Ausnahme in Afrika
Warum Malawi trotz Armut keine Kriege kennt

Kaum ein Land auf der Welt ist so arm wie Malawi. Dennoch zählt das kleine Land in Südostafrika zu den stabilsten Staaten des Kontinents. Die Ursachen dafür liegen unter anderem in der Geschichte des Landes und einer alten Lebensphilosophie.

Von Julian Hilgers |
    Eine Frau in buntem Kleid klatscht begeistert inmitten von anderen Menschen: Unterstützer der Malawi Congress Party (MCP) bei einer Wahlkampfveranstaltung.
    Unterstützer der Malawi Congress Party (MCP) während des Wahlkampfs: Am 16. September wählt Malawi seinen Präsidenten. (picture alliance / AP / Thoko Chikondi)
    Am 16. September wählt Malawi seinen Präsidenten. Das kleine afrikanische Land gilt als stabile, wenn auch nicht perfekte Demokratie. Und das, obgleich im Land große Armut herrscht.
    Die aussichtsreichsten Kandidaten bei der Wahl sind Amtsinhaber Lazarus Chakwera und sein Vorgänger Peter Mutharika, der Malawi bereits von 2014 bis 2020 regierte. Erreicht keiner der Kandidaten die absolute Mehrheit, erfolgt nach 30 Tagen eine Stichwahl zwischen den beiden erstplatzierten Kandidaten. Umfragen sehen Mutharika als leichten Favoriten.

    Inhalt

    Wie ist die wirtschaftliche Situation in Malawi?

    Malawi zählt zu den ärmsten Ländern der Welt. Dreiviertel der rund 22 Millionen Einwohner leben in extremer Armut, also von weniger als 2,15 US-Dollar am Tag. Die Bevölkerung Malawis soll sich bis 2050 etwa verdoppeln, doch für die vielen jungen Menschen gibt es kaum Jobs. Das Land befindet sich in einer schweren Wirtschaftskrise, die Inflation lag 2024 bei mehr als 30 Prozent.
    Neben der Wirtschaft geht es im Wahlkampf vor allem um Korruption: Im Index von Transparency International etwa liegt Malawi auf Rang 107 von 180. Malawis derzeitiger Präsident Lazarus Chakwera trat 2020 mit dem Versprechen an, die Korruption zu bekämpfen. Die Lage hat sich laut dem Index in den vergangenen Jahren aber nur minimal verbessert.
    Nun fehlen dem Land zudem jährlich mehr als 350 Millionen US-Dollar, die aus den USA kamen, bis die Regierung von Donald Trump die Entwicklungsagentur USAID auflöste. Das trifft vor allem das Gesundheitssystem. Trotz der großen Not vieler Menschen zählt Malawi zu den sichersten Ländern auf dem afrikanischen Kontinent. Noch nie erlebte das Land einen Bürgerkrieg, es gibt keine Reisewarnungen vom Auswärtigen Amt, die Kriminalität ist vergleichsweise gering.

    Warum ist das Land so stabil und sicher?

    Für die Stabilität von Malawi nennen Experten vier mögliche Ursachen:
    Ubuntu: Das ist eine Lebensphilosophie der Bantu – ein Sammelbegriff für mehr als 400 Volksgruppen in Zentral-, Ost- und Südafrika. Übersetzt bedeutet „Ubuntu“ in etwa „Menschlichkeit“ oder „Nächstenliebe“ und beschreibt einen gesellschaftlichen Zusammenhalt, ohne den die Menschen in der vorkolonialen Zeit nicht überleben konnten. Diese gemeinschaftsorientierte Weltsicht hält die Gesellschaft in Malawi seit mehr als 100 Jahren zusammen.
    Traditionelle Führer: Ein Großteil der Bevölkerung Malawis lebt auf dem Land. Hier herrschen noch immer vorkoloniale Herrschaftsstrukturen, traditionelle Führer haben das Sagen. Sie entscheiden etwa darüber, wer welches Land bekommt, und lösen vor allem lokale Konflikte. Ihren Status geben sie in der Regel an einen Nachkommen weiter. Demokratisch ist das nicht, aber anerkannt und in staatliche Institutionen eingebunden.
    Die Folgen der Diktatur: Malawis erster Präsident, Hastings Banda, führte 1964 ein Einparteiensystem ein, das auf vier Eckpfeiler setzte: Einigkeit, Loyalität, Gehorsam und Disziplin. Fast 30 Jahre lang regierte Banda als Diktator und ging hart gegen politische Gegner und kritische Medien vor. Diese Unterdrückung wurde im Lang bislang kaum aufgearbeitet. Eine demokratische Protestkultur konnte sich deshalb nie wirklich entwickeln. Die Eckpfeiler von Bandas Politik – Gehorsam und Disziplin – sind durch die lange Diktatur noch immer in der Gesellschaft verankert und werden von vielen Menschen weiter gelebt.
    Geringe wirtschaftliche Ungleichheit: Die Armut im Land betrifft fast jeden. Anders als etwa in Nigeria oder Südafrika ist die Vermögensungleichheit in Malawi sehr gering. Kurzum: Es gibt in Malawi nicht viel, um das es sich zu kämpfen lohnt.

    Warum ist Malawi so arm?

    Als Binnenstaat ohne Meereszugang war der Zugang zum Handel für Malawi schon immer schwierig. Reich waren die Menschen im Land nie. Zudem leiden sie heute noch unter den Folgen der britischen Kolonialzeit von 1891. Viele Menschen verloren ihr Land und Zugang zu Bildung. Anders als in anderen Staaten bauten die Kolonialherren keine verarbeitende Industrie und Wertschöpfung in Malawi auf. Denn das Land verfügt über wenig Bodenschätze. Von den Kolonialmächten wurde es vielmehr als Quelle für landwirtschaftliche Produkte und Arbeitskräfte gesehen. Noch heute leben mehr als 60 Prozent der Bevölkerung von der Landwirtschaft, die aber kaum mechanisiert ist.
    Seit einigen Jahren steigt zudem die Bedrohung durch den Klimawandel. Die Frequenz von Extremwetterereignissen nimmt deutlich zu. Besonders verheerend: Zyklon Freddy im Jahr 2023. Mehr als 1.000 Menschen starben damals, fast 200.000 mussten ihre Häuser verlassen.
    Die Regierung aber kann ihrer Bevölkerung kaum helfen. Malawi ist wie viele afrikanische Staaten hoch verschuldet, der kleine Staatshaushalt ist extrem abhängig von Krediten und Entwicklungsgeldern. Doch nicht alle Ursachen für Malawis Armut hängen mit der Geschichte und externen Faktoren zusammen. Naben der Korruption leidet das Land laut Experten darunter, dass die Regierung das wenige Geld nicht zielorientiert einsetzt.

    Welche Entwicklungschancen hat das Land?

    Malawis Regierung setzt auf die Agenda 2063. Die Entwicklungsstrategie ist an die gleichnamigen Pläne der Afrikanischen Union angelehnt. Diese will bis zu diesem Jahr unter anderem den Freihandel auf dem Kontinent ausweiten, die Infrastruktur und die Industrialisierung voranbringen. Das größte Potenzial liegt in der Landwirtschaft: Bisher produzieren die meisten Bauern für den eigenen Bedarf. Künftig brauche es große Betriebe mit Maschinen und künstlicher Bewässerung, um die Produktivität zu steigern.
    Auch im Bergbau sieht Malawis Regierung Potenzial. Zwar verfügt das Land nicht über so große Rohstoffvorkommen, wie andere Staaten in Afrika. Es gibt dort kein Gold, Kupfer oder Diamanten - dafür aber Uran für die Atomenergie, Titan für Farb- und Kunststoffe und seltene Erden etwa für Elektronikprodukte. Vor wenigen Monaten unterzeichnete Malawi zwei Investitionsabkommen im Bergbau mit chinesischen Unternehmen mit einem Gesamtvolumen von rund zwölf Milliarden US-Dollar. Laut Experten muss Malawis Regierung bei der Entwicklung des Bergbausektors aber sicherstellen, dass auch Wertschöpfung und Jobs im Land entstehen.
    Malawis dritte Hoffnung ist der Tourismus. Bisher läuft das Land bei Reisenden noch unter dem Radar – auch weil die touristische Infrastruktur an vielen Orten fehlt. Das Potenzial aber ist groß, das Land vermarktet sich vor allem wegen der Herzlichkeit der Menschen als das „warme Herz Afrikas“. In Malawi leben wieder die sogenannten Big Five, die Touristen bei der Safari bestaunen können: Elefant, Nashorn, Büffel, Löwe und Leopard. Am Malawisee gibt es kristallklares Wasser und Sandstrände. Die Stabilität und Sicherheit sind zudem ein wichtiges Argument für Touristen.

    Wie sicher ist Malawis Demokratie?

    Bisher erfolgten die Machtwechsel in Malawi weitgehend friedlich. Die Menschen demonstrieren selten, nach Protesten kommt das Land schnell wieder zur Ruhe. So auch 2020, als nicht nur die Wähler, sondern auch das Verfassungsgericht schwere Unregelmäßigkeiten beanstandete. Das Gericht kippte den vermeintlichen Wahlsieg von Peter Mutharika und ordnete eine Neuwahl an. Die Unabhängigkeit der Justiz ist in Malawis Verfassung vergleichsweise gut geschützt. Beispielsweise ist es für den Präsidenten deutlich schwieriger, Richter zu entlassen, als in anderen Staaten.
    Auch im Vorfeld der diesjährigen Wahl kam es vereinzelt zu kleineren Protesten. Die Protestierenden warfen Malawis Wahlbehörde vor, zugunsten der Regierungspartei zu entscheiden. Deren Chefin ist Tochter eines bekannten Mitglieds der Regierungspartei. Die Behörde lehnte umfangreiche Prüfungen der neuen digitalen Wahltechnologie ab, nur rund 70 Prozent der Stimmberechtigten sind nun für die Wahl registriert. Die Wahlbehörde bestreitet jegliche Vorwürfe.
    Ruhe und Sicherheit im Land allein reichen den Menschen in Malawi jedenfalls nicht aus: Laut dem „Afrobarometer“, einem Zusammenschluss unabhängiger Meinungsinstitute auf dem Kontinent, sagen rund drei Viertel der Menschen in Malawi, dass sich ihr Land, unter anderem wegen hoher Inflation und zunehmender Ernährungsunsicherheit in die falsche Richtung entwickelt. Und viele glauben nicht daran, dass die Wahl etwas daran ändert. Zudem ist unklar, woher der Staatshaushalt neue Mittel für die so wichtigen Investitionen in Malawi bekommen könnte.