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Mahnruf von der Kinoleinwand

Der Film "Kidulthood" erregt die Gemüter in Großbritannien. Die brutale Darstellung von Gewalt im Leben Londoner Jugendlicher brachte Kritiker auf die Barrikaden. Die Zeitung "The Sun" verlangt, der Streifen müsse zensiert oder gar verboten werden. Andere sagen, dies sei der erste realistische Spielfilm über junge Briten von heute. Ruth Rach berichtet.

    Drogen, Kampftrinken, Prostitution Mobben, Happy Slapping, Selbstmord: der Film "Kidulthood". Eine brutale Abfolge hart aneinandergeschnittener Szenen, die dem Publikum den Atem verschlagen. Die Sprache ist hart, die Musik ebenfalls. Gleich in der ersten Szene wird Katie, ein hübsches blondes Mädchen, in einem Klassenzimmer schwer gemobbt. Ihr Vater holt sie mit seinem schicken Auto von der Schule ab - und merkt nicht mal, was passiert ist. Später kommt Katies schwarzer Ex-Freund zu Besuch, er misshandelt sie in ihrem Zimmer, während ihre liberale Mutter dezent an die Türe klopft und mahnt: Bitte vergesst das Kondom nicht. Zehn Minuten später ist Katie tot. Sie hat sich erhängt.

    Es gibt kaum Erwachsene in diesem Film. einen Onkel, der mit Drogen handelt. Zwei Männer, die sich von zwei 15-jährigen Mädchen verführen lassen, die ihr Taschengeld aufbessern möchten. Die Eltern sind Randfiguren, sie haben keine Ahnung, was ihre Kinder treiben. Es gibt schwarze Teenager, die weiße mobben, und umgekehrt. Noel Clarke spielt die Hauptrolle: einen 15-jährigen Brutalo, der in seiner Peer Group den Ton angibt.

    Er wollte ein Schlaglicht auf den Teil von Notting Hill werfen, der nie gezeigt werde, sagt Noel Clarke. Clarke hat auch das Drehbuch geschrieben. Den Vorwurf, er wolle absichtlich schocken, weist er zurück. Clarke wuchs selbst in einer Sozialwohnung in Notting Hill auf. Sein Film beruhe auf wahren Geschichten, sagt er.

    Clarke verweist auf Alisa, eine weitere Hauptfigur in "Kidulthood", die mit 15 ein Baby erwartet. Auch sie reflektiere britische Realitäten. Kaum ein Land habe so viele Schwangerschaften unter Minderjährigen wie Großbritannien. Der Film nimmt ein hartes Ende: Trife, der Alisa geschwängert hat, wird erstochen. Eine blutige Szene. Die Kamera fährt ganz nahe heran, zeigt verletzliche Kindergesichter. Sie erleben einen Alptraum, dem sie nicht entrinnen können.

    Jugendliche im Kino am Leicester Square reagieren positiv. Die meisten Zuschauer sind um die 20:

    "Diese Dinge gehen jeden an. Sie passieren in allen sozialen Schichten. "

    "Das ist ein Mahnruf, wir müssen endlich aufwachen. Manche meinen allerdings, der Streifen sei sensationslüstern. Er ziele darauf ab, die Hysterie der Eltern zu schüren. Und die Medien täten das Ihre, um den Film weiter hochzuschaukeln."

    "Der Film trifft zwar in manchen Bereichen die Wahrheit, aber er steckt voller Übertreibungen. 'Kidulthood' ist eine Fiktion. Fakten wären nicht so aufregend. Der Streifen ist nicht schlecht, aber irgendwie ist die Handlung vorhersagbar. Und das ärgert mich."

    Kidulthood ist ab 15 freigegeben. Eine umstrittene Entscheidung. Manche Erwachsene befürchten, die brutalen Szenen könnten junge Menschen zur Gewalt verleiten. Ganz im Gegenteil, sagt Noel Clarke. Sein Film habe eine moralische Botschaft:

    "Er muss tragisch enden. Er soll zeigen, dass böse Taten schlimme Konsequenzen haben können."

    Diesen Film sollten sich alle Eltern anschauen, damit sie aus ihrer Apathie aufwachen, erklärte unterdessen eine Vertreterin einer britischen Polizeivereinigung. Unter dem Publikum am Leicester Square sind allerdings keine Eltern zu finden. Vielleicht wollen sie sich die krasse Darstellung der Jugend ersparen. Die Eltern im Film machen einen hilflosen Eindruck. Was Erwachsene konkret tun können, um ihre Sprösslinge zu schützen, dafür hat auch Noel Clarke keine Antwort.