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Männer im Matsch

Michael Thalheimer hat mit Shakespeares Liebes- und Verwechslungskomödie "Was ihr wollt" die neue Spielzeit des Deutschen Theaters in Berlin eröffnet: Im Schlamm und Matsch, Sinnbild für Liebe und Triebe, suhlen sich die - ausschließlich männlichen - Schauspieler. Ein dreckiger Liebeskampf, der auch die Kleidung der Zuschauer in den ersten Reihen in Mitleidenschaft ziehen kann.

Von Hartmut Krug |
    Bei Michael Thalheimer gibt es keine elegische Atmosphäre von Liebeslust und -Leid, bei ihm ist Shakespeares idyllisches Illyrien im Bühnenbild von Olaf Altmann ein leeres, matschiges Kampffeld für die Liebe und Triebe der Menschen. Hier regnet der Regen wirklich jeglichen Tag, wie der Narr in einem seiner so traurig todesängstlichen, todesehrlichen Liedern singt.

    Was hier alle wollen, ist Liebe, ob zu einem anderen Menschen, ob als Projektion oder gar zu sich selbst. Und so stolpern sie aus der die Spielfläche begrenzenden Holzwand immer wieder durch eine Drehtür auf die Spiel- und Kampfszene und machen sich natürlich mächtig schmutzig dabei.

    Sie fallen und werfen sich so oft in den Dreck, dass einerseits die erste Zuschauerreihe mit Plastikplanen ausgestattet werden musste, dass aber andererseits die Wiedererkennungs-Szene des durch Schiffbruch getrennten Zwillingspaars Viola und Sebastian wunderbar funktioniert: Beide sehen sich ähnlich, weil beide völlig verdreckt sind, weil beide im Liebeskampf gelitten haben. Mal singen alle "Wish you were here", oder der am Bühnenrand postierte Gitarrist schlägt Akkorde von "Je t'aime", und Herzog Orsino posiert zu Beginn mit seiner Sehnsucht nach Musik als Nahrung von Liebe, im Lichtspot eingenebelt, die Arme gen Himmel gereckt, wie ein Rockstar:

    So wie der Herzog durch seinen Gestus als selbstverliebter, sich die Liebe zur Gräfin Olivia nur einbildenden Menschen charakterisiert wird, so werden hier alle Figuren durch ihren jeweiligen körperlichen Gestus kenntlich und nicht durch das, was sie sagen. Wie in dieser Inszenierung Figurencharakterisierungen wirklich erspielt werden, wie hier aber zugleich auch die derb-direkte, elegant zotige Übertragung von Thomas Brasch souverän genutzt wird, um den komödiantischen Witz der Streit-, Verwechslungs- und Rüpelszenen zu verstärken, das zeigt ein Ensemble in Höchstform. Wie zum Beispiel Michael Schweighöfer, indem er den Narren als dickbäuchigen, zottelbärtigen Mann in Hochwasserhosen ausstellt, diesem zugleich Poesie wie Komik gibt, ist wunderbar.

    Dass Michael Thalheimer alle Rollen wie zu Shakespeares Zeiten mit Männern besetzt hat, ist weder ein Beitrag zur Werktreue noch ein Kommentar zur Gender-Theorie. Shakespeares Liebes-Verwirrspiel, in dem eine Frau einen Mann spielt und zugleich in ihren Herrn verliebt ist, der wiederum eine Frau liebt, die sich aber in die als Mann verkleidete Frau verliebt, wird durch die rein männliche Besetzung nicht doppelt verwirrend, sondern zeigt Liebe als ein allgemein menschliches Gefühl, als eine existenzielle Haltung an sich.

    Alle, die sich in den Gefühlsschlamm werfen, tragen deutliche Spuren davon, sind patschnass und erddreckig. Nur der Herzog, Olivias Kammermädchen und der Narr, bleiben "sauber", weil sie bei sich bleiben. Doch alle anderen gehen aus sich heraus, selbst der Kapitän, der mit dem männlichen Teil des Zwillingspaares, mit Sebastian, in die Stadt kommt: Er liebt den jungen Mann sehr heftig und handgreiflich. Und Gräfin Olivia, die Ingo Hülsmann körpersprachlich leicht tuntig ironisiert, auch, indem er immer wieder seine behaarten Männerbeine unter dem hochgehobenen Rock zeigt, ist nicht von schmachtender, sondern von zupackender Art.

    Erst zwingt Hülsmanns Olivia die als Mann Caesario verkleidete Viola derb zu Boden, und später tut sie das gleiche mit deren Zwillingsbruder Sebastian. Liebe kann eben auch nur ein Besitzergreifen, ein Zwang sein. Wie ein Mensch durch unterschiedlichste Liebeswünsche in totale Verwirrung gebracht werden kann, zeigt Stefan Konarske als Viola wunderbar, indem er seine Figur fast in fahrig zitternde Selbstauflösung führt. Ein Happyend kennt diese Inszenierung nicht: die Menschen, die sich gefunden zu haben glauben, gehen am Schluss nicht als Paare vom Spiel- und Kampffeld. Und ein anrührendes Opfer gibt es auch: den Haushofmeister Malvolio, der anfangs eitel-selbstsicher, ganz in weiß, über den Matsch geschwebt war.

    Michael Benthin gibt ihn wunderbar als selbstbezogenes, elegantes Ekel, dem übel mitgespielt wird. Seine einsame traurige Gestalt auf leerer Bühne bleibt der letzte Eindruck, den die spielerisch und konzeptionell überzeugende Inszenierung nach zwei pausenlosen Spielstunden dem Publikum bietet. Eine Inszenierung, bei der der Zuschauer wegen wiederholter Matschspiele aber auch mal durchhängt und den Zuschauer die extrem harten Zeltbänke schmerzlich spüren lässt.