Archiv


Märchenhafte Schmiedekunst

Die Welt in diesem "Siegfried" ist eine Kloake. Durch das ziegelsteingemauerte Gewölbe quillt eine graue Brühe aus Riesenblasen, die bis zum Orchestergraben fließt.

Von Christoph Schmitz |
    Und Mime der Zwerg hat mit seinen Schmuddelklamotten und seinen Rastalocken etwas Rattiges, wenn er durch die Abwässer schlurft, rumköchelt, in seiner Eisenwerkstatt herumhämmert und sich mit Sperrmüllmöbeln eingerichtet hat. Das sieht alles nach sozialer Randexistenz aus, hat aber auch etwas Endzeitliches und Archaisches, wenn Siegfrieds Braunbär als Videoprojektion riesengroß über die Wand läuft, wenn Wotans Raben im Film das Areal umkreisen und wenn Wotan selbst in schwarzem federartigen Kostüm den Verlauf seiner machtsüchtigen und machtmüden Weltinszenierung beobachtet und zu steuern versucht, wie hier bei seinem Besuch in der Kloake:

    "'Wanderer' heißt mich die Welt; weit wandert' ich schon: auf der Erde Rücken rührt' ich mich viel."

    Almas Svilpa singt Wotan den Wanderer mit sehr kultiviertem und weite Bögen spannendem Bass. Und mit ihrer Inszenierung halten Regisseur Anselm Weber und sein Bühnenbildner Raimund Bauer Ort und Zeit der Geschichte durchaus in der Schwebe. Das gibt dem Deutungsspektrum von Wagners Superepos den angemessenen Raum. So hat dieser dritte Teil des Rings in Essen den weitesten Blick auf das Werk, nachdem Tilmann Knabe das "Rheingold" ins Rotlicht- und Verbrechermilieu unserer Tage verlegt hat und Dietrich Hilsdorf die "Walküre" in die Gründerzeitjahre einer zerstrittenen Industriellenfamilie. Im neuen "Siegfried" befreit der Tenor Rainer Maria Röhr auch seinen Mime aus dem Rollenklischee des ekelig-bösen, gängelnden, knickenden Zwickers, wie Siegfried seinen Ziehvater beschreibt. Dieser Mime ist nicht hinterhältiger als die anderen, er kann mitfühlen, ist allzu menschlich und wird von Röhl auch so gesungen, dabei klar und textverständlich.

    "Spürtest du klug und erspähtest du viel, hier brauch ich nicht Spürer noch Späher. Einsam will ich und einzeln sein, Lungerern lass ich den Lauf."

    Anselm Webers Inszenierung ist vor allem vom Märchenton des "Siegfried" inspiriert. Die Szene vor der Höhle des Drachens spielt auf den grauen Blasen der Kloake, die sich hier in Augen und Schuppen des Reptils verwandeln. Das Feuer um den Berg ist ein brodelnder Vulkan, der im dritten Aufzug wie eine Mondlandschaft aussieht, in der ein glühender Meteorit landet. Auf dem Himmelskörper liegt Brünhilde in silberner Ritterrüstung. Das ist alles sehr überraschend und fantastisch und schön anzusehen, aber nicht aus einem künstlerischen Guss. Muss es das sein? Nicht unbedingt, aber wenn man sieht, wie rudimentär die Personenführung insgesamt ist, wie sinnlos die Erda-Szene vor den Vorhang verlegt ist, beschleicht einen das Gefühl, dass Anselm Webers Ideen unausgereift sind. So magisch manche Momente gelingen, so wird man mit dieser Produktion nicht richtig froh, auch wegen der sängerischen Leistung des Titelhelden. Johnny van Hals Heldentenor bleibt am Premierenabend hinter den Anforderungen der Partie zurück, erst im dritten Aufzug ahnt man, was er möglicherweise leisten kann. Und die Brünhilde der Kirsi Tiihonen?

    "Heil euch, Götter! Heil dir, Welt! Heil dir, prangende Erde! Zu End' ist nun mein Schlaf; erwacht, seh' ich: Siegfried ist es, der mich erweckt."

    Kirsi Tiihonen füllt, wenn auch mitunter metallisch scharf, den Raum ganz und gar aus, nur bewegt sie sich recht ungeschickt und orientierungslos durch die Kraterlandschaft. Mit traumwandlerischer Sicherheit dagegen wissen der Dirigent Stefan Soltesz und seine Essener Philharmoniker, wo es klangepisch langgeht. Mit langem Atem entfalten sie alle beängstigenden Tiefen und seligen Höhen der Partitur. Lebendig, verführerisch, pathetisch und wenn nötig witzig, lassen sie den "Siegfried" mit meisterlicher Perfektion erklingen.

    "Nothung, Nothung! Neidliches Schwert! Zum Leben weckt' ich dich wieder. Tot lagst du in Trümmern dort, jetzt leuchtest du trotzig und hehr."