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Mahnwache in Deniz Yücels Heimatstadt
"Ich glaube, dass viele Erdogan-Fans in Flörsheim sind, die das stört"

Seit vier Wochen ist der "Welt"-Korrespondent Deniz Yücel in der Türkei inhaftiert. Immer noch bekommt die Bundesrepublik Deutschland keinen Zugang zu dem Journalisten mit Doppelpass, um ihn konsularisch zu betreuen. In Flörsheim am Main sorgen Bürger dafür, dass der "Sohn der Stadt" nicht vergessen wird. Soviel Solidarität finden nicht alle gut.

Von Ludger Fittkau | 15.03.2017
    Mahnwache für den in der Türkei inhaftierten Deniz Yücel in seiner hessischen Heimatstadt Flörsheim am Main. Bürgermeister Michael Antenbrink spricht.
    Mahnwache für den in der Türkei inhaftierten Deniz Yücel in seiner hessischen Heimatstadt Flörsheim am Main. Bürgermeister Michael Antenbrink spricht. (Deutschlandradio/Ludger Fittkau)
    "Ich habe vor genau einer Woche meinen Bruder besuchen können, zwar nicht lange - eine Stunde haben wir uns sehen können im Gefängnis."
    Ilkay Yücel ist die Schwester des in der Türkei inhaftierten deutsch-türkischen Journalisten Deniz Yücel. Genau vier Wochen nach der Verhaftung des "Welt"-Korrespondenten spricht Ilkay Yücel vor rund einhundert Menschen bei einer Mahnwache in Flörsheim am Main, dem Heimatort der Familie:
    "Es geht im relativ gut. Er lässt Grüße ausrichten an jeden Einzelnen hier. Er bedankt sich für die Solidarität. Durch seine Anwälte wird er über alles informiert. Und vor allem das in Flörsheim, das bewegt ihn natürlich auch besonders. Herzliche Grüße von ihm. Und danke!"
    Die Frau im roten Mantel ist Deniz Yücels Schwester Ilkay. Sie durfte Ihren Bruder kurz im Gefängnis in der Türkei besuchen.
    Die Frau im roten Mantel ist Deniz Yücels Schwester Ilkay. Sie durfte Ihren Bruder kurz im Gefängnis in der Türkei besuchen. (Deutschlandradio/Ludger Fittkau)
    Resolution für den "Sohn der Stadt"
    Der SPD-Politiker Michael Antenbrink ist der Bürgermeister der 20.000 Einwohner-Stadt Flörsheim am Main zwischen Mainz und Frankfurt. Er hat die Mahnwache für Deniz Yücel vor der Stadthalle organisiert, alle Fraktionen des Stadtparlaments haben gemeinsam eine Resolution für den in der Türkei inhaftierten Sohn der Stadt unterzeichnet. Michael Antenbrink weiß, dass nun vor allem das stille Geschick des Auswärtigen Amtes in Berlin gefragt ist, um Deniz Yücel freizubekommen:
    "Also ich denke, es ist natürlich wichtig, auch diese sogenannte stille Diplomatie zum Zuge komme zu lassen. Das steht außer Frage. Aber ich denke, das ist nun mal unserer Zeit geschuldet, dass Öffentlichkeit auch ihren Beitrag leisten kann. Niemand von uns will provozieren, aber wir wollen Erinnerungen wachhalten. Wir wollen darauf aufmerksam machen, das Deniz Yücel immer noch in Haft ist. Unschuldig. Ohne konkrete Gründe seit über einem Monat. Und er darf halt nicht in Vergessenheit geraten. Auch stille Diplomatie braucht natürlich einen Rückhalt in der Öffentlichkeit."
    Das sieht Ilkay Yücel, die Schwester des in der Türkei gefangenen "Welt"-Journalisten genauso:
    "Damit das nicht in Vergessenheit gerät. Ich meine, es ist jetzt seit Wochen in den Medien präsent, aber ich vermag nicht zu sagen, wie lange das anhält. Für uns natürlich nicht, aber für die Öffentlichkeit kann das natürlich sehr schnell in Vergessenheit geraten. Ich habe auch gar keine Vorstellungen, wie lange das Ganze dauern wird. Deswegen ist es natürlich wichtig, dass es nach wie vor präsent gehalten wird."
    Aufkleber mit "Free Deniz" sind abgerissen
    Carola Gottas von der Grün-Alternativen Liste Flörsheim spürt in der Stadt, dass es auch viele Bürger türkischer Herkunft gibt, die auf der Seite des türkischen Staatspräsidenten Erdogan stehen:
    "Also mir ist aufgefallen, dass seit einer Woche in Flörsheim auch Aufkleber kleben mit "Free Deniz". Und wenn ich meine Kinder von der Schule abhole, hängen diese Aufkleber auch immer mal woanders. Und die, die vorher da hingen, sind abgerissen. Insofern glaube ich, dass schon viele Erdogan-Fans hier in Flörsheim sind, die das stört. Diese Aufkleber und die das stört, das heute hier die Mahnwache ist. Aber das finde ich ganz wichtig. Wenn es Leute stört, dann denken Leute darüber nach."
    Hoffnung auf eine entspanntere Lage nach dem Türkei-Referendum
    Wie lange aber wird der Flörsheimer Deniz Yücel im türkischen Gefängnis festgehalten werden? Niemand weiß das. Die Hoffnung ist, dass sich nach dem Referendum über ein Präsidialsystem in der Türkei Mitte April die politische Großwetterlage ein wenig entspannt und das dann eine Chance besteht, den "Welt"-Journalisten freizubekommen. Bis dahin dürfen nur einmal wöchentlich nahe Angehörige Deniz Yücel im türkischen Knast besuchen. Nicht einfach für seine Familie, die am Main lebt. Schwester Ilkay Yücel:
    "Ich muss ja auch arbeiten. Also, wenn es am Wochenende wäre, der Besuchstermin, dann würde ich wahrscheinlich alle zwei Wochen oder so hinfliegen, aber so unter der Woche ist es natürlich schwierig. Ich meine, ich habe jetzt auch ungeplant auch einfach Urlaub genommen. Aber mein Alltag muss ja auch irgendwie weitergehen."
    Erinnerung an den inhaftierten Yücel an jedem 14. im Monat
    Der Alltag geht weiter – auch in Flörsheim am Main. Doch im Heimatort von Deniz Yücel ist man fest entschlossen, den jetzt schon berühmten Sohn der Stadt im türkischen Gefängnis nicht zu vergessen. Bürgermeister Michael Antenbrink:
    "Ja, also wir haben ja bewusst jetzt den 14. gewählt. Das ist einen Monat her, dass er verhaftet wurde, der Deniz Yücel. Und wir wollen versuchen, im Monatsturnus, dann jedes Mal an einem 14. im Monat an Deniz Yücel zu erinnern. So lange, bis er frei kommt. Und ich hoffe, dass der Staatspräsident der Türkei irgendwann mal ein Zeichen setzt, dass er sich sehr wohl den Grundrechten und der Demokratie verpflichtet fühlt, auch als Präsident. Und Deniz Yücel genauso wie die anderen unschuldig verhafteten Journalisten freilässt in der Türkei."