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Majong

Die größte Sammlung zeitgenössischer Kunst aus China ist zurzeit in Bern zu sehen. Die Sammlung Sigg zeigt 1200 Werke von 180 Künstlern und wurde vom ehemaligen Schweizer Botschafter in China Uli Sigg zusammengetragen. Oftmals sind es Kunstwerke, die aus einer Art inoffiziellen Szene entstammen, und an denen oft im Verborgenen gearbeitet wurde. Was in China in den vergangenen 25 Jahren neben der offiziellen Kunst des sozialistischen Realismus entstanden ist, stellt einen Sonderfall in der Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts dar. Es gab Ausstellungsverbote, Künstler wurden verfolgt und im Extremfall als Staatsfeinde ermordet. Einige verließen ihr Land und wählten den Weg der Emigration um frei arbeiten zu können.

Von Michael Marek | 03.08.2005
    Hier, in der Schweizer Bundeshauptstadt, ist die weltweit umfassendste Werkschau chinesischer Gegenwartskunst zu sehen: Mahjong (Ma-dschong), so der Ausstellungstitel, spielt an auf das chinesische Brettspiel, dessen Bambusziegel in kunstvollen Formen abgelegt werden.

    Die Ausstellungsexponate kommen aus dem Besitz des ehemaligen Schweizer Botschafters im Reich der Mitte Uli Sigg:

    "Die Sammlung besteht aus rund ... Gemälde, Videos, alle Formen der Kunst."

    China boomt. Nach der wirtschaftlichen Liberalisierung ist auch die Kunstszene des Landes in Bewegung. Seit Ende der siebziger Jahre, seit Maos Tod, hat sich in China innerhalb kürzester Zeit trotz Zensur und Menschenrechtsverletzungen eine äußerst vielfältige und unabhängige Kunstszene entwickelt, deren Arbeiten auch im Westen allmählich große Aufmerksamkeit finden:

    "Diese Arbeiten hatten zum Gegenstand ... Mao-Zeit, Aufbruch, Rückzug ... Konsumismus."

    Um den Besuchern die Orientierung zu erleichtern, hat man die Ausstellung in thematische Blöcke gegliedert: Am Anfang steht eine Auswahl von Mao-Propagandawerken, die den Ausgangpunkt der chinesischen Kunst am Ende der siebziger Jahre veranschaulichen soll. Ein anderer Schwerpunkt beschäftigt sich mit Arbeiten Ende der achtziger Jahre, kurz vor dem Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens und die heute Kultstatus besitzen.

    Dicht an dicht reihen sich die Exponate aneinander - sogar die Treppenhäuser und die Fassade des Berner Kunstmuseums werden bespielt. Zum Beispiel mit den Fotographien des 1972 in Peking geborenen Sun Yuan [SSun Jüan], der menschliche Leichen zu bizarren Stillleben arrangiert. Oder Yue Min Jun [Jüä Min Dschun], der die kulturrevolutionären Prinzipen des Kollektivs und der Gleichheit beim Wort nimmt und sich in Bildern und Skulpturen hundertfach selbst geklont hat. Und immer macht er mit seinen außerordentlich weißen Zähnen und seinem breiten Lachen gefährlich gute Miene zum bösen Spiel.

    "Gewalt ist eigentlich ein Thema … breite Darstellung … Fettsäule … provokativ."

    Überraschend ist beim Gang durch die Ausstellung, dass sich die chinesischen Künstler in virtuoser Weise der im Westen entwickelten Medien, Techniken und Ausdrucksmittel bedienen - ohne darauf zu verzichten, die eigenen Traditionen zu thematisieren und westliche Kunst zu parodieren. So auch der Künstler und Ausstellungskurator Ai Weiwei [WeWe], der auf eine alte Urne aus der Han-Dynastie mit roter Farbe ein Coca-Cola-Logo gesetzt hat.

    Die Sammlung Sigg umfasst Arbeiten, die in der chinesischen Kunstszene mittlerweile Kultstatus besitzen. Ob sich für uns Europäer die chinesische Kunst, ihre subtilen Zeichen und versteckten Anspielungen überhaupt verstehen lassen, das beantwortet Uli Sigg mit Hinweis auf zwei Tendenzen innerhalb der chinesischen Gegenwartskunst.

    Die Ausstellung "Mahjong - Chinesische Gegenwartskunst Sigg" kann im Berner Kunstmuseum noch bis zum 16. Oktober besichtigt werden. Der umfangreiche Ausstellungskatalog ist im Hatje Cantz Verlag erschienen und kostet 49,80 Euro.