Mittwoch, 15. Mai 2024

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Mahnmal und Peinlichkeit

Alle Teilnehmer auf dem Podium widerstanden in dem knapp, zweistündigen Gedankenaustausch der Versuchung, das tagespolitische Geschäft zu kommentieren. Kein Wort zur "Topographie des Terrors", kein Wort zum Rücktritt von Reinhard Rürup. Stattdessen konzentrierte sich das Gespräch auf die Arbeit von Jochen Gerz. Er war einer der 16 Künstler und Architekten, die 1997 mit der Planung des Mahnmals für die ermordeten Juden Europas beauftragt worden waren. Nachdem die Politik - so Adolf Muschg - die Entscheidung der Jury über den offenen Wettbewerb kassiert hatte. Gerz wollte auf 39 Lichtpolen die Frage WARUM in allen Sprachen der ermordeten Juden in der Mitte Berlins stellen und die Besucher zu Kommentaren auffordern – für viele eine gefährliche Einladung zur Schändung des Mahnmals. Gerz zog seinen Entwurf damals zurück:

Claudia Henne | 30.03.2004
    Man musste ja am Anfang erklären ob man teilnehmen will und ich hatte diesen Satz, hatte ich reingeschrieben als eine Bedingung meiner Teilnahme, dass die Jury jurieren dürfte. Und ich hatte inzwischen erfahren, dass die Entscheidung im Bundeskanzleramt gefallen war, und ich kann das so ganz simpel sagen, was ich erfahren habe. Das war, dass kein Deutscher das gewinnen sollte, das wär einfach eine endlose Diskussion und die wollte ja gerade hinter sich bringen. Und diese Entscheidung, das müssen wir sagen, ist dann auch gefallen und mit der leben wir jetzt.

    Antje Vollmer zeigte sich selbstkritisch, beschrieb den quälend langen Diskussions- und Entscheidungsprozeß für das Mahnmal als eine endlose Geschichte von Korrekturen, wollte ihn aber im Sinne von Beuys als soziale Skulptur verstanden wissen. Und heute? Steht die Sorge über die mögliche Schändung der von Eisenmann entworfenen Stelen nicht längst wieder im Vordergrund und offenbart die Schwachstelle des Denkmals? Ausgerechnet die Firma Degussa verspricht die Imprägnierung der Stelen gegen Vandalismus, die Firma, die 50 Jahre zuvor das tödliche Zyklon B produzierte. Ist die Shoah ein Gegenstand, dem Würde am besten steht? fragte Gerz zurück und liegt die Würde in der Reinheit? Im Ungeschändet-Sein?

    Es gibt für mich keine Vandalen. Vandalen sind Teilnehmer, sind Beiträger. Man kann sagen, das ist mißverstanden, das ist falsch verstanden, die haben das nicht richtig begriffen. Aber es sind letztlich in dem Moment, wo man den Beitrag will als einen ästhetisch notwendigen Teil des Werkes, da kann man nicht plötzlich sagen, ja wir sind hier in der Schule. Das sind die Guten und das sind die Schlechten.

    Dem mochte der Pädagoge Hartmut von Hentig nicht zustimmen. Der Mensch kann sich zwar zur Unmenschlichkeit nicht angemessen verhalten. Aber ein Denkmal hat eine begrenzte Aufgabe und wer das Holocaust-Denkmal als großes Bekenntnis der Gesellschaft versteht, der könne es nicht ertragen, wenn es besudelt würde:

    Wir dürfen doch nicht, indem wir die psychologischen Gründe für Denkmäler, die ja zweifelhaft sein können, verdächtigen die Bemühung darum insgesamt abstrafen. Es ist doch das Denkmal selbst genau die Hilfe, die wir brauchen, weil wir vergessen. Weil wir nicht täglich an das Ungeheuerliche denken können, haben wir wenigstens ein Steinchen gepflanzt, der uns sagt, daran wollten wir aber denken. Also ein Denkmal ist immer ein "zwar-aber-Instrument", "zwar-wollen-wir, aber wir können nicht so gut, aber bitte dies nicht diffamieren.

    Unterschiedlicher könnten die Positionen von Hartmut von Hentig und Jochen Gerz nicht sein. Sie beschreiben das Dilemma dieser langen – so Gerz - Kraut- und Rübendiskussion, die sich an nichts organisiert und an nichts hält. Für von Hentig lebt der Mensch nach vorwärts, kann aber nur nach rückwärts verstanden werden. Für Jochen Gerz liegt unsere Geschichte in der Zukunft:

    Wir können uns alle müde reden. Es wird vor uns bleiben, nicht hinter uns und dieses Vor-uns-Sein, diese Vergangenheit wie einen Sack nach vorne werfen und angucken. Nicht nach hinten, sondern nach vorne. Das ist eine Arbeit, etwas für andere tun. Ich glaube nur in diesem Denken an die Zukunft kann man der Vergangenheit einen Sinn abgewinnen.