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Mahlzeit nach Maß

Ernährungswissenschaft. - Übergewicht, Diabetes und Arterienverkalkung: Wohlstandskrankheiten, die sich besonders in den Industrieländern immer mehr ausbreiten. Dass hierfür vor allem Gene verantwortlich sind, das wollen Wissenschaftler in Kiel herausgefunden haben. Ihr Ziel ist die Entwicklung maßgeschneiderter Lebensmittel, die solchen Krankheiten vorbeugen sollen.

    Von Jens Wellhöner

    Die Untersuchungen in der Bundesanstalt für Milchforschung in Kiel begannen mit einem Energie-Drink. Mehreren Testpersonen wurde ein Fett- und Zuckercocktail vorgesetzt. Danach wurde ihr Stoffwechsel untersucht. Projektleiter Jürgen Schrezenmeir:

    Wir haben in vorausgegangenen Versuchen gesehen, dass bestimmte Personen nach Fettaufnahme mit exzessiv hohen Fettspiegeln reagieren, den Triglyceridspiegeln, nach dem Essen, auch schon bei 25-jährigen. Diese Personen haben darüber hinaus bereits höhere Fettmassen im Bauch, obwohl sie normalgewichtig ausgesucht waren, und vieles andere mehr, was charakteristisch ist für das metabolische Syndrom.

    Das metabolische Syndrom ist ein ganzer Komplex von Stoffwechselkrankheiten. Dazu gehören auch Übergewicht, Diabetes und Arterienverkalkung. 30 bis 40 Prozent der bundesdeutschen Bevölkerung sind davon betroffen. Verantwortlich dafür sind vor allem Proteine, die Fetttransporter im menschlichen Körper.

    Wenn ein Fetttransporter besonders gut Fett aus dem Darm in das Blut aufnehmen lässt, würden wir erwarten, dass ist eher ungünstig, Denn, es wird aus ein und derselben Menge Fett, die im Darm ankommt, schneller Blutfett gebildet.

    Und dieses Blutfett gelangt auch schneller in die Gewebe und lagert sich dort ab. Die Ursache dafür sehen die Kieler Forscher in den Genen. Der Stoffwechsel der Betroffenen ist auf Mangelsituationen ausgerichtet. Zum Beispiel während einer Hungersnot sind Menschen mit größeren Fettreserven im Vorteil, so Jürgen Schrezenmeir:

    Das heißt, diese Personen haben in Zeiten des Hungers von den größeren Fettreserven, die sie sich in Zeiten des Überflusses angeeignet haben und aneignen konnten, gezehrt. In der jetzigen Überflussgesellschaft kehren sich diese an sich guten Gene ins Gegenteil um. Diese Personen sind falsch programmiert auf ein Leben im Überfluss.

    Die Versuche in der Bundesanstalt für Milchforschung erbrachten noch ein weiteres Ergebnis: Die Kinder von einem Elternteil mit metabolischem Syndrom sind besonders häufig von Fettleibigkeit, Übergewicht und Diabetes betroffen. Ein deutlicher Hinweis auf Vererbbarkeit. Die Kieler Wissenschaftler wollen diese Erkenntnisse in der Lebensmittelproduktion umsetzen. Ernährungsforscher Niels Roos von der Bundesanstalt für Milchforschung:

    Ziel ist es natürlich, individuell Lebensmittel zu produzieren, die individuell abgestimmt sind auf die genetische Ausgangslage eines Patienten oder eines Probanden, um eben das Risiko für solche Krankheiten zu minimieren.

    Solche Substanzen könnten in Zukunft fetthaltigen Nahrungsmitteln zugegeben werden. Bestimmte Proteine hemmen das fettverdauende Enzym im Magen. Die Fette können nicht so schnell in das Gewebe gelangen. Anschließend werden diese Proteine auf natürlichem Wege ausgeschieden. Solche Stoffe finden sich zum Beispiel in Bohnen und im Körper von Rindern.

    Die Aussicht auf solche funktionalen Lebensmittel stößt aber auch auf Skepsis. Anneli Hahn, Expertin für Lebensmittelhygiene aus Berlin:

    Diese Produkte sind sehr umstritten, in jeglicher Form, bedürfen auf jeden Fall Langzeitstudien. Denn es kann ja sein, dass ein isolierter Stoff einem einzelnen hilft, er kann aber auch schaden!

    So ist zum Beispiel noch nicht erforscht, inwieweit solche Stoffe Allergien auslösen können. Dazu Niels Roos:

    Das muss natürlich in toxikologischen Untersuchungen getestet werden. Die sind natürlich sehr umfangreich. Das wird sicherlich erst zu einem späteren Zeitpunkt, wenn überhaupt die Theorie funktioniert, durchgeführt werden müssen.

    Es ist noch nicht klar, welche Gene für die Fettverarbeitung im menschlichen Körper zuständig sind. Auch müssen noch deutlich mehr Testpersonen untersucht werden. Die Kieler Grundlagenforschung soll sieben Jahre dauern. Erst danach könnte die Entwicklung von Lebensmitteln starten.