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Märchenerzähler der verwandelten Welt

Der bekannteste Repräsentant der sorbischen Literatur, Jurij Brezan, ist im Alter von 89 Jahren gestorben. Mit ihm habe die zweisprachige Geschichte der sorbischen Literatur in den 1950er Jahren erst begonnen, stellt Christian Prunitsch von der TU Dresden heraus. Das auf einer sorbischen Legende basierende Buch "Krabat oder Die Verwandlung der Welt" sei sein dauerhaftestes literarisches Denkmal.

Der Literaturwissenschaftler Christian Prunitsch im Gespräch |
    Novy: Wir gedenken eines Schriftstellers, der in aller Welt bekannt wurde, obwohl er eine der allerkleinsten Sprachgemeinschaften des Globus vertrat, Jurij Brezan heißt er. Er ist gestorben. Er wäre in diesem Frühsommer 90 Jahre alt geworden, war bis zuletzt aktiv. Seine Krabat-Romane und anderes von ihm wird bleiben. Er war eben der bekannteste Repräsentant der sorbischen Literatur, ohne andere Autoren schmälern zu wollen, vor allem die Lyriker. Ich habe Christian Prunitsch von der TU Dresden zu Brezan befragt und zunächst von ihm wissen wollen, wie man sich das Schreiben eigentlich vorstellen muss. Schreib Brezan sorbisch und deutsch?

    Prunitsch: Ja, das interessante an Brezan ist ja, dass mit ihm in den 1950er Jahren die zweisprachige Geschichte der sorbischen Literatur ja überhaupt erst beginnt. Brezan ist der erste Autor, der mit einer Anthologie sorbische Literatur für deutsche Rezipienten dadurch auch geöffnet hat, dass er auch selbst parallel sorbisch und deutsch geschrieben hat. Er selbst hat zu seinem zweisprachigen Schaffen geäußert, dass er jeden dieser Texte, auch umfangreiche Romane, immer wieder von neuem schreiben müsse, beispielsweise bei einer Darstellung einer Hochzeit, die im sorbischen Brauchtum ja sehr klar ausdifferenziert und unglaublich reich geschmückt stattfindet, musste er, schrieb er selbst, für die sorbische Fassung nur eineinhalb Zeilen schreiben und für die deutsche Fassung gleich mehrere Seiten. Das sind ungefähr die Unterschiede zwischen sorbischem und deutschem Schaffen, die sich in der sorbischen Nachkriegsliteratur dann in einem ungemein vielseitigen zweisprachigen Schaffen auch niedergeschlagen haben. Besonders auch in der Lyrik, auch dafür hat Brezan gewiss Akzente gesetzt.

    Novy: Und er hatte damit auch keine Probleme? Denn wie genehm war denn das sorbische Schreiben?

    Prunitsch: Das sorbische Schreiben war in der DDR ja ausgesprochen genehm, das war ausgesprochen willkommen, zumal die sorbische Minderheit als eine slawische Minderheit ja gewissermaßen ein Brudervolk des großen russischen Freundes gewesen war. Insofern kann man sagen, dass sorbische Literatur besonders in der DDR erstmals in der langen Geschichte der Sorben in Deutschland in dem Maße institutionelle Förderung erfahren hat, wie das durch die Schaffung der zahlreichen Kulturinstitutionen in den 50er Jahren und 60er Jahren bis heute ja der Fall gewesen ist.

    Novy: In dieser Schaffensperiode, die Sie vorhin beschrieben haben, ist ja auch das bekanntestes Buch, oder sind die bekanntesten Bücher von Jurij Brezan erschienen, das bekannteste ist ja wohl "Krabat oder Die Verwandlung der Welt". Worauf geht dieses Buch zurück? Es ist ja eine alte Legende.

    Prunitsch: Ja, das Buch ist 1976 erschienen, hat dann auch 1993 eine sehr interessante Fortsetzung gefunden. Krabat bezieht sich auf eine Legende, die in der Lausitz, teilweise auch im nordböhmischen Raum kursiert, auf einen kroatischen Offizier zurück geht, der eines Tages ganz plötzlich in der Lausitz aufgetaucht ist, durch Kriegswirren dorthin verschlagen wurde, und von der örtlichen Bevölkerung als Zauberer letztlich dann mythologisiert wurde. Die Legende kursiert dann seit ungefähr dem 18. Jahrhundert in der Lausitz, Krabat wird da also zum sorbischen Helden dann funktionalisiert, im Übrigen benutzt auch Otfried Preußler die Krabat-Sage für sein ernorm erfolgreiches Buch.

    Im Falle von Brezan handelt es sich dabei aber dann um einen ersten großen Versuch, die Authentizität des sorbischen literarischen Schaffens an einen, wie hier als eigen empfundenen Stoff, darzutun. Mit Krabat hat sich Brezan vermutlich das dauerhafteste literarische Denkmal gesetzt, insofern als es die, ja doch in gewisser Hinsicht vom sozialistischen Realismus beeinflussten Gestaltungsprinzipien seiner Trilogie aus den Jahren von 1958 bis [19]64 in weitem Maße überschreitet.

    Novy: Wie hat sich denn sein Schaffen nach der Wende verändert? Er hat ja immer weiter geschrieben.

    Prunitsch: Ja, besonders in den letzten Lebensjahren ist Brezan unglaublich produktiv geblieben. Hervorzuheben ist dabei, dass er sich auch den Herausforderungen dieser Nachwendezeit, die ja gerade in der Lausitz besonders groß waren und sind, sehr mutig und aktiv gestellt hat, ohne die DDR-Zeit, in welcher er ja mit Ämtern und Ehren bedacht worden ist, über Gebühr nostalgisch zu glorifizieren.

    Novy: Sie hörten Christian Prunitsch von der Technischen Universität Dresden über den sorbischen Schriftsteller Jurij Brezan, der 89-jährig gestorben ist.