Archiv


Mäuse auf der Couch

Neurologie. - Schizophrenie ist nicht nur eine schwere, sondern auch eine häufige Krankheit: Ein Prozent aller Menschen leiden unter solchen psychotischen Störungen. Dennoch ist die Krankheit immer noch schlecht verstanden. Große Hoffnungen ruhen auf Experimenten mit psychotischen Mäuse. Auf dem 2. Internationalen Schizophrenie-Symposium in Göttingen diskutieren Wissenschaftler auch darüber.

Von Björn Schwentker |
    Das Radio läuft ständig in dem kleinen Raum des Mäusezuchthauses am Max-Planck-Institut für experimentelle Medizin in Göttingen. Die Musik ersetzt die Geräuschkulisse, die die Tiere in der freien Natur erleben. Doch die Mäuse hier sind anders als in Freiheit. Sie sind genetisch manipuliert, sagt Neurobiologe Nils Brose:

    "Jedes von den Tieren hier stehen etwa 400 Käfige -, ist über ein internes Intranet hier im Haus auch für die Wissenschaftler in den jeweiligen Labors zugänglich, also die können im Prinzip herausfinden, welches Tier wo sitzt und wie viele von welcher Sorte wo sitzen."

    So findet jeder Wissenschaftler die passende Gen-Maus für seine Forschung. Auf dem Weg in sein Labor erzählt Nils Brose, dass seinen Mäusen ein ganz bestimmtes Gen fehlt. Dieses Gen ist verantwortlich für die Produktion des Proteins "Complexin I", das wichtig ist für die Signalübertragung im Gehirn. Auf dem Tisch in seinem Labor öffnet der Forscher einen Mäusekäfig mit zwei Tieren darin. Brose:

    "Das sind Geschwister, und eins von denen ist ein Wildtyp-Tier, das sieht man, das ist das, was sich so schnell bewegt, das andere hier vorne ist eine Complexin-Mutante."

    Während die normale Maus munter die Holzspäne in der Kiste durchwühlt, macht ihr genmutiertes Geschwister nur ein paar unkoordinierte, schwankende Schritte, oder hockt einfach lethargisch in einer Ecke. Ihr Verhalten ist gestört. Mit derart manipulierten Mäusen wollen die Göttinger Forscher nun eine schwere Krankheit untersuchen: die Schizophrenie. Ein Prozent aller Menschen erlebt schizophrene Störungen - und doch sind die Ursachen noch kaum verstanden. Inzwischen scheint sicher: Gendefekte spielen eine Rolle. Nur welche, und wie sie wirken, ist unklar. Die Mäuse sollen nun helfen dies endlich herauszufinden. Anders als beim Menschen können die Forscher bei ihnen gezielt einzelne Gene ausschalten, und dann testen, ob die Tiere davon schizophren werden. Aber wie findet man das heraus? Man kann eine Maus ja nicht einfach auf die Couch legen und fragen, ob sie Wahnvorstellungen hat. Brose:

    "Wenn man über Schizophrenie nachdenkt, dann fallen einem eben typischerweise diese ‚positiven’ Symptome auf wie Halluzination und derlei Dinge. Was aber mit fast jeder Schizophrenie einhergeht sind ‚negative’ Symptome, also: Willensschwäche, Antriebsschwäche, und insbesondere auch kognitive Defizite, einige von diesen Negativsymptomen kann man im Tierversuch kopieren."

    Solche sozialen Störungen lassen sich bei Mäusen testen, in langwierigen Verhaltensexperimenten. So offensichtlich, wie bei der Maus, die gerade vor Nils Brose im Käfig herumhumpelt, wirken sich die meisten Gendefekte nicht aus. Die Maus in der Kiste ist ein Extremfall. Sie produziert gar kein Complexin mehr. Bei Schizophrenen, so vermuten einige Forscher, ist die Bildung des Proteins nur verringert. Dadurch werden im Gehirn die Botenstoffe nicht mehr richtig ausgeschüttet. Doch ob das wirklich ein Grund für Schizophrenie ist, wurde bisher nie bewiesen. Jetzt will Nils Brose Mäuse mit lediglich verringerter Complexin-Produktion herstellen, und so die strittige Hypothese überprüfen. Doch für Schizophrenie gibt es vermutlich neben den genetischen noch weitere, so genannte "exogene" Gründe: Zum Beispiel traumatische Erlebnisse oder auch Drogen, wie etwa Cannabis. Auch das testen die Forscher jetzt an Mäusen. Nils Brose:

    "Wir werden die jetzt natürlich keine Joints rauchen lassen, aber was man zum Beispiel machen kann, ist, diese Mäuse, von denen wir hier reden, und die Sie hier sehen, zum Beispiel unter psychologischen Stress zu bringen."

    Das funktioniert etwa, indem man einer Maus eine unerwünschte zweite Maus einen Eindringling ins Gehege setzt. Noch stehen die Forscher mit solchen Tierversuchen am Anfang. Doch Neurobiologe Nils Brose glaubt, dass sie in der Schizophrenie-Forschung künftig die entscheidende Rolle spielen werden:

    "Dann ist es sogar denkbar, dass man nicht nur eine neue Facette, einen neuen Mosaikstein bei der Analyse der Ursachen von Schizophrenie kennen lernt, sondern man kann dann langfristig darüber nachdenken, solche Tiere, und vielleicht andere, ähnliche Mutanten als Modelle für die Entwicklung neuer Therapie- oder Diagnoseverfahren zu verwenden."