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Mächtige Online-Mütter

Wenn die "mumsnetter" ein Produkt empfehlen oder ablehnen, hat das kommerzielle Folgen. Seit Beginn des Wahlkampfes wird mumsnet.com nun auch von der ganzen Palette britischer Politiker umworben.

Von Ruth Rach |
    Groß, blond, und sehr fokussiert. Justine Roberts, Mitbegründerin der Webseite mumsnet.com (englischsprachig) berät mit ihrem Redaktionsteam, wie sie die Wahldebatte der drei britischen Spitzenkandidaten auf ihrem Internetforum live am besten begleiten.

    Konzentriert euch nicht zu sehr aufs Twittern, sagt sie, sonst verliert ihr die eigentliche Debatte aus den Augen.

    Das mumsnet-Hauptquartier ist in einer ehemaligen Fabrikhalle in Nordlondon untergebracht. Hell, luftig, funktional. Auf den Tischen liegen Kinderbücher, Ratgeber, Produktinformationen. Die Redakteure, fünf Frauen, zwei Männer, arbeiten simultan mit Groβbildschirm und Laptop. An der Wand hängt ein Poster: Ruhe bewahren und weitermachen.

    Mumsnet.com wurde vor zehn Jahren von Justine Roberts gegründet. Auslöser war ein enttäuschender Urlaub, den die Sportreporterin mit ihren drei kleinen Kindern erlebt hatte. Sie beschloss, ein Internetforum einzurichten. Ein Riesenerfolg. Bald tauschten sich Mütter online nicht nur über miese Urlaubserfahrungen aus, sondern über alle möglichen Produkte und Probleme. In Schulen, am Arbeitsplatz, in der Partnerschaft. Inzwischen hat die Webseite rund eine Million User, die rund um die Uhr füreinander da seien, erzählt Justine Roberts: online und offline. Eine mächtige mumsnet-Community.

    80 Prozent unserer Userinnen würden kein Produkt kaufen, ohne sich zuerst bei mumsnet zu informieren. Und wenn ihnen ein Produkt missfällt, veranstalten sie eine Riesenaktion. Neulich zum Beispiel, da hat ein Kaufhaus Bikinis für Sechsjährige verkauft, mit ausgestopften Oberteilen, die kleinen Mädchen sollten wohl wie Mini-Lolitas aussehen. Da machten die mumsnetter so viel Druck, dass die Bikinis schleunigst vom Markt genommen wurden.

    Auch eine Werbekampagne mit der Parole "Karrierefrauen sind schlechte Mütter" versetzte die mumsnetter-Community in Rage. Sie agitierten heftig. Alle 4000 Plakate wurden eingestampft.

    Mumsnet ist eine groβe britische Institution, erklärte erst vor Kurzem Labour-Premierminister Gordon Brown. Mit einem etwas forcierten Lächeln. Alle drei Wahlkandidaten haben nämlich begonnen, mumsnet zu umwerben, weil sie dort besonders viele Wechselwählerinnen vermuten. Und Gordon Brown kam bei seinem Webchat auf der Internetplatform mumsnet nicht sonderlich gut weg. Die Mehrheit der mumsnetter sind gebildete, professionelle Frauen aus der Mittelschicht. Sie haben es nicht gern, wenn sich ein Politiker um eine Frage herumdrückt. Auch um eine banale.

    Der Premierminister wurde 12-mal nach seinem Lieblingskeks gefragt. Vergebens. Und überhaupt klang er wie ein Automat, der Versatzstücke aus seinem Wahlmanifest ausspuckt. Die mumsnetter hatten das Gefühl, dass er ihnen nicht zuhörte, und haben ihn auf der Chatseite ziemlich zerrissen. Der konservative Oppositionsführer David Cameron scheiterte übrigens an der Frage, wie viel Windeln sein behinderter Sohn pro Tag brauchte. Am besten kam noch der liberale Parteichef Nick Clegg rüber, er war der letzte und hatte aus den Fehlern der anderen gelernt.

    Nick Cleggs Frau ist übrigens die einzige, die sich weigert, im Wahlkampf ihres Mannes als Geheimwaffe benutzt zu werden. Sara Brown und Samantha Cameron hingegen bemühen sich nach Kräften, ihre Gatten mit einem Weichzeichner zu versehen. Beide Politiker hatten schon zu Beginn des Wahlkampfs einen Wettbewerb der Gefühle gestartet, indem sie in Talkshows mit feuchten Augen über persönliche Tragödien sprachen. Dass sie damit nicht unbedingt Frauenherzen erobern, beweist die Reaktion der mumsnetter, die sich auf ihrer chatseite gnadenlos über die - Zitat - Krokodilstränen mokieren.

    Welch eine seltsame Fehlannahme, dass Frauen für die Politiker stimmen, die am meisten weinen. Klar schadet es nicht, wenn wir die Ehefrauen sympathisch finden, aber das heißt noch lange nicht, dass wir ihre Männer wählen. Was uns interessiert, ist die Situation auf dem Arbeitsmarkt, das Haushaltsloch, die Kürzungen. Uns geht's um Politik nicht Persönlichkeiten.

    Bei der Biscuit-Kontroverse hat Gordon Brown übrigens klein beigegeben. Nach seinem Internetauftritt schickte er schlieβlich sechs Dosen Schokokekse ins mumsnet-Hauptquartier. Allerdings waren die Biscuits laut Justine Roberts ziemlich nahe am Verfallsdatum.

    mumsnet