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Maifestspiele Wiesbaden
Mozart im Doppelpack geht nicht auf

Mit den Mozart-Opern „Idomeneo“ und „La Clemenza di Tito“ sind die Internationalen Maifestspiele in Wiesbaden eröffnet worden. Beide Opernabende sind für sich genommen schlüssig erzählt. Aber die Idee, die Werke im Sinne einer Fortsetzungsgeschichte zu erzählen, geht nicht auf.

Von Ursula Böhmer | 06.05.2019
    Mirko Roschkowski in der Rolle des Idomeneo kniet auf dem Boden, hinter ihm sind Stühle mit Kerzen zu sehen
    Mirko Roschkowski singt Idomeneo und Titus (Hessisches Staatstheater / Karl & Monika Forster)
    Nur zehn Jahre liegen zwischen Mozarts Opern "Idomeneo" und "La Clemenza di Tito". Ein Früh- und ein Spätwerk über antike Potentaten und ihren unterschiedlichen Umgang mit Macht: Uwe Eric Laufenberg stellt sie zur Eröffnung der Internationalen Maifestspiele in Wiesbaden gegenüber.
    Titus bei Idomeneo zu Gast
    Schon während der Ouvertüre zur Oper "Idomeneo" schaut Kaiser Titus kurz vorbei: Auf den Bühnenvorhang wird ein Video aus der Oper "La Clemenza di Tito" projiziert, auf dem Titus im blauen Anzug eine riesige Palasttreppe hinaufgeht, dabei misstrauisch immer mal über die Schulter schaut. Kaum hebt sich der Vorhang zur Oper "Idomeneo", ergibt sich im Staatstheater Wiesbaden dann allerdings ein ganz anderes Bühnenbild: Der gleiche Palastsaal - aber völlig zerbombt. Statt der Treppe gähnt in der Rückwand ein Loch, durch das Meereswellen zu sehen sind. Uwe Eric Laufenberg versucht, über die Bühnenbilder Bezüge herzustellen zwischen Mozarts Opernstoffen:
    "Idomeneo‘ ist für mich eine Oper, die entweder in der Vor-Zivilisation oder Nach-Zivilisation spielt – jedenfalls da, wo die Zivilisationen, die man auf der Bühne sieht, einen deutlichen Riss bekommen haben! Die Katastrophen waren so groß, dass die Zivilisation, so wie sie ist, nicht zu halten ist – auch von den Fremden quasi mit bevölkert wird: Die Flüchtlinge, die aus Troja kommen, die könnten auch heute aus Syrien kommen. Und das, was da den Kretern und den Griechen wiederfährt, ist auch ein Zustand nach einem Krieg. Und bei ‚Titus‘ sehen wir den Moment der Hoch-Zivilisation – wo ein Staat in sich ganz sicher ist, dass er hundertprozentig funktioniert und mit guter Macht auskommt - aber dann so intrigant aufgestellt ist, dass auch da die gute Machtausübung eigentlich unmöglich ist!"
    Am Ende einer aufsteigenden Treppe steht Mirko Roschkowski in der Rolle als Titus in "La Clemenza di Tito"
    Mirko Roschkowski als Titus (Hessisches Staatstheater / Karl & Monika Forster)
    Titus und Idomeneo verkörpern zwei Seiten derselben Macht-Medaille. Uwe Eric Laufenberg hat die beiden Opernhelden daher folgerichtig mit dem gleichen Sänger besetzt: Mirko Roschkowski, der mit seiner warmen, hellen Tenorstimme für wunderschön lyrische Momente sorgt - in Mozarts berüchtigt schweren Koloraturarien allerdings schwächelt. Darstellerisch zeigt Roschkowski dafür in beiden Opern Stärke, in denen er zwei sich zerrissene Potentaten verkörpert:
    "Titus in der Machtzentrale Rom versucht, gute Politik zu machen, wird durch Intrigen ständig daran gehindert und kommt in einen Strudel, dass auch seine Politik eigentlich untergeht. Idomeneo in einem Krisengebiet mit Naturkatastrophen und Kriegszuständen versucht, sein eigenes Leben, seine Macht zu retten, indem er bereit ist, den Nächsten für sein Leben zu opfern – und das wird nun ausgerechnet sein Sohn! Und dann versucht er, aus dieser Kette wieder rauszukommen, was ihm nicht gelingt. Und am Schluss dankt er ab!"
    Zwei Seiten derselben Macht-Medaille
    Allerdings deutet sich am Ende des ersten Opernabends ein Tumult unter Idomeneos Anhängern an. Ganz anders das Volk von Kaiser Titus, das sich am darauffolgenden Abend nichts mehr erkämpfen muss: In Wiesbaden verteilt sich der prächtig singende Chor oben auf den Stufen der Palasttreppe - während Titus unten thront, zu seinem Volk also hochschauen muss. Titus tut alles für den Staat, opfert sogar seine große Liebe – und nährt dadurch den Ehrgeiz seiner Gegenspielerin Vitellia.
    Vitellia, mit viel Drama gesungen von der Russin Olesya Golovneva, will ganz nach oben, auf den Thron – und geht dafür über Leichen. Gleich zweimal von Titus verschmäht, wird sie zu einer Seelenverwandten der rachedurstigen Elektra aus Mozarts Oper "Idomeneo". Auch sie wollte einen Thronfolger für sich gewinnen. Zwei ehrgeizzerfressene Megären – und doch verschieden:
    "Vitellia handelt ja intrigant und machtversessen und mit allen Mitteln, die sie nur kriegen kann, eigentlich ohne Not, sondern allein aus der Lust an sich selbst heraus! Elektra ist wiederum eine Figur, die getrieben ist von den Gespenstern ihrer Familie - von der Not, die sie irgendwohin getrieben hat und die sich auch da nicht mehr einfangen kann. Alle Möglichkeiten der Befriedung oder der Gewinnung von ihr führen am Ende zu nichts und sie rast sich mit ihrer letzten Arie – die übrigens in der Uraufführung gestrichen wurde, die wir aber wieder bringen – in den Wahnsinn hinein!"
    Dennoch ergeben sich zwischen diesen beiden Frauenfiguren mehr Bezüge als zwischen Vitellia und der opferbereiten Ilia aus dem "Idomeneo"-Plot. Trotzdem zitiert Uwe Eric Laufenberg in der "Titus"-Oper - erneut per Videoprojektion auf dem Vorhang – eben jene Ilia herbei.
    Von der Saula zur Paula
    Das Videozitat von der Gutfrau Ilia, die am Vorabend wunderbar ausdrucksstark gesungen wurde von der Slowakin Slávka Zámečníková, ergibt in der "Titus"-Oper letztlich wenig Sinn: Zwar wird auch die Intrigantin Vitellia hier sozusagen von der Saula zur Paula, deckt den von ihr gesponnenen Mordkomplott gegen Titus auf - und richtet sich im Wiesbadener Regiekonzept mit einem Gifttrank schließlich sogar gleich selbst. Doch tut sie das wirklich aus Gewissensnot – oder eher aus Angst vor Titus‘ Strafe? In den Genuss von Titus‘ alles verzeihender Milde kommt am Ende jedenfalls nur Vitellias Handlanger Sesto.
    Silvia Hauer singt den Sesto in einer Hosenrolle - und liefert sich auf der Palasttreppe ein packendes Zwiegespräch mit dem fantastischen Klarinettisten Adrian Krämer. Auch Krämers Kollegen unten im Orchestergraben machen eine hervorragende Figur. Beide Opernabende werden geleitet von Konrad Junghänel, der mit seinem unorthodoxen Dirigat zwar vor allem im "Titus"-Teil für manche Irritation zwischen Sängern und Orchester sorgt, im Vorfeld aber offenbar gut geprobt hat:
    Straff, dabei äußerst fein und detailfreudig klingt der Wiesbadener Mozart. Von der Regie werden hingegen nicht alle Erwartungen eingelöst: Die Idee des Operndoppels im Sinne einer Fortsetzungsgeschichte geht nicht auf – dafür hätte Uwe Eric Laufenberg in der Figurenzeichnung oder den Kostümen mehr Bezüge herstellen müssen. Die Medaille der Macht, deren zwei Seiten er hier aufzeigen wollte, hat letztlich keine einheitliche Prägung. Immerhin ist jeder Opernabend für sich genommen schlüssig erzählt – und Laufenbergs Botschaft dringt in jedem Fall durch:
    "Das ist auch beiden Opern natürlich anheim, dass sie für Aufklärung stehen, für den humanistischen Gedanken, für den Mozart wirklich Zeit seines Lebens angetreten ist und den er gelebt hat! Und gerade, wenn man diese Opern betrachtet, ist es besonders schmerzvoll, dass es auch in unserer Zeit immer noch nicht in allen Köpfen ist: Dass Nächstenliebe und ‚für die Menschen denken‘ eigentlich die einzig mögliche Politik ist!"