Donnerstag, 18. April 2024

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'Magnificat - C.Ph.E. Bach und J.C. Bach'

Zwei Aufnahmen mit geistlicher Musik, wie sie unterschiedlicher nicht sein können: Beide kommen aus dem Hause Capriccio, beide sind in Koproduktion mit dem Westdeutschen Rundfunk entstanden, und doch liegen ästhetisch Welten dazwischen. Die eine bietet Kirchenmusik der Bach-Söhne Carl Philipp Emanuel und Johann Christian in historischer Aufführungspraxis, die andere Messen von Carl Maria von Weber und Robert Schumann in groß besetzter, opernähnlicher Vokalauffassung. Bei der einen hat Produzentin Barbara Schwendowius externe Spezialisten wie La Stagione Frankfurt und den Dresdner Kammerchor verpflichtet, bei der anderen von Produzent Dirk Schortemeier kamen die WDR-eigenen Klangkörper Rundfunkchor und Rundfunkorchester zum Einsatz. Am Mikrofon begrüßt Sie Ludwig Rink. * Musikbeispiel: Carl Philipp Emanuel Bach - Teil 1 aus: "Magnificat" So beginnt das Magnificat von Carl Philipp Emanuel Bach. Ähnlichkeiten zum etwa ein Vierteljahrhundert älteren Magnificat seines Vaters sind nicht zu überhören. Ob das daran lag, dass der Sohn seinem Vater bei der Arbeit über die Schulter geschaut hat, ob er sich bei manchen Abschnitten einfach keine andere Vertonung vorstellen konnte oder ob er unter dem üblichen Zeitdruck stand, kann man nicht mit Sicherheit sagen. Doch über weite Strecken, besonders in den Soloarien, lässt sich auch der modernere, tatkräftig von Carl Philipp vorangebrachte empfindsame Stil hören, und das verhaltene "Et misericordia" scheint wie auch manch andere Idee bereits den deutlich späteren Kirchenmusik-Stil eines Wolfgang Amadeus Mozart vorwegzunehmen. Für jene, die Kirchenmusik gerne in evangelisch oder katholisch einteilen, sei gesagt, dass ein solcher Lobgesang der Maria offenbar auch nach der Reformation kein Problem darstellte. Der Streit über die Rolle Mariens spitzte sich erst durch spätere Dogmen zu; in Leipzig erklang jedenfalls das Magnificat in regulären lutherischen Gottesdiensten auf deutsch und an hohen Feiertagen auch in lateinischer Sprache. Auch der jüngste Sohn des Thomaskantors, Johann Christian, steht mit seinen Werken für die spannende Zeit des Übergangs vom Barock zur Klassik, in der politische, moralische, menschliche Werte auf den Prüfstand kamen und sich auch in den Künsten revolutionäre Veränderungen vollzogen. Seine hier vorgestellte Magnificat-Vertonung wird bestimmt vom Gegensatz zwischen dem strengen, noch auf Palestrina zurückgehenden polyphonen Vokalstil, den Johann Christian zu Beginn seiner Laufbahn in Bologna beim berühmten Padre Martini gelernt hatte und den er hier in den Chören verwendet, und den melodisch überaus reizvollen, hoch expressiven Arien, die in starker Affinität zur Oper stehen und in denen jede emotionale Nuance des Textes musikalisch gedeutet wird. Zum Katholizismus konvertiert war dieser Bach-Sohn seit 1760 Organist am Mailänder Dom und hat an die dreißig zum allergrößten Teil lateinische geistliche Werke komponiert, bevor er sich intensiv der Oper zuwandte und später von Italien nach London übersiedelte, wo er in der Oper, vor allem aber auch in der Instrumentalmusik seinen ganz eigenen, empfindsamen Musikstil entwickelte. * Musikbeispiel: Johann Christian Bach - Teile 2 u. * aus: "Magnificat" (Nr. 2 Chor’ Et misericordia’; Nr. 3 Soli und Chor 'Fecit Potentiam’ Der Dresdner Kammerchor und das Ensemble La Stagione Frankfurt mit den Teilen "Et misericordia" und "Fecit potentiam" aus dem Magnificat in C, komponiert 1760 von Johann Christian, dem "Mailänder" oder "Londoner" Bach. Gleichzeitig konnten Sie hier zumindest drei der vier Solisten dieser Aufnahme hören: Ruth Sandhoff, Alt, Andreas Karasiak, Tenor und Gotthold Schwarz, Bass. Sie passen sich ebenso wie die Sopranistin Elisabeth Scholl hervorragend in das durchsichtige, an der historischen Aufführungspraxis orientierte Klangbild ein. La Stagione Frankfurt unter Leitung des auch als Flötisten weithin bekannten Michael Schneider musiziert mit viel Elan, nicht ganz so draufgängerisch, wie man es manchmal von Musica Antiqua oder Concerto Köln zu hören bekommt, dafür aber ohne Effekthascherei, sehr musikalisch und technisch wie stilistisch absolut sicher. Mit dem Dresdner Kammerchor unter Leitung von Hans-Christoph Rademann wurde zudem ein Vokalensemble verpflichtet, das sich nach und nach neben seinen unbestrittenen Qualitäten im Bereich der A-cappella-Vokalmusik vor allem der Romantik zunehmend auch große Kompetenz im Bereich der Alten Musik erarbeitet hat, kurz eine rundum gelungene Einspielung auf hohem vokalen und instrumentalen Niveau.

Ludwig Rink | 09.05.2002