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Mädchen, die pfeifen

Sie war ein Multitalent. Schauspielerin, Sängerin, Schlagersängerin hieß das damals noch, Moderatorin von Fernseh-Shows, ein Star der Berliner UFA-Filmproduktion und der jungen deutschen Fernseh-Unterhaltung. Sie gehörte eindeutig der leichten Muse an und wechselte spät an die Bühne und ins Charakterfach. "Wunschkonzert", der Film, der Ilse Werner berühmt machte, war in verschiedener Hinsicht ein Schicksalsfilm. "Nationalsozialistischer Propagandafilm im Gewand einer zeitgenössischen Liebesgeschichte" urteilt das elektronische "filmportal". Als er vor kurzem unkommentiert auf DVD erschien, gab es darob berechtigte Empörung von Seiten der Filmkritik.

Von Peter W. Jansen |
    Annähernd 30 Millionen Zuschauer haben bis 1945 den Film "Wunschkonzert" gesehen, viele Millionen auch später, als die 1946 von den Alliierten Militärbehörden verbotene, mit Nazi-Propaganda tief durchsättigte rührende Liebesgeschichte 1974 von der ARD ausgestrahlt wurde. Da verliebt sich während der Olympischen Spiele 1936 in Berlin eine junge Besucherin in einen feschen Luftwaffenoffizier - und sofort werden sie wieder getrennt, Ilse Werner und Carl Raddatz. Denn schon ist Krieg vor dem Krieg, in Spanien, wo die reguläre Regierung von den Faschisten aus Amt und Land gebombt wird, mit Hilfe der Flieger der deutschen "Legion Condor", die schon einmal für den kommenden Weltkrieg trainieren.

    1940, als der Film "Wunschkonzert" entstand und dazu beitrug, die Radiosendung "Wunschkonzert" zum grössten Hit aller Zeiten der deutschen Rundfunkgeschichte zu machen, war die in Batavia geborene Ilse Charlotte Still 19 Jahre alt. Die Schauspielschule hatte sie in Wien bei Max Reinhardt besucht, dem sie den Künstlernamen Ilse Werner verdankte und ihr erstes Bühnen-Engagement mit 16. Prompt folgte das Filmdebüt - an der Seite von Käthe von Nagy, Lucie Englisch, Hans Moser, Theo Lingen, alles erste Adressen jener Jahre. Der Film über eine der ersten Wohngemeinschaften, in der sich vier Abiturientinnen zusammentun, hiess "Die unruhigen Mädchen", unter denen sich die stets muntere, umsichtig lebenstüchtige Ilse Werner als zuverlässige gute Kameradin auszeichnete.

    Das war und blieb das Markenzeichen der sportlich schlanken dunkelblonden Frau, der Typ, der überall im Westen gefragt war, als die Zeiten unbequemer wurden und den Männern weniger nach dem Vamp ihrer Träume zumute war, als nach der Frau an ihrer Seite: aufopferungsbereit, treusorgend, immer geradeaus, stets Hoffnung verbreitend. In Amerika hiessen sie Barbara Stanwyck und Claudette Colbert, in Frankreich waren es Danielle Darrieux und Annabella, und in Deutschland kamen nach Lilian Harvey und Magda Schneider die Wienerin Paula Wessely und die Holländerin Ilse Werner, die erst durch eine Sondergenehmigung von Goebbels für die Ufa freigegeben wurde. Sie hätte leicht neben der Leuwerik und der Schell, Luise Ulrich und Romy Schneider weiter in der Gunst der deutschen Filmproduktion nach dem Krieg bestehen können, wenn ihre Karriere nicht durch ein wenn auch kurzes Arbeitsverbot einen irreparablen Knick bekommen hätte.

    Das "Wunschkonzert" mit den propagandistischen Akkorden und der Kriegsfilm "U-Boote westwärts" mit den Propaganda-Torpedos waren ihr Schicksal – nicht zuletzt, weil "Grosse Freiheit Nr. 7", eine Art von Gegenfilm, in dem Ilse Werner die Partnerin von Hans Albers war, nicht mehr zum Einsatz kam, wenigstens in Deutschland nicht, sondern noch im März 1945 von Goebbels verboten worden war. Dabei hatte sie doch als das Mädchen Gisa den Reeperbahn-Sänger Hannes dazu ermuntert, wieder auf See zu fahren.

    "Warum bis du eigentlich nicht auf See geblieben, Hannes? - Das verstehst du nicht, mein Deern. - Entschuldige, bitte, Hannes, ich wollte dir nicht wehtun."

    Und das hat sie nie getan. Auch nicht in ihrem anderen Film neben Albers, dem aufwändig produzierten "Münchhausen", in dem sie die Prinzessin Isabella d’Este spielte. - Sie war jedoch immer auch eine Sängerin gewesen mit Gassenhauern wie "Sing ein Lied, wenn du mal traurig bist", "Du und ich im Mondenschein", "Die kleine Stadt will schlafen gehen" oder "Fips, der Pfeifer", in dem sie ihr zweites musikalisches Talent voll zur Entfaltung bringen konnte: das Pfeifen. Das, begonnen in Helmut Käutners Komödie "Wir machen Musik", war von einer Virtuosität, die auch Krieg und Nachkrieg überstehen konnte. Unzählige Unterhaltungsabende auf der Bühne und im Fernsehen und Radio waren davon erfüllt, bis Ilse Werner, im Fernsehen, erfolgreich ins Mutterfach wechseln konnte, etwa in der Serie "Die Bräute meiner Söhne". Die ist heute so wenig bekannt wie die Tatsache, dass Ilse Werner 1967 eine eigene Show ("Eine Frau mit Pfif"") hatte und Anfang der 80er Jahre die Leitung der Talkshow "Senftöpfchen" übernahm - von Alfred Biolek.

    1986 endlich wurde sie für ihr Lebenswerk "für langjähriges und hervorragendes Wirken im deutschen Film" mit dem Filmband in Gold ausgezeichnet. Sie hat zuletzt in der Nähe von Lübeck gelebt. Dort ist sie jetzt im Alter von 84 Jahren gestorben.