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Majakowskiring

Einwortsätze, Halbsätze. Unter den Tisch gefallene Konjunktionen. Satzteile. Verwaiste Infinitivkonstruktionen, die in der Hast ihr Subjekt verloren haben, vernachlässigte Zeitadverbien auf der Suche nach syntaktischen Anschluß, kaltgestellte Prädikate, kastrierte Plusquamperfekte. Kein Als, kein Wenn, kein Ob, das sich gerettet hätte. Eine Sprache, die sich nicht denken kann, ein Denksprechen nach Innen oder, genauer gesagt, ein Sprechfühlen, die Grammatik einer heißgelaufenen Seelenmaschine, die um den leeren Fleck kreist der das Subjekt ist, und nichts hinterläßt als "waste land", das Zerstörungswerk einer von sich selbst verlassenen Sprache. Das ist "Majakowskiring", die neue Erzählung von Marlene Streeruwitz.

Beatrix Langner |
    Im Zentrum des blinden Flecks steht Lore, Journalistin aus Wien, geschieden, kinderlos alternd, von Satzzeichen festgenagelt im Käfig der Selbstzerfleischung. Ein schmächtiges Werk, ein Lore-Romänchen für fortgebildete Leser, das beanspruchen darf, in der Poetik der Theater- und Prosaautorin ein wichtiges Werk zu heißen. Wo die Schrift die Abwesenheit des Sprechers in den ontologischen Strukturen markiert, ist dieses verstümmelte Sprechen, wir wissen es längst, ein mimetisches Abbild der verstümmelten weiblichen Psyche. Dieses Nach-Innen-Sprechen ist, wie immer, so mit sich selbst beschäftigt, daß es Wirklichkeit nur in Partikeln hereinläßt, kurze Schnitte durch ein Leben, in dem Alltag als serielle Reihe von Gewalt, Mord, Ungerechtigkeit erscheint. Frauenalltag, Opferalltag, die Unfähigkeit, den Zumutungen von Eltern, Geliebten, von Strukturen der Ordnung, Anpassung und Verwertung etwas Eigenes entgegenzusetzen, weil die Sucht nach dem Anderen immer wieder das Eigene absorbiert.

    Ein paar heiße Frühsommertage lang sitzt Lore in einem Gartenhaus im Nordosten Berlins, in einer Straße, wo früher der politische Spitzenkader der DDR sein Unwesen trieb, und bewegt sich nicht heraus - ein Geisterviertel, ödes Land drinnen und draußen. Das neue Berlin, die schicke Mitte, Hackesche Höfe - Lore sieht davon nichts. Der Eisschrank brummt, die Sitzmöbel zerschlissen, vergilbte Gardinen, Ostblock-Ambiente. Gipsbüsten hinter Glasvitrinen. Nach dem eher diskursiv-versöhnlichen und sujetreichen Roman "Nachwelt" macht Marlene Streeruwitz nun wieder ernst mit der Befreiung der weiblichen Sprache. Dieser Text ist eine Kriegserklärung, ein Angriff auf die Festungen der logozentrischen Schriftsprache, die ihren Ursprung im lebendigen Sprechen vergessen hat. Aber davon weiß Lore nichts. Lore hat ein Problem: Männer. Die sich an sie drängen und dann verschwinden. Die Gewalt mit Liebe verwechseln. Sich bewundern lassen. Und nichts dahinter. Die Männer heißen einfach "ER" oder Richard, einmal polnisch, einmal deutsch, oder Paul, damit muß man sich nicht aufhalten.

    Lore ist ein synthetisieries Kunstgeschöpf, an dem eine ästhetische Operation vorgenommen wurde: die Literarisierung der weiblichen Präsenz. Die Erzählweise verweist auf frühe Versuche der Autorin, in den Frankfurter Poetikvorlesungen konnte man davon hören, aus der Bewußtseinsstrom-Technik der französischen Surrealisten eine Revolution der weiblichen Sprache zu generieren. Was bleibt aber von einer Sprache, die von allen Geistern männlich-patriarchaler Ordnungen verlassen ist, die den rationalen Strukturen der Syntax abschwört und jenes unselige Wittgensteinsche Gesetz, wonach die Grenzen unserer Sprache die Grenzen unserer Welt sind, zum Sündenfall einer Geschichte der weiblichen Unterdrückung macht? Wie rettet sie sich aus der stets drohenden Redundanz, wenn diese weibliche Sprache vor allem Modulation, Anwesenheit der lebendigen Stimme im Text, mit Verlaub: Geplapper ist? Wie entgeht sie der Oberfläche der Welt, dem Cliché, während sie um jeden Preis den erkenntnistheoretischen, Anspruch zu leugnen sucht, den die rationale, logozentrische, "männliche" Sprache seit der europäischen Aufklärung mit sich f'ührt?

    Um es deutlich zu sagen: gar nicht - oder bestenfalls in die bittere Selbstparodie. In diesem Prosatext ist zu besichtigen, wohin es führt, wenn die Grenzen meiner Sprache die Grenzen meines Körpers sind, von den kleinen blauen Schuhen bis zum Jil-Sander-Modell. Vegetabilität, Körperhaftes, Präsenz überwölben die kalten Strukturen einer anderen, fremden Ordnung und machen sie unlesbar. An einem Ort, der wie gemacht ist, Unterordnung, Anpassung, Freiheitsentzug als Herrschaftsprinzip zu erkunden, übt sich das weibliche Ich in naiv-egomanischer Blindheit. In diesem Ostberliner Gartenhaus, weiß es, haben die Staatsdelegationen und die Schriftsteller mit der Macht kopuliert und mit Prostituierten.

    "Hatten die Mächtigen hier die bewußte, Absicht des Einsperrens und Kleinhaltens gehabt. Oder doch wenigstens die besten Absichten. Warum war die DDR nicht das Paradies auf Erden geworden, in das man einwandern hätte mögen. Aber wenn die Delegationen sich in diesem Zimmer dann betrunken hatten nach den Terminen und Besprechungen. Nach der Abwägung, wieviel Geld die Übereinstimmung wert war. Welche Waffen. Wenn die Delegationen dann betrunken die Frauen über die Lehnen der Polstersessel gebeugt hatten raten lassen, wessen Schwanz in sie hineingesteckt. Und den nächsten Wodka, wenn sie es nicht erraten und am Ende die Flasche in den Hintern bekommen."

    Unfreiheit ist bei Streeruwitz ein Zustand, der aus der Unmöglichkeit resultiert, die Freiheit zu ertragen, ein repressives System autoritär-patriarchaler Strukturen, das nach innen gewachsen ist: "Hatte die Geiselnahme, hinter dieser Mauer sein zu müssen, den Körper gemeint. ...Hätte er einem dann mehr gehört. Wenn er immer wieder aufgegeben worden war. " Die realpolitische Sexualisierung als Mittel der Unterdrückung erscheint als perfektes Abbild der eigenen inneren Unfreiheit: "Dieses Zimmer war eine Falle. Eine Fallgrube." Eine Horrorvision, die Lore zum heilenden Erschrecken ausreicht. Von diesem Ort kann eine nicht irgendwohin gehen, von hier kann sie nur flüchten, Hals über Kopf. Die Erwägung, sich den kleinen Finger abzuhacken, wird dann doch fallengelassen.

    Die Frage nach dem inneren Strukturen von Unfreiheit, die der DDR-Totalitarismus hervorbrachte, wurde in der Literatur so noch nicht gestellt. Sie steht auf der Prämisse, daß Totalitarismus als Herrschaftssystem mit dem demokratischen Freiheitsbegriff des Westens beschreibbar und darum das Wesen der Unfreiheit immer die Angst vor der Freiheit sei. Was Streeruwitz in ihrer Poetik ja verteidigt, den Widerstand gegen die Kolonialsierung der Weiblichkeit, das tut der weibliche Blick hier selbst, die Kolonialsierung einer fremden Wirklichkeit durch den weiblichen, den ethnologischen Blick.

    Eine Wiener Touristin probiert also für ein paar Tage, wie es gewesen sein mag, als DDR-Bürgerin eingesperrt gewesen zu sein. Furchtbar. Natürlich. Sie packt ihren Koffer - und wirft ihn in die Mülltonne. Aber vorher sagt sie uns noch ganz genau, was drin war. Sind Frauen so?