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Maismehl mit Weizengenen

Ich hatte immer total viel Hunger und bin aber dabei immer schlanker geworden, um nicht zu sagen sehr dünn. Dann ist mir immer nach dem Essen schlecht geworden. Und nach der Übelkeit kam dann der Gang zur Toilette, weil ich Durchfall bekam.

    Zuerst dachten die Ärzte an Bulimie. Erst nach Jahren stießen sie auf die richtige Diagnose: Michaela Stüber leidet an Zöliakie. Sie verträgt kein Weizenmehl.

    Eine Bäckerei oder Konditorei kann ich leider komplett meiden. Und zwar darf ich kein Weizen, Gerste, Hafer, Roggen, Grünkern oder Dinkel essen. Und das ist natürlich eine ganz große Palette. Deutschland ist nun mal das Land des Brotes. Und da fällt ganz schön viel weg.

    Stattdessen muss Michaela Stüber zu Produkten aus Mais, Reis, Buchweizen oder Hirse greifen. Ihr Speisezettel ist stark eingeschränkt, und die glutenfreie Ernährung ist alles andere als billig. Abhilfe schaffen will man an der Universität Hamburg, am Institut für Allgemeine Botanik.

    Der Biologe Dirk Becker öffnet die Tür zum Gewächshaus und zeigt auf eine Reihe von scheinbar gewöhnlichen Weizenhalmen.

    Wenn man die Pflanzen vergleicht mit nicht transgenem Material, wird man keinen Unterschied rein äußerlich feststellen. Die Pflanzen sehen völlig normal aus.

    Mit Hilfe der Gentechnik will Becker Weizen züchten, der keine Zöliakie auslösenden Proteine enthält.

    Das Gluten ist ein Eiweiß, was man in Weizen, Roggen und Gerstenmehl findet. Dieses Eiweiß besteht im Wesentlichen aus zwei Proteinklassen. Das sind einmal die Glutenine und die Gliadine.

    Beide Proteinklassen sind elementar fürs Backen: Die Glutenine machen den Teig elastisch, also zugfest. Die Gliadine sorgen für die Viskosität, sodass sich der Teig gut kneten lässt. Beide Stoffe zusammen gewährleisten, dass der Teig beim Backen aufgeht und ein Brot mit luftiger Krume aus dem Ofen kommt.

    Man nimmt im Augenblick an, dass die Gliadine Zöliakie auslösend sind, während die Glutenine anscheinend nicht Zöliakie auslösend sind.

    Genau hier setzen Becker und seine Kollegen an. Mit gentechnischen Methode wollen sie die Gliadine aus dem Weizen verbannen. Das entsprechende Mehl würden Zöliakiekranke problemlos vertragen. Allerdings steckt die Sache noch in den Anfängen. Die Biologen müssen erst einmal herausfinden, ob sich die Gliadine überhaupt effektiv genug aus dem Getreide entfernen lassen. Mit einem anderen Ansatz aber sind sie schon weiter.

    Wir wollen die nicht Zöliakie auslösenden Proteine des Weizens in Mais übertragen, um ein Maismehl herzustellen, das die gleichen Backeigenschaften hat wie das Weizenmehl, aber eben nicht Zöliakie auslösend ist.

    Aus gewöhnlichem Maismehl wird beim Backen nur ein Fladen. Der mit den Weizengenen getunte Mais dagegen soll ein reelles Brot ergeben, knusprig und zugleich locker-leicht.

    Wir sind im Mais-Projekt so weit, dass wir jetzt die ersten Maispflanzen im Gewächshaus stehen haben, wo wir Weizenproteingene übertragen haben. Die kommen jetzt in die weitere Analyse. Es finden erste Backversuche vermutlich im Laufe des nächsten Jahres statt.

    Doch auch wenn die Backversuche erfolgreich sind: Zöliakiepatienten werden sich gedulden müssen, bis sie das backfähige Maismehl auf ihren Einkaufszettel setzen können. Mit der Markteinführung rechnet Becker in zehn, vielleicht auch erst in 15 Jahren. Vorher müssen Züchter die Laborpflanze in eine alltagstaugliche Feldfrucht verwandeln, muss der neue Mais auf Verträglichkeit und Nährwert überprüft werden, müssen Behörden Anträge zum Inverkehrbringen gentechnisch veränderter Nahrungsmittel absegnen. Dass die Zöliakiekranken den Mais mit den Weizengenen akzeptieren, glaubt Becker schon.

    Die Deutsche Zöliakiegesellschaft unterstützt unser Projekt. Wir sind von daher guter Hoffnung, dass wir mit dem Produkt in Zukunft auf den Markt kommen können.

    von Frank Grotelüschen