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Magischer Geschichtenerzähler

Otfried Preußlers fand neue Erzählformen für die volkstümliche Fantastik: Aus dem Kasperletheater wurde der "Räuber Hotzenplotz". Von Realismus und Gesellschaftskritik in der Kinder- und Jugendliteratur der 60er- und 70er-Jahre ließ Preußler sich nicht beirren.

Von Christoph Schmitz |
    "Meine Großmutter hat Geschichten von Gespenstern, Hexen und Drachen erzählt. Von einem Feuer speienden Drachen, der nicht nur Hutzelmänner frisst, sondern alles, was ihm vor die Zähne kommt. Wir haben vom Fenster unseres Elternhauses den Wald sehen können, in dem der Drache haust. Der Wald war zu sehen, er war wirklich nah, also musste es auch den Drachen geben, aber er war so schön weit weg, dass wir uns schon wieder nicht mehr zu fürchten brauchten."

    In diesen Sätzen steckt schon die ganze Genese und ein guter Teil des Programms von Otfried Preußlers Literatur. Da ist die Großmutter Dora im nordböhmischen Reichenberg, die den Jungen mit den Geschichten von Hexen, Wassergeistern und Gespenstern versorgte, mit den mündlich tradierten Märchen und Volkssagen, und dem Kind die Ohren öffnete für jene kaum hörbaren und doch wundersamen Frequenzen der Wirklichkeit.

    "Der kleine Wassermann", "Die kleine Hexe", "Das kleine Gespenst" sind daraus in den 50er- und 60er-Jahren entstanden. Und zugleich verliehen die Erzählungen der Großmutter dem Kind eine Ahnung vom Schrecken, von Gewalt und Tod, die überall lauern. Aber - und das sollte zum Kern von Preußlers Texten werden - das Böse lauert immer in ausreichender Distanz, hinten im Wald, aber nicht direkt am oder gar im Haus.

    "Eine Frage aus meiner Kinderzeit, hatten Sie als Kind Angst vor Gespenstern und Hexen? Aber selbstverständlich. Mal mehr, mal weniger. Gelegentlich habe ich diese Angst auch ungeheuer genossen; es gibt so Stunden, wenn man im Bett liegt und weiß, im Grunde kann einem nichts passieren. Dann ist es schön, Angst zu haben."

    Das Angsteinflößende und Unheimliche wird bei Preußler oft gebändigt. Aufklärung durch Vermenschlichung. Die kleine Hexe, die mit ihren 127 Jahren noch in den Kinderschuhen steckt, will zu den Großen dazugehören, wird für ihre Anmaßung bestraft, versteht ihre Strafe, eine "gute" Hexe zu werden, wörtlich und hilft Kindern und Alten in der Not.

    Und Preußlers Literatur bildet ihren kindlichen Lesern und Zuhörer eine Spiegelfläche. Der kleine Wassermann mit seinen Schwimmhäuten zwischen den Zehen lebt zwar am Grund des Mühlenweihers, aber in einem möblierten Haus, wie jedes Kind, und kann nach und nach die unbekannte fremde Umwelt erkunden.

    Bei Preußler lernen Kinder die Welt kennen, alles was zu ihr gehört, ohne sich allzu sehr zu erschrecken. Letztlich kann man ihr vertrauen. Dabei ist Preußlers Sprache so einfach, klar und pointiert, dass kein Wort fehlen darf. Eine Art Minimalismus mit maximaler Suggestivkraft.

    Die kleine Hexe "wohnte in einem Hexenhaus, das stand einsam im tiefen Wald. Weil es nur einer kleinen Hexe gehörte, war auch das Hexenhaus nicht besonders groß." Mehr braucht es nicht.

    Von Realismus und Gesellschaftskritik in der Kinder- und Jugendliteratur der 60er- und 70er-Jahre, wie sie Christine Nöstlinger, Ursula Wölfel und Peter Härtling vertraten, ließ Preußler sich nicht beirren. Die volkstümliche Fantastik brachte er in neue erzählerische Form: Aus der böhmischen Weihnachtskrippe wurde der Erwachsenenroman "Die Flucht nach Ägypten" in knarzendem Böhmerdeutsch. Aus dem Kasperletheater wurde der "Räuber Hotzenplotz".

    "Wichtig war es, die richtigen Namen zu finden. Auf dem Kasperletheater ist der Räuber der Räuber, er bleibt anonym, er hat keinen Namen. Für den Räuber brauchte ich einen Namen, wenn ich von ihm erzählen wollte, das war gar nicht so einfach. Ich habe lange herumgerätselt, habe mir eine lange Liste gemacht von allen möglichen in Betracht kommenden Namen von Pistolinski bis Pistolatzki bis weiß ich wohin, bis mir plötzlich der Name Hotzenplotz einfiel. Und der war es einfach. Das war der Name, den ich gesucht hatte, der auf ihn passte, wie das Rumpelstilzchen aufs Rumpelstilzchen."

    Hotzenplotz wie ein gleichnamiges mährisches Dorf.

    Bei Preußler gibt es nicht den Aufstand gegen Eltern und Gesellschaft. Vom ideologischen Diktat der antiautoritären Kinderliteratur ließ er sich nicht einschüchtern. Der Aufstand bei Preußler ist fundamentaler. Gegen das Böse kämpft seine Literatur an und gegen die Verführungsmacht des Bösen, der Hybris, der Herrschsucht.

    In nur wenigen Romanen der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts ist diese Verführung, sind Wende und Widerstand und natürlich glückliches Ende so intensiv, fesselnd und ästhetisch überzeugend dargestellt worden wie in Preußlers Jugendroman "Krabat" von 1971. Der sorbische Waisenjunge Krabat ist fasziniert von der schwarzen Magie des Müllermeisters der Mühle im Koselbruch, bis er auf den finsteren Gevatter und seine Menschenopfer stößt. Mit der Liebe der Kantorka kann Krabat den Kampf bestehen.

    Preußlers Bücher erzählen mehr vom Leben als vom Tagesgeschäft und haben daher auch zum einen die lange Haltbarkeit von Märchen und Sagen und zum anderen ihren Erfolg in allen Kulturen rund um den Globus. Einer der großen Geschichtenerzähler unserer Zeit ist mit Otfried Preußler gestorben.