Selten hat die Magie der großen Zahlen die Politik so beeinflusst wie in den vergangenen Wochen. Dass im Januar erstmals über fünf Millionen Arbeitslose registriert werden mussten, brachte die Bundesregierung in die Defensive und ließ die Umfragewerte für die Koalitionsparteien sinken. Fünf Millionen Arbeitslose waren auch ausschlaggebend dafür, dass die SPD und die Grünen in Schleswig-Holstein bei den Landtagswahlen ihre Mehrheit verloren. Seit nun die Bundesagentur für Arbeit die Februarzahlen mit dem traurigen Rekord von 5,216 Millionen Arbeitslosen verkündet hat, wird täglich parteiübergreifend darüber diskutiert, wie man dem zwei Jahrzehnte andauernden Phänomen der Massenarbeitslosigkeit endlich gemeinsam und erfolgreich zu Leibe rücken könnte. Der Jobgipfel beim Kanzler morgen soll´s richten.
Die ganze Dramatik ist dennoch etwas künstlich. Denn erstens lagen die Arbeitslosenzahlen schon am Ende der Regierung Kohl knapp unter fünf Millionen, ohne dass man sich genötigt sah, gemeinsam mit der Opposition Initiativen zu ergreifen. Nach dem Regierungswechsel glaubte die rot-grüne Koalition noch, es besser machen zu können. Auf 3,5 Millionen, so versprach Bundeskanzler Schröder, werde er die Arbeitslosigkeit drücken. Seit Jahren ist erkennbar, dass der Trend in die andere Richtung geht.
Erst mit den Hartz-Gesetzen änderte der Kanzler seine Arbeitsmarktpolitik - allerdings ohne vorher den Konsens mit der CDU/CSU zu suchen. Dieser wurde dann mühsam im Vermittlungsausschuss hergestellt.
Zudem kamen die fünf Millionen Arbeitslosen Anfang des Jahres alles andere als überraschend. Denn sie sind direkte Folge von Hartz IV, der Zusammenlegung von Arbeitslosengeld und Sozialhilfe. Alle Experten, die Bundesregierung und natürlich auch die Opposition, wussten, dass es so kommen wird - und sagten es vorher auch mehr oder weniger offen. Warum zum Beispiel im Februar die Arbeitslosenzahlen über das saisonal übliche Maß zunahmen,
erläuterte Bundesarbeitsminister Wolfgang Clement ganz korrekt:
"86.000 ehemalige Sozialhilfeempfänger und etwa 40.000 ehemalige Nicht-Erwerbstätige aus so genannten Bedarfsgemeinschaften haben sich allein jetzt im Februar arbeitslos registrieren lassen. Insgesamt beläuft sich der mit Hartz IV zusammenhängende Anstieg der Arbeitslosigkeit seit Dezember auf etwa 360.000 Personen. Das heißt: Ohne Hartz IV läge die Arbeitslosigkeit jetzt bei etwa 4,85 Millionen und damit in etwa auf dem Niveau von Januar-Februar 1998."
Das ist einfach erklärbar: Die bisherigen Sozialhilfeempfänger und die mit ihnen in einer Bedarfsgemeinschaft zusammenlebenden Personen waren in aller Regel nicht arbeitslos gemeldet – auch weil sie keine Leistungen der Arbeitslosenversicherung erhielten. Das hat sich mit Hartz IV geändert. Wer mindestens drei Stunden am Tag arbeiten kann, erhält jetzt Arbeitslosengeld II und landet in der Arbeitslosenstatistik. Es sind Hunderttausende mehr als die Regierung erwartet hatte.
Das allerdings liegt auch an der Definition im Gesetz, die die Regierung mit zu verantworten hat. Der FDP-Arbeitsmarktexperte Dirk Niebel:
"Es ist völlig klar: Wenn man ein Kriterium ins Gesetz schreibt, dass derjenige, der am Tag - und nicht am Stück - in der Lage ist, drei Stunden zu arbeiten, erwerbsfähig ist, fallen sehr viele Personen unter dieses Kriterium. Herr Clement hat in einigen Fernsehsendungen gesagt, da seien sogar Leute dabei, die beidseitig oberschenkelamputiert wären oder HIV-infiziert. Ja selbstverständlich kann man auch ohne Beine arbeiten, solange man nicht als Langstreckenläufer unterwegs ist. Und man kann auch als HIV-Infizierter arbeiten solange die Krankheit nicht ausgebrochen ist. Selbst Drogenkranke in der Substitution können nicht nur arbeiten, sondern es ist teilweise ein Teil des Therapieplanes zu arbeiten nebenher."
Wie dem auch sei: Dass allein durch die von Regierung und Opposition so gewollte Einbeziehung der Sozialhilfeempfänger in die Arbeitsmarktstatistik die Fünf-Millionen-Grenze überschritten wurde, ist unbestritten. Die Regierung betont, dass dies ein realistischeres Bild vom Ausmaß der Arbeitslosigkeit gibt, dass die Statistik jetzt ehrlicher ist. Allerdings fehlen in den Zahlen immer noch rund zwei Millionen Arbeitslose, die in Maßnahmen der Bundesanstalt sind oder als so genannte stille Reserve zwar auf Jobsuche, aber nicht bei der Arbeitsagentur gemeldet sind.
Nachvollziehbar ist, dass die Opposition die Gunst der magischen Zahl von 5,2 Millionen Arbeitslosen zu nutzen sucht. Es hagelte schwerste Vorwürfe gegen Regierung und Koalition, von manchen garniert mit Rücktrittsforderungen an die Adresse von Kanzler und Arbeitsminister. Aber bei CDU-Chefin Angela Merkel und dem CSU-Vorsitzenden Edmund Stoiber war bereits am Tag der Verkündung der negativen Rekordzahl eine andere Stoßrichtung zu erkennen. Frau Merkel erklärte:
"Wir werden nicht nachlassen, Druck auf die Bundesregierung auszuüben, was die Verbesserung der Rahmenbedingungen für die Unternehmen bedeutet, was eine bessere Arbeitsmarktpolitik bedeutet. Wir haben immer gesagt, die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe ist notwendig. Aber sie alleine schafft keine neuen Arbeitsplätze. Und deshalb brauchen wir ein Programm für den Mittelstand. Deshalb brauchen wir ein Programm für geringere Energiepreise, deshalb brauchen wir einen Anschub für Innovationen, deshalb brauchen wir Reformen auf dem Arbeitsmarkt, bessere Zuverdienstmöglichkeiten. Es heißt jetzt zu handeln. Und das ist die Aufgabe einer konstruktiven Opposition, die für die Menschen in diesem Lande eintritt."
Druck auf die Regierung ist die eine Seite, was man als Opposition durchsetzen kann, etwas ganz anderes. Und so blieb es dem CSU-Vorsitzenden Stoiber überlassen, bereits einen Schritt weiterzugehen und der Regierung von München aus ein Angebot zur Zusammenarbeit zu unterbreiten - noch vorsichtig, aber dennoch eindeutig:
"Die neuen Arbeitslosenzahlen zeigen einen dramatischen Tag für Deutschland. Wenn wir diese Arbeitslosigkeit nicht abbauen können, werden wir unsere Probleme in Deutschland insgesamt nicht lösen können. Wenn der Bundeskanzler jetzt erklärt, angesichts dieser Zahlen, er habe alles getan, was die Politik tun kann, dann kann ich nur sagen, hat er seine Aufgabe verfehlt. Wir müssen jetzt handeln. Damit meine ich, dass der Kanzler der ruhigen Hand der Vergangenheit angehören muss. Und die Opposition bietet ja an, angesichts dieser dramatischen Zahlen, einige Schritte mit zu gehen. An der Spitze steht zweifelsohne die Unternehmensteuerreform. Wir sind mit unseren Unternehmenssteuern in Europa nicht mehr wettbewerbsfähig. Zweitens: Wir brauchen nun wirklich einen großen Bürokratieabbau."
Danach ging es Schlag auf Schlag. Bereits am nächsten Tag schrieben Merkel und Stoiber einen offenen Brief an Bundeskanzler Schröder, der am Persischen Golf auf Staatsvisite weilte, und boten einen "Pakt für Deutschland" an. Zehn Maßnahmen soll er nach Vorstellung der Opposition umfassen: Von der Senkung des Arbeitslosenbeitrags über gesetzliche Grundlagen für betriebliche Bündnisse und Aufweichung des Kündigungsschutzes bis hin zur befristeten untertariflichen Bezahlung reichte der Katalog der vorgeschlagenen Maßnahmen. Die ersten Reaktionen von SPD und Grünen waren schroff ablehnend. So bezeichnete der SPD-Vorsitzende Franz Müntefering das Angebot zur Zusammenarbeit wörtlich "als Zeichen von Verlogenheit und moralischer Verkommenheit".
Weitgehend einig waren und sind sich SPD, Grüne und Gewerkschaften, dass die Vorschläge der Union ebenso bekannt wie nutzlos seien, sich gegen Arbeitslose richteten oder unbezahlbar seien.
Während die meisten Koalitionspolitiker noch am Pakt für Deutschland herummäkelten, stellte Kanzler Schröder bereits die Weichen für den morgigen Jobgipfel. Er schrieb zurück - und schlug seinerseits Themen vor, die ihm wichtig sind - unter anderem das leidige Ringen um die Abschaffung der Eigenheimzulage, mit der die Koalition ihre geplante Innovations- und Bildungsoffensive finanzieren will. Von da an rangen CDU/CSU und Koalition um das Heft des Handelns.
Anfangs wollten Angela Merkel und Edmund Stoiber den Kanzler nur treffen, wenn der Kanzler vorher ausgearbeitete neue Gesetzesvorlagen zu den von der Union benannten Themen vorlegt – eine kaum und schon gar nicht schnell zu erfüllende Forderung. Schröder machte es geschickter und erklärte sich jederzeit zu sachlichen Gesprächen bereit. Der Druck der Öffentlichkeit auf beide Seiten wurde immer stärker. Die Union ließ ihre Vorbedingung fallen, der Kanzler lud zum Gipfel ein.
Was die Union will, hat sie gesagt. Was der Kanzler an zusätzlichen konkreten Maßnahmen präsentieren kann, wird noch als Verschlusssache behandelt. Zwar hat er seine Minister aufgefordert, Maßnahmen vorzuschlagen, die Konjunktur und Arbeitsmarkt beleben können. Aber Entscheidungen werden wohl erst heute Abend in der Koalitionsrunde fallen - und frühestens in der morgigen Regierungserklärung verkündet, die dem Jobgipfel vorgeschaltet ist.
Dennoch hat sich in den letzten Tagen die mögliche Agenda herauskristallisiert. Das Themenspektrum ist zwar gewaltig, kann aber gleichzeitig auf einen Kernsatz reduziert werden, den gestern Bundespräsident Horst Köhler in seiner Grundsatzrede vorgegeben hat:
"Angesichts der Lage auf dem Arbeitsmarkt brauchen wir jetzt in Deutschland eine politische Vorfahrtsregel für Arbeit."
Ganz oben auf der Tagesordnung steht sogleich das anspruchvollste Thema: die Unternehmenssteuerreform. Hier haben sowohl der Kanzler als auch die Union in den letzten Tagen wiederholt den Handlungsbedarf herausgestellt und damit nicht zuletzt Finanzminister Hans Eichel in die Defensive gebracht. Dieser tritt schon seit Wochen in Sachen Steuerreform auf die Bremse:
"Man muss wissen, dass es in der Steuerpolitik - und das wird ja auch immer deutlicher - Schnellschüsse nicht gibt, und dass da natürlich die Sorgfalt ein ganz zentrales Thema ist."
Dieser Grundsatz soll plötzlich nicht mehr gelten. Insofern ist auch innerhalb der Koalition von einem bemerkenswerten Kurswechsel die Rede. Ein später Punktsieg übrigens für Wirtschafts- und Arbeitsminister Wolfgang Clement, der angesichts der dramatischen Lage auf dem Arbeitsmarkt schon seit Wochen auf Steuererleichterungen zumindest für den Mittelstand drängt. Was der Kanzler morgen konkret vorschlagen wird, ist freilich noch Spekulation - aber es wird wohl ein Vorschlag zumindest für eine kleine Reform geben.
Nach dem gegenwärtigen Diskussionsstand ist im Gespräch, die Körperschaftsteuer für Kapitalgesellschaften von derzeit 25 auf 18 oder 19 Prozent zu senken - denn rechnet man zum bisherigen Steuersatz Solidaritätszuschlag und Gewerbesteuer dazu, schafft Deutschland im europäischen Steuervergleich allenfalls einen Platz auf den hinteren Rängen. Gleichzeitig sollen aber auch mögliche Steuerschlupflöcher geschlossen werden, so die Andeutungen des Kanzlers bereits vor einigen Tagen. Gedacht wird etwa an weitere Einschränkungen bei den Möglichkeiten der Verlustverrechnung:
"Bei den Kapitalgesellschaften haben wir hohe Sätze und eine Bemessungsgrundlage für diese Steuern, die gering ist: das heißt viele Steuerschlupflöcher. Ob man mit der Opposition, was wir ja immer wieder versucht haben, dazu kommt, wir schließen die Schlupflöcher und senken die Sätze - das wird man sehen können."
Doch auch den kleinen Betrieben soll geholfen werden – vor allem dem Mittelstand. Denn über 80 Prozent der Betriebe hierzulande werden als Personengesellschaften geführt, die der Einkommenssteuer unterliegen. Bei einer Spitzenbelastung von bis zu 44 Prozent kommen sie wesentlich schlechter weg als die Kapitalgesellschaften. Insofern werden hier Erleichterungen bei den Abschreibungsregeln sowie den Verrechnungsmöglichkeiten der Gewerbesteuer diskutiert.
Ob diese steuerpolitische Soforthilfe allerdings dem Standort Deutschland helfen würde, ist bei Experten umstritten. Schließlich würde es sich einmal mehr um Einzelmaßnahmen handeln, die das deutsche Steuerrecht noch unübersichtlicher machen könnten.
Unklar ist auch weiterhin die Finanzierungsfrage: die Union weigert sich bislang, Steuergeschenke auf Pump zu finanzieren. Mittlerweile zeichnet sich aber ab, dass zumindest ein Teil der Eigenheimzulage zur Gegenfinanzierung herangezogen werden dürfte, sagt auch CDU-Chefin Angela Merkel:
"Nicht gleich die ganze Eigenheimzulage, aber man muss überlegen, ob man es konzentriert: auf Familien, auf Kinder, das ist durchaus möglich. Aber ich sage es noch einmal: nicht für Bildung, für Forschung, für das Stopfen von Haushaltslöchern, sondern ganz konzentriert im Zusammenhang mit steuerlichen Maßnahmen, von denen dann auch alle im Lande auch wirklich etwas haben."
Eine Umschichtung, zu der inzwischen auch die rot-grüne Koalition offenbar bereit ist. Selbst höhere Schulden werden dort nicht mehr ausgeschlossen, etwa wenn es darum geht, ein Konjunkturpaket für mehr öffentliche Investitionen zu schnüren.
Doch selbst bei den Maßnahmen, die kaum oder überhaupt keine Mittel kosten, dürfte es erheblichen Streit geben. Denn geschickt hat die Union ihre Forderung nach Bürokratieabbau um einen wesentlichen Punkt erweitert. CDU-Generalsekretär Volker Kauder:
"Das Entscheidende wird sein, das wir zunächst über Fragen reden, die kein Geld kosten, die zu machen sind: das ist das Thema Bürokratieabbau und Antidiskriminierungsgesetz."
Doch gerade letztere Forderung trifft einen wunden Punkt bei den Grünen. Ihnen ist die erweiterte Auslegung der europäischen Vorgaben für das Anti-Diskriminierungsgesetz eine Herzensangelegenheit. Gleichzeitig ist das Thema aber auch innerhalb der Koalition höchst umstritten. Wirtschafts- und Arbeitsminister Wolfgang Clement, aber auch Innenminister Otto Schily, lehnen das umfangreiche Gesetz ab und favorisieren - wie die Union - eine 1:1-Umsetzung der europäischen Richtlinie. Eine schwierige Position für den kleinen Koalitionspartner - Grünen-Parteichefin Claudia Roth:
"Wir sind selbstverständlich dazu bereit, dass wir, wenn es Verbesserungsvorschläge gibt im Bereich des Antidiskriminierungsgesetzes, dass wir die diskutieren, dass wir da offen für sind. Aber im Kern sollte dieses Antidiskriminierungsgesetz wirklich erhalten werden."
Freilich, der Kanzler dürfte den Jobgipfel kaum wegen einer solchen Frage scheitern lassen. Insofern sind die Grünen hier eindeutig in der Defensive.
Als weitaus bedrohlicher für einen erfolgreichen Ausgang des Treffens könnten sich die Forderungen der Union nach einer weiteren Flexibilisierung des Arbeitsmarktes erweisen. Die Beschneidung des Tarifrechts, die Lockerung des Kündigungsschutzes und Einschränkungen bei der betrieblichen Mitbestimmung lauten die Kernpositionen bei der Union. Nur so könne auf dem verkrusteten Arbeitsmarkt eine neue Dynamik entstehen.
Doch Gerhard Schröder sind an dieser Stelle die Hände gebunden. Nicht umsonst hat sich DGB-Chef Michael Sommer gestern noch einmal persönlich in die SPD-Fraktion bemüht, um die Genossen an ihre sozialen Verpflichtungen zu erinnern. Keine Kompromisse in diesen Fragen, lautet die Vorgabe. Eine Position, die auch von SPD-Chef Franz Müntefering und Generalsekretär Uwe Benneter geteilt wird:
"Also, darüber brauchte im Präsidium nicht gesprochen zu werden, dass diese Ladenhüter-Punkte-Kataloge nicht in Frage kommen. Dass wir mit dem Abbau von Arbeitnehmerrechten hier keinen zusätzlichen Arbeitsplatz gewinnen werden, darüber sind sich alle Sozialdemokraten klar. "
Nicht zuletzt an dieser Stelle könnten sich also morgen die Verhandlungen entscheiden: Pochen beide Seiten weiter auf ihre unvereinbaren Positionen und nehmen damit ein Scheitern des Gipfels in Kauf, oder gibt es doch wenigstens einen kosmetischen Kompromiss?
Der Streit um eine Absenkung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung von derzeit 6,5 auf fünf Prozent könnte dagegen durch die Kostenfrage entschieden werden. Immerhin würde ein solcher Schritt bis zu zwölf Milliarden Euro kosten – aber auf der anderen Seite, so die Rechung, 150.000 neue Jobs bringen. Die Union ist der Meinung, durch entsprechende Einsparungen bei der Bundesagentur für Arbeit seien die Mittel durchaus aufzubringen, was Rot-Grün - bislang wenigstens - bestreitet.
Ein harter Verhandlungspoker steht also bevor, bei dem die Reform des Föderalismus eine eher untergeordnete Rolle spielen dürfte. Denn an einer Einigung in dieser Frage sind beide Seiten interessiert, schließlich gilt das Scheitern der Gespräche im vergangenen Jahr bis heute als Nachweis für die Handlungsunfähigkeit der Politik. Ein Makel, den nicht zuletzt der Bundeskanzler schnellstens aus der Welt schaffen will:
"85 Prozent dessen, was in der Föderalismuskommission vereinbart wurde, war bereits Konsens. Warum haben wir es nicht gemacht? Ich bin dafür, und an mir wird nichts, aber auch gar nichts scheitern, dass man die Arbeit in der Föderalismuskommission wieder aufnimmt und da schnell wieder zu einem Ergebnis kommt. Damit klar ist, wer für was verantwortlich ist."
Notfalls, so heißt es jetzt, müsse die schwelende Auseinandersetzung über die Zuständigkeit im Bildungsbereich einfach ausgeklammert werden. So wird man vermutlich morgen mit vielen Streitthemen umgehen: Nicht lösbare Konflikte dürften einfach ausgeblendet werden, notfalls muss dann der Minimalkonsens herhalten.
Trotzdem wollen alle den Erfolg - zu groß ist der Erwartungsdruck, zu groß die Angst vor einer weiteren Enttäuschung der Wähler. Doch längst wird es morgen nicht nur um die Schaffung von neuen Arbeitsplätzen gehen. Schließlich wollen alle Parteien aus dem Treffen auch politisches Kapital schlagen. Den Geist einer möglichen großen Koalition will deshalb niemand beschwören, schon gar nicht Hessens Ministerpräsident Roland Koch:
"Ich glaube, dass die große Koalition nicht sehr nützlich wäre, weil Gott sei Dank - wie ich finde - die beiden großen politischen Lager, SPD und CDU/CSU, sehr unterschiedliche Ideen haben, wie man diese Gesellschaft voranbringt. Und in einer Krisensitzung, in der eine Regierung offensichtlich strauchelt, in der es eine deutliche Mehrheit der Union im Bundesrat gibt, muss auch die andere große Partei in der Lage sein, das Gespräch zu führen. Zu sagen, lass uns diese schmale Schnittmenge finden und im Interesse der Bürger auch verwirklichen. Um diese Frage geht es auch morgen bei diesem Gespräch."
Doch es geht um mehr: Die Regierung will sich wieder an die Spitze der Reformbewegung setzen, nachdem die Union erfolgreich das Tempo beschleunigen konnte. Nicht zuletzt deshalb wird Gerhard Schröder zunächst einmal in seiner Regierungserklärung am Donnerstagmorgen die Wegstrecke markieren, die anschließend beschritten werden soll.
Die Union steht dagegen vor einem Dilemma. Dass es überhaupt einen Reformgipfel gibt, ist allein ihr Erfolg. Doch die Frage stellt sich: Was folgt danach? Gelingt eine Einigung, könnte davon in erster Linie die Regierung profitieren. Schließlich würde sie die Beschlüsse in Gesetzesvorlagen gießen. Andererseits könnten sich bei einem erfolgreichen Verlauf gerade CDU und CSU als die eigentlichen Modernisierer im Lande feiern lassen - gerade bei den bevorstehenden Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen ein unschätzbarer Wettbewerbsvorteil.
Zumal es sich hierbei um die Vorentscheidung bei der eigentlichen Machtfrage handelt - den Bundestagswahlen 2006, auch wenn der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, Peer Steinbrück, eher tief stapelt:
"Es ist nicht eine politische Schicksalswahl, es ist ein politischer Wettbewerb. Natürlich spielt Nordrhein-Westfalen da ein besonderes Gewicht, weil da 13,5 bis 14 Millionen Wähler zur Urne gehen. Aber es ist der übliche demokratische Wettbewerb."
Die ganze Dramatik ist dennoch etwas künstlich. Denn erstens lagen die Arbeitslosenzahlen schon am Ende der Regierung Kohl knapp unter fünf Millionen, ohne dass man sich genötigt sah, gemeinsam mit der Opposition Initiativen zu ergreifen. Nach dem Regierungswechsel glaubte die rot-grüne Koalition noch, es besser machen zu können. Auf 3,5 Millionen, so versprach Bundeskanzler Schröder, werde er die Arbeitslosigkeit drücken. Seit Jahren ist erkennbar, dass der Trend in die andere Richtung geht.
Erst mit den Hartz-Gesetzen änderte der Kanzler seine Arbeitsmarktpolitik - allerdings ohne vorher den Konsens mit der CDU/CSU zu suchen. Dieser wurde dann mühsam im Vermittlungsausschuss hergestellt.
Zudem kamen die fünf Millionen Arbeitslosen Anfang des Jahres alles andere als überraschend. Denn sie sind direkte Folge von Hartz IV, der Zusammenlegung von Arbeitslosengeld und Sozialhilfe. Alle Experten, die Bundesregierung und natürlich auch die Opposition, wussten, dass es so kommen wird - und sagten es vorher auch mehr oder weniger offen. Warum zum Beispiel im Februar die Arbeitslosenzahlen über das saisonal übliche Maß zunahmen,
erläuterte Bundesarbeitsminister Wolfgang Clement ganz korrekt:
"86.000 ehemalige Sozialhilfeempfänger und etwa 40.000 ehemalige Nicht-Erwerbstätige aus so genannten Bedarfsgemeinschaften haben sich allein jetzt im Februar arbeitslos registrieren lassen. Insgesamt beläuft sich der mit Hartz IV zusammenhängende Anstieg der Arbeitslosigkeit seit Dezember auf etwa 360.000 Personen. Das heißt: Ohne Hartz IV läge die Arbeitslosigkeit jetzt bei etwa 4,85 Millionen und damit in etwa auf dem Niveau von Januar-Februar 1998."
Das ist einfach erklärbar: Die bisherigen Sozialhilfeempfänger und die mit ihnen in einer Bedarfsgemeinschaft zusammenlebenden Personen waren in aller Regel nicht arbeitslos gemeldet – auch weil sie keine Leistungen der Arbeitslosenversicherung erhielten. Das hat sich mit Hartz IV geändert. Wer mindestens drei Stunden am Tag arbeiten kann, erhält jetzt Arbeitslosengeld II und landet in der Arbeitslosenstatistik. Es sind Hunderttausende mehr als die Regierung erwartet hatte.
Das allerdings liegt auch an der Definition im Gesetz, die die Regierung mit zu verantworten hat. Der FDP-Arbeitsmarktexperte Dirk Niebel:
"Es ist völlig klar: Wenn man ein Kriterium ins Gesetz schreibt, dass derjenige, der am Tag - und nicht am Stück - in der Lage ist, drei Stunden zu arbeiten, erwerbsfähig ist, fallen sehr viele Personen unter dieses Kriterium. Herr Clement hat in einigen Fernsehsendungen gesagt, da seien sogar Leute dabei, die beidseitig oberschenkelamputiert wären oder HIV-infiziert. Ja selbstverständlich kann man auch ohne Beine arbeiten, solange man nicht als Langstreckenläufer unterwegs ist. Und man kann auch als HIV-Infizierter arbeiten solange die Krankheit nicht ausgebrochen ist. Selbst Drogenkranke in der Substitution können nicht nur arbeiten, sondern es ist teilweise ein Teil des Therapieplanes zu arbeiten nebenher."
Wie dem auch sei: Dass allein durch die von Regierung und Opposition so gewollte Einbeziehung der Sozialhilfeempfänger in die Arbeitsmarktstatistik die Fünf-Millionen-Grenze überschritten wurde, ist unbestritten. Die Regierung betont, dass dies ein realistischeres Bild vom Ausmaß der Arbeitslosigkeit gibt, dass die Statistik jetzt ehrlicher ist. Allerdings fehlen in den Zahlen immer noch rund zwei Millionen Arbeitslose, die in Maßnahmen der Bundesanstalt sind oder als so genannte stille Reserve zwar auf Jobsuche, aber nicht bei der Arbeitsagentur gemeldet sind.
Nachvollziehbar ist, dass die Opposition die Gunst der magischen Zahl von 5,2 Millionen Arbeitslosen zu nutzen sucht. Es hagelte schwerste Vorwürfe gegen Regierung und Koalition, von manchen garniert mit Rücktrittsforderungen an die Adresse von Kanzler und Arbeitsminister. Aber bei CDU-Chefin Angela Merkel und dem CSU-Vorsitzenden Edmund Stoiber war bereits am Tag der Verkündung der negativen Rekordzahl eine andere Stoßrichtung zu erkennen. Frau Merkel erklärte:
"Wir werden nicht nachlassen, Druck auf die Bundesregierung auszuüben, was die Verbesserung der Rahmenbedingungen für die Unternehmen bedeutet, was eine bessere Arbeitsmarktpolitik bedeutet. Wir haben immer gesagt, die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe ist notwendig. Aber sie alleine schafft keine neuen Arbeitsplätze. Und deshalb brauchen wir ein Programm für den Mittelstand. Deshalb brauchen wir ein Programm für geringere Energiepreise, deshalb brauchen wir einen Anschub für Innovationen, deshalb brauchen wir Reformen auf dem Arbeitsmarkt, bessere Zuverdienstmöglichkeiten. Es heißt jetzt zu handeln. Und das ist die Aufgabe einer konstruktiven Opposition, die für die Menschen in diesem Lande eintritt."
Druck auf die Regierung ist die eine Seite, was man als Opposition durchsetzen kann, etwas ganz anderes. Und so blieb es dem CSU-Vorsitzenden Stoiber überlassen, bereits einen Schritt weiterzugehen und der Regierung von München aus ein Angebot zur Zusammenarbeit zu unterbreiten - noch vorsichtig, aber dennoch eindeutig:
"Die neuen Arbeitslosenzahlen zeigen einen dramatischen Tag für Deutschland. Wenn wir diese Arbeitslosigkeit nicht abbauen können, werden wir unsere Probleme in Deutschland insgesamt nicht lösen können. Wenn der Bundeskanzler jetzt erklärt, angesichts dieser Zahlen, er habe alles getan, was die Politik tun kann, dann kann ich nur sagen, hat er seine Aufgabe verfehlt. Wir müssen jetzt handeln. Damit meine ich, dass der Kanzler der ruhigen Hand der Vergangenheit angehören muss. Und die Opposition bietet ja an, angesichts dieser dramatischen Zahlen, einige Schritte mit zu gehen. An der Spitze steht zweifelsohne die Unternehmensteuerreform. Wir sind mit unseren Unternehmenssteuern in Europa nicht mehr wettbewerbsfähig. Zweitens: Wir brauchen nun wirklich einen großen Bürokratieabbau."
Danach ging es Schlag auf Schlag. Bereits am nächsten Tag schrieben Merkel und Stoiber einen offenen Brief an Bundeskanzler Schröder, der am Persischen Golf auf Staatsvisite weilte, und boten einen "Pakt für Deutschland" an. Zehn Maßnahmen soll er nach Vorstellung der Opposition umfassen: Von der Senkung des Arbeitslosenbeitrags über gesetzliche Grundlagen für betriebliche Bündnisse und Aufweichung des Kündigungsschutzes bis hin zur befristeten untertariflichen Bezahlung reichte der Katalog der vorgeschlagenen Maßnahmen. Die ersten Reaktionen von SPD und Grünen waren schroff ablehnend. So bezeichnete der SPD-Vorsitzende Franz Müntefering das Angebot zur Zusammenarbeit wörtlich "als Zeichen von Verlogenheit und moralischer Verkommenheit".
Weitgehend einig waren und sind sich SPD, Grüne und Gewerkschaften, dass die Vorschläge der Union ebenso bekannt wie nutzlos seien, sich gegen Arbeitslose richteten oder unbezahlbar seien.
Während die meisten Koalitionspolitiker noch am Pakt für Deutschland herummäkelten, stellte Kanzler Schröder bereits die Weichen für den morgigen Jobgipfel. Er schrieb zurück - und schlug seinerseits Themen vor, die ihm wichtig sind - unter anderem das leidige Ringen um die Abschaffung der Eigenheimzulage, mit der die Koalition ihre geplante Innovations- und Bildungsoffensive finanzieren will. Von da an rangen CDU/CSU und Koalition um das Heft des Handelns.
Anfangs wollten Angela Merkel und Edmund Stoiber den Kanzler nur treffen, wenn der Kanzler vorher ausgearbeitete neue Gesetzesvorlagen zu den von der Union benannten Themen vorlegt – eine kaum und schon gar nicht schnell zu erfüllende Forderung. Schröder machte es geschickter und erklärte sich jederzeit zu sachlichen Gesprächen bereit. Der Druck der Öffentlichkeit auf beide Seiten wurde immer stärker. Die Union ließ ihre Vorbedingung fallen, der Kanzler lud zum Gipfel ein.
Was die Union will, hat sie gesagt. Was der Kanzler an zusätzlichen konkreten Maßnahmen präsentieren kann, wird noch als Verschlusssache behandelt. Zwar hat er seine Minister aufgefordert, Maßnahmen vorzuschlagen, die Konjunktur und Arbeitsmarkt beleben können. Aber Entscheidungen werden wohl erst heute Abend in der Koalitionsrunde fallen - und frühestens in der morgigen Regierungserklärung verkündet, die dem Jobgipfel vorgeschaltet ist.
Dennoch hat sich in den letzten Tagen die mögliche Agenda herauskristallisiert. Das Themenspektrum ist zwar gewaltig, kann aber gleichzeitig auf einen Kernsatz reduziert werden, den gestern Bundespräsident Horst Köhler in seiner Grundsatzrede vorgegeben hat:
"Angesichts der Lage auf dem Arbeitsmarkt brauchen wir jetzt in Deutschland eine politische Vorfahrtsregel für Arbeit."
Ganz oben auf der Tagesordnung steht sogleich das anspruchvollste Thema: die Unternehmenssteuerreform. Hier haben sowohl der Kanzler als auch die Union in den letzten Tagen wiederholt den Handlungsbedarf herausgestellt und damit nicht zuletzt Finanzminister Hans Eichel in die Defensive gebracht. Dieser tritt schon seit Wochen in Sachen Steuerreform auf die Bremse:
"Man muss wissen, dass es in der Steuerpolitik - und das wird ja auch immer deutlicher - Schnellschüsse nicht gibt, und dass da natürlich die Sorgfalt ein ganz zentrales Thema ist."
Dieser Grundsatz soll plötzlich nicht mehr gelten. Insofern ist auch innerhalb der Koalition von einem bemerkenswerten Kurswechsel die Rede. Ein später Punktsieg übrigens für Wirtschafts- und Arbeitsminister Wolfgang Clement, der angesichts der dramatischen Lage auf dem Arbeitsmarkt schon seit Wochen auf Steuererleichterungen zumindest für den Mittelstand drängt. Was der Kanzler morgen konkret vorschlagen wird, ist freilich noch Spekulation - aber es wird wohl ein Vorschlag zumindest für eine kleine Reform geben.
Nach dem gegenwärtigen Diskussionsstand ist im Gespräch, die Körperschaftsteuer für Kapitalgesellschaften von derzeit 25 auf 18 oder 19 Prozent zu senken - denn rechnet man zum bisherigen Steuersatz Solidaritätszuschlag und Gewerbesteuer dazu, schafft Deutschland im europäischen Steuervergleich allenfalls einen Platz auf den hinteren Rängen. Gleichzeitig sollen aber auch mögliche Steuerschlupflöcher geschlossen werden, so die Andeutungen des Kanzlers bereits vor einigen Tagen. Gedacht wird etwa an weitere Einschränkungen bei den Möglichkeiten der Verlustverrechnung:
"Bei den Kapitalgesellschaften haben wir hohe Sätze und eine Bemessungsgrundlage für diese Steuern, die gering ist: das heißt viele Steuerschlupflöcher. Ob man mit der Opposition, was wir ja immer wieder versucht haben, dazu kommt, wir schließen die Schlupflöcher und senken die Sätze - das wird man sehen können."
Doch auch den kleinen Betrieben soll geholfen werden – vor allem dem Mittelstand. Denn über 80 Prozent der Betriebe hierzulande werden als Personengesellschaften geführt, die der Einkommenssteuer unterliegen. Bei einer Spitzenbelastung von bis zu 44 Prozent kommen sie wesentlich schlechter weg als die Kapitalgesellschaften. Insofern werden hier Erleichterungen bei den Abschreibungsregeln sowie den Verrechnungsmöglichkeiten der Gewerbesteuer diskutiert.
Ob diese steuerpolitische Soforthilfe allerdings dem Standort Deutschland helfen würde, ist bei Experten umstritten. Schließlich würde es sich einmal mehr um Einzelmaßnahmen handeln, die das deutsche Steuerrecht noch unübersichtlicher machen könnten.
Unklar ist auch weiterhin die Finanzierungsfrage: die Union weigert sich bislang, Steuergeschenke auf Pump zu finanzieren. Mittlerweile zeichnet sich aber ab, dass zumindest ein Teil der Eigenheimzulage zur Gegenfinanzierung herangezogen werden dürfte, sagt auch CDU-Chefin Angela Merkel:
"Nicht gleich die ganze Eigenheimzulage, aber man muss überlegen, ob man es konzentriert: auf Familien, auf Kinder, das ist durchaus möglich. Aber ich sage es noch einmal: nicht für Bildung, für Forschung, für das Stopfen von Haushaltslöchern, sondern ganz konzentriert im Zusammenhang mit steuerlichen Maßnahmen, von denen dann auch alle im Lande auch wirklich etwas haben."
Eine Umschichtung, zu der inzwischen auch die rot-grüne Koalition offenbar bereit ist. Selbst höhere Schulden werden dort nicht mehr ausgeschlossen, etwa wenn es darum geht, ein Konjunkturpaket für mehr öffentliche Investitionen zu schnüren.
Doch selbst bei den Maßnahmen, die kaum oder überhaupt keine Mittel kosten, dürfte es erheblichen Streit geben. Denn geschickt hat die Union ihre Forderung nach Bürokratieabbau um einen wesentlichen Punkt erweitert. CDU-Generalsekretär Volker Kauder:
"Das Entscheidende wird sein, das wir zunächst über Fragen reden, die kein Geld kosten, die zu machen sind: das ist das Thema Bürokratieabbau und Antidiskriminierungsgesetz."
Doch gerade letztere Forderung trifft einen wunden Punkt bei den Grünen. Ihnen ist die erweiterte Auslegung der europäischen Vorgaben für das Anti-Diskriminierungsgesetz eine Herzensangelegenheit. Gleichzeitig ist das Thema aber auch innerhalb der Koalition höchst umstritten. Wirtschafts- und Arbeitsminister Wolfgang Clement, aber auch Innenminister Otto Schily, lehnen das umfangreiche Gesetz ab und favorisieren - wie die Union - eine 1:1-Umsetzung der europäischen Richtlinie. Eine schwierige Position für den kleinen Koalitionspartner - Grünen-Parteichefin Claudia Roth:
"Wir sind selbstverständlich dazu bereit, dass wir, wenn es Verbesserungsvorschläge gibt im Bereich des Antidiskriminierungsgesetzes, dass wir die diskutieren, dass wir da offen für sind. Aber im Kern sollte dieses Antidiskriminierungsgesetz wirklich erhalten werden."
Freilich, der Kanzler dürfte den Jobgipfel kaum wegen einer solchen Frage scheitern lassen. Insofern sind die Grünen hier eindeutig in der Defensive.
Als weitaus bedrohlicher für einen erfolgreichen Ausgang des Treffens könnten sich die Forderungen der Union nach einer weiteren Flexibilisierung des Arbeitsmarktes erweisen. Die Beschneidung des Tarifrechts, die Lockerung des Kündigungsschutzes und Einschränkungen bei der betrieblichen Mitbestimmung lauten die Kernpositionen bei der Union. Nur so könne auf dem verkrusteten Arbeitsmarkt eine neue Dynamik entstehen.
Doch Gerhard Schröder sind an dieser Stelle die Hände gebunden. Nicht umsonst hat sich DGB-Chef Michael Sommer gestern noch einmal persönlich in die SPD-Fraktion bemüht, um die Genossen an ihre sozialen Verpflichtungen zu erinnern. Keine Kompromisse in diesen Fragen, lautet die Vorgabe. Eine Position, die auch von SPD-Chef Franz Müntefering und Generalsekretär Uwe Benneter geteilt wird:
"Also, darüber brauchte im Präsidium nicht gesprochen zu werden, dass diese Ladenhüter-Punkte-Kataloge nicht in Frage kommen. Dass wir mit dem Abbau von Arbeitnehmerrechten hier keinen zusätzlichen Arbeitsplatz gewinnen werden, darüber sind sich alle Sozialdemokraten klar. "
Nicht zuletzt an dieser Stelle könnten sich also morgen die Verhandlungen entscheiden: Pochen beide Seiten weiter auf ihre unvereinbaren Positionen und nehmen damit ein Scheitern des Gipfels in Kauf, oder gibt es doch wenigstens einen kosmetischen Kompromiss?
Der Streit um eine Absenkung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung von derzeit 6,5 auf fünf Prozent könnte dagegen durch die Kostenfrage entschieden werden. Immerhin würde ein solcher Schritt bis zu zwölf Milliarden Euro kosten – aber auf der anderen Seite, so die Rechung, 150.000 neue Jobs bringen. Die Union ist der Meinung, durch entsprechende Einsparungen bei der Bundesagentur für Arbeit seien die Mittel durchaus aufzubringen, was Rot-Grün - bislang wenigstens - bestreitet.
Ein harter Verhandlungspoker steht also bevor, bei dem die Reform des Föderalismus eine eher untergeordnete Rolle spielen dürfte. Denn an einer Einigung in dieser Frage sind beide Seiten interessiert, schließlich gilt das Scheitern der Gespräche im vergangenen Jahr bis heute als Nachweis für die Handlungsunfähigkeit der Politik. Ein Makel, den nicht zuletzt der Bundeskanzler schnellstens aus der Welt schaffen will:
"85 Prozent dessen, was in der Föderalismuskommission vereinbart wurde, war bereits Konsens. Warum haben wir es nicht gemacht? Ich bin dafür, und an mir wird nichts, aber auch gar nichts scheitern, dass man die Arbeit in der Föderalismuskommission wieder aufnimmt und da schnell wieder zu einem Ergebnis kommt. Damit klar ist, wer für was verantwortlich ist."
Notfalls, so heißt es jetzt, müsse die schwelende Auseinandersetzung über die Zuständigkeit im Bildungsbereich einfach ausgeklammert werden. So wird man vermutlich morgen mit vielen Streitthemen umgehen: Nicht lösbare Konflikte dürften einfach ausgeblendet werden, notfalls muss dann der Minimalkonsens herhalten.
Trotzdem wollen alle den Erfolg - zu groß ist der Erwartungsdruck, zu groß die Angst vor einer weiteren Enttäuschung der Wähler. Doch längst wird es morgen nicht nur um die Schaffung von neuen Arbeitsplätzen gehen. Schließlich wollen alle Parteien aus dem Treffen auch politisches Kapital schlagen. Den Geist einer möglichen großen Koalition will deshalb niemand beschwören, schon gar nicht Hessens Ministerpräsident Roland Koch:
"Ich glaube, dass die große Koalition nicht sehr nützlich wäre, weil Gott sei Dank - wie ich finde - die beiden großen politischen Lager, SPD und CDU/CSU, sehr unterschiedliche Ideen haben, wie man diese Gesellschaft voranbringt. Und in einer Krisensitzung, in der eine Regierung offensichtlich strauchelt, in der es eine deutliche Mehrheit der Union im Bundesrat gibt, muss auch die andere große Partei in der Lage sein, das Gespräch zu führen. Zu sagen, lass uns diese schmale Schnittmenge finden und im Interesse der Bürger auch verwirklichen. Um diese Frage geht es auch morgen bei diesem Gespräch."
Doch es geht um mehr: Die Regierung will sich wieder an die Spitze der Reformbewegung setzen, nachdem die Union erfolgreich das Tempo beschleunigen konnte. Nicht zuletzt deshalb wird Gerhard Schröder zunächst einmal in seiner Regierungserklärung am Donnerstagmorgen die Wegstrecke markieren, die anschließend beschritten werden soll.
Die Union steht dagegen vor einem Dilemma. Dass es überhaupt einen Reformgipfel gibt, ist allein ihr Erfolg. Doch die Frage stellt sich: Was folgt danach? Gelingt eine Einigung, könnte davon in erster Linie die Regierung profitieren. Schließlich würde sie die Beschlüsse in Gesetzesvorlagen gießen. Andererseits könnten sich bei einem erfolgreichen Verlauf gerade CDU und CSU als die eigentlichen Modernisierer im Lande feiern lassen - gerade bei den bevorstehenden Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen ein unschätzbarer Wettbewerbsvorteil.
Zumal es sich hierbei um die Vorentscheidung bei der eigentlichen Machtfrage handelt - den Bundestagswahlen 2006, auch wenn der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, Peer Steinbrück, eher tief stapelt:
"Es ist nicht eine politische Schicksalswahl, es ist ein politischer Wettbewerb. Natürlich spielt Nordrhein-Westfalen da ein besonderes Gewicht, weil da 13,5 bis 14 Millionen Wähler zur Urne gehen. Aber es ist der übliche demokratische Wettbewerb."