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Mafia, Yakuza und Triaden

Mafia-Filme waren bislang vor allem im italienischen oder italo-amerikanischen Milieu angesiedelt. Der amerikanische Autor David Southwell nimmt hingegen besonders die organisierte Kriminalität in Russland und Südamerika unter die Lupe. Um den berühmtesten italienischstämmigen Gangsterboss kommt allerdings auch er nicht herum. Karl Hoffmann hat die Geschichte des organisierten Verbrechens gelesen.

    Natürlich weiß jedes Kind, wer Al Capone war: der berühmteste Gangsterboss aller Zeiten. Aber kaum einer weiß, weshalb er es wurde. Und da bietet David Southwell interessante Details:

    Alphonsus Gabriel Capone wurde 1899 in Brooklyn, New York, geboren. Sein Vater war ein Friseur aus einem Dorf in der Nähe Neapels, seine Mutter eine Näherin aus der Provinz Salerno. Wenn jemand Capone als Italiener bezeichnete, wurde er wütend und bellte: "Ich bin ein verdammter Amerikaner." Capone wurde in das harte Umfeld armer Einwanderer geboren. Es gab Zeiten, in denen er mit seinen Eltern und den elf Brüdern und Schwestern in einer kleinen Mietwohnung ohne Toilette und Mobiliar wohnte.
    Am Anfang wollte "Al", was, wie wir jetzt wissen, für "Alphonsus" stand, ein rechtschaffener Buchhalter werden, doch dann wurde sein Vater krank. Und Al Capone stellte fest, dass die Unterstützung der zahlreichen Familie mit krummen Dingern viel leichter zu bewerkstelligen war. Bald avancierte er zum mächtigsten und reichsten amerikanischen Boss seiner Zeit. Vieles in der Welt des organisierten Verbrechens hat sich seither drastisch verändert. Gleich geblieben sind allerdings die Ursachen, die Triebfedern, meint David Southwell.

    Die Geschichte des organisierten Verbrechens zeigt uns auch, dass es drei immer wiederkehrende Ursachen von Kriminalität gibt: Armut, Reglementierung und schlichte menschliche Gier.

    Die Reglementierung, gemeint sind Gesetze, die den Handel bestimmter Waren oder auch die Prostitution verbieten, ist Manna für die Mafia. Das hatte sich schon während der Prohibition vor 80 Jahren in den USA erwiesen, als Al Capone verbotenen Alkohol schmuggelte und ein Riesenvermögen anhäufte. Das ist heute in Neapel noch genauso, wo die Camorra erst durch den Zigarettenschmuggel, dann mit illegalem Drogenhandel, und seit neuestem durch den Handel mit gefälschten Markenartikeln aus Fernost Milliarden verdient. Kleinvieh, wenn man dem Mafiaforscher Southwell Glauben schenken will. Wer kann sich noch über die knapp hundert Auftragsmorde in Neapel aufregen, vergleicht man sie mit den mehr als siebenhundert jährlichen Mafiamorden in Sankt Petersburg? Was ist die Camorra oder die hausbackene sizilianische Mafia heutzutage noch angesichts der Organisazija, wie die russische Mafia genannt wird:

    Wenn man die Organisazija als Einheit betrachtet, ist sie wahrscheinlich das innovativste weltweit operierende organisierte Verbrechernetzwerk, das es derzeit gibt. Ob es um Internetkriminalität, Designerdrogen oder neue Methoden der Geldwäsche ging, die russischen Verbrecher hatten immer die Nase vorn. Außerdem hat die Organisazija mehr als einmal bewiesen, dass ihre Dreistigkeit keine Grenzen kennt. Sie stiehlt sogar Scud-Raketen und wenn möglich nukleares Material, um beides an Terroristen zu verkaufen.
    Der Schulterschluss von Mafia und Terror wird zum Alptraum der Verbrechensbekämpfung und zur globalen Gefahr. Je tiefer sich der Leser von Autor Southwell in die Mäander der Gesetzlosigkeit führen lässt, umso erschreckender wird das Bild:

    Das FBI geht davon aus, dass die Organisazija in mehr als 50 Ländern aktiv ist. In Amerika, den Niederlanden, der Schweiz und Südafrika hat sie sich bereits großflächig etabliert und expandiert weiter im Sexgeschäft und in den Bereichen Drogen, Erpressung und Edelsteinschmuggel. Sie ist die mächtigste Verbrecherorganisation in Israel, und auch in Frankreich ist sie auf dem besten Weg dahin.
    Wenn sich die russische Mafia bisher noch nicht nach China und Japan ausgebreitet hat, dann liegt es an einem dort bereits gesättigten Markt. Southwells globale Verbrechenssicht erspart dem Leser nichts: In China sind es die Triaden, deren Ursprung auf das Jahr 25 vor Christus zurückgeht. Sie besteht aus zahlreichen unabhängige Gruppierungen, jeweils mit bis zu zehntausend Mitgliedern. Pro Jahr, so schätzt Southwell, schmuggeln sie etwa 175.000 Menschen illegal ins Ausland - neben dem Drogenhandel ihr Hauptgeschäftszweig. Eine Mafia mit großen Zukunftschancen, meint Southwell.

    Viele bezeichnen das 21. Jahrhundert schon jetzt als das chinesische Jahrhundert. Sollte das zutreffen, könnte das 21. Jahrhundert auch das Jahrhundert der Triaden werden.
    Vorläufig hält allerdings die japanische Mafia, "Yakuza" genannt, weltweit den Mitgliederrekord: 150.000, verteilt auf etwa 2.500 verschiedene Verbrecherbanden. Ihre Macht ist so groß, dass sie weite Teile der Wirtschaft und der Politik durchdrungen hat. Die amerikanische Weltpolitik verschaffte den japanischen Mafiosi nach dem 2. Weltkrieg die Grundlagen zu ihrem bis heute unaufhaltsamen Aufstieg.

    Der Zusammenbruch der alten Gesellschaftsordnung und die erhöhte Nachfrage durch amerikanische GIs ließen die Vergnügungsviertel, die unter der Kontrolle der Yakuza standen, boomen. Als die USA öffentliche Ämter schließlich mit rechtsorientierten Politikern besetzte, um ein Bollwerk gegen den Kommunismus zu errichten, hatte die Yakuza zusätzlich zu ihrem wirtschaftlichen Erfolg auch wieder alte Freunde in politischen Machtpositionen. Diese beiden Faktoren boten die besten Voraussetzungen für ihre Entwicklung zum größten organisierten Verbrechernetz der Welt.
    Verblüffende Parallelen zur sizilianischen Mafia: Auch sie war ein Kriegsgewinnler, organisierte gar die Landung der Amerikaner 1943 in Sizilien und lehnte sich sehr schnell an die christdemokratischen Politiker in Rom an. Bosse und Parlamentarier arbeiteten fortan Hand in Hand, mit Wissen und Unterstützung der Amerikaner. Auch sie waren ein Bollwerk gegen den Kommunismus. Skrupellose Politiker haben sich immer wieder mit dem organisierten Verbrechen verbündet, um ihre Macht zu sichern. Oft genug gerieten dabei die Verbrecher außer Kontrolle, leidvolle Erfahrungen ganzer Nationen. Viele Jahre lang, so erzählt Autor Southwell so nebenbei, habe er für seine "Geschichte des organisierten Verbrechens" recherchiert, mehr als einmal sei er deshalb auch bedroht worden. Auf über 380 Seiten schildert er Herkunft und Arbeitsweisen der unterschiedlichsten Verbrecherorganisationen von Australien bis Kanada, von Nigeria bis Finnland. Manches liest sich wie die Drehbücher alter Hollywood-Filme. Anderes ist eher bedrückend langweilig in der ständigen Wiederholung: Banden, Prostitution, Drogenhandel, Waffenschiebereien, Gewalt, Mord und Totschlag, Betrug und Korruption. Eher ein Rundumschlag, als ein Buch, das in die Tiefe geht. Über die einzelnen Mafiaorganisationen gibt es bereits jede Menge Literatur, die besser und detaillierter ist. "Ich behaupte ja nicht, dass meine Bücher literarische Meisterwerke sind," sagt der 45-jährige Engländer. Weshalb man sein Buch allenfalls als Basisinformation nützen kann und dabei wissen sollte, dass der Autor ebenso schillernd ist wie seine Themen: Er arbeitete als Journalist, war Pressesprecher des englischen Einzelhandelsverbandes und zeitweise wohl auch Mitarbeiter des Geheimdienstes, und seine besondere Leidenschaft sind seit jeher Verbrecher und Verschwörer, daraus macht Southwell keinen Hehl.

    Viele Menschen sind vom organisierten Verbrechen fasziniert. Legenden von Gesetzlosen beleben das Volksgut in aller Welt. Warum? Vielleicht weil wir ein starkes Verlangen danach haben, die Dinge zu ergründen, die vor uns versteckt werden, selbst wenn es sich dabei um die Unterwelt handelt. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass wir uns gerne fürchten.

    Karl Hoffmann über David Southwells "Geschichte des organisierten Verbrechens", erschienen soeben bei Fackelträger in Köln. 416 Seiten kosten 22 Euro 95.