ort mittels Mikroskopie machen, die anderen Proben werden mit nach Deutschland genommen, wo sie im Deutschen Primatenzentrum in Göttingen genetisch untersucht werden. Dank der GPS-Sender, die den betäubten Tieren verpasst wurden, kann die Forscherin auch Bewegungsprofile erstellen und schauen, in welchen Gebieten sich die Tiere einzeln oder als Gruppe tummeln und mit welchen Tieren sie dann dort interagieren.
    "Die ersten Ergebnisse sind ganz interessant: Wir finden zum Beispiel eine sehr hohe Prävalenz, also sehr viele Tiere in der Population sind infiziert mit Parasiten, im Gegenteil zu den Studien, die es vorher gab, wo nur sehr wenige Parasiten bei diesen Tieren gefunden wurden."
    Mitunter wiesen knapp 90 Prozent der Tiere bestimmte Infektionen auf. Die in der Trockenzeit gewonnenen Ergebnisse zeigen, dass die Männchen sich permanent infizieren, die Weibchen hingegen weniger.
    "Das kann mit deren Sozialverhalten zusammenhängen. Wir haben zum Beispiel zeigen können durch unsere Verhaltensbeobachtungen, dass die Männchen die Weibchen mehr putzen als umgekehrt."
    Während die Männchen die Weibchen durch die soziale Fellpflege von den Parasiten befreien, sind sie gerade in diesen Situationen gefährdet, sich selbst weitere Schmarotzer einzufangen. Das liegt vor allem an der besonderen Methode der Fellpflege.
    "Die Lemuren benutzen, um sich gegenseitig zu putzen, einen sogenannten Zahnkamm, der im Unterkiefer sitzt. Das heißt, sie machen das nicht mit den Händen wie andere Primaten, sondern mit dem Maul."
    Im kommenden Frühjahr wird Andrea Springer wieder in Madagaskar ihre acht Lemurengruppen beobachten. Während die Primaten in der Trockenzeit eher in ihrer Gruppe unter sich bleiben, werden die Tiere dann zur Regenzeit aktiver, denn dann gibt es mehr Futter, die Paarungszeit steht an und die Gruppen interagieren intensiv. Den Lemuren dürfte dann vermutlich eine Hochzeit an parasitären Infektionen bevorstehen.