Es ist kein geringes Anliegen, neben den ökonomischen auch den gesellschaftlichen Strukturen eines Landes sowie seiner Stellung innerhalb der Welt nachzugehen. Das gilt umso mehr, wenn dieses Land ein komplexes Gefüge wie die USA ist, dessen Verhältnis zum Rest der Welt zudem kompliziert ist. Der Autor Malcolm Sylvers, US-Amerikaner, der an einer italienischen Universität Geschichte und Außenpolitik der USA lehrt, verfolgt dabei einen marxistischen Ansatz, wie er in der Einleitung schreibt. Allerdings hat sich das Marxistische in Sylvers Analyse eher ins Terminologische verflüchtigt. Gelegentlich mag man sich an dem ein oder anderen Begriff reiben: Wie zutreffend ist es heute eigentlich noch, von der Bourgeoisie als der Eigentümerin der Produktionsmittel zu reden? Doch ungeachtet dieser Probleme hat der Autor zunächst einmal eine solide Untersuchung vorgelegt, in der unzählige US-amerikanische Studien ausgewertet worden sind und in der man also eine ganze Menge empirischer, auch statistischer Daten über die sozioökonomischen Entwicklungen des Landes in den letzten zwei Jahrzehnten erhält.
Interessant ist es, sich mit Sylvers noch einmal die Bedeutung des Übergangs vom Industrie- hin zum Dienstleistungskapitalismus vor Augen zu führen, der ja in den USA bereits seit den 70er Jahren und weitaus radikaler als in Europa stattgefunden hat. Der industrielle Sektor wurde dabei nicht nur viel rascher, sondern auch vollständiger zugunsten des neuen Dienstleistungsbereichs abgebaut. Dass die USA, was ihre wirtschaftliche Position betrifft, und zwar gemessen am Pro-Kopf-Einkommen, an der Produktivität und an Weltmarktanteilen, eher schwach dastehen, ist eine gemeinhin wenig beleuchtete Tatsache. Ebenso, dass Staat und Unternehmen sich dabei einer Verschuldungspolitik bedienen. Fast ein Drittel ihrer Schuldtitel sind im Besitz von Ausländern, vorwiegend Japanern und Europäern, aber auch zunehmend Chinesen. Die Produktionskapazität des Landes ist durch den neoliberalen Umbau seiner Wirtschaft wesentlich zurückgegangen. Der Import übertrifft den Export, denn Investitionen erfolgen seit den 80er Jahren vorwiegend im Finanzsektor, nicht aber im produktiven Bereich. Immer stärker geht es nur um kurzfristige Abschöpfung von Profiten. Hauptinvestoren sind die privaten und staatlichen Rentenfonds, die dazu wesentlich beigetragen haben. Die Ausrichtung an schnellen Profiten hat auch zu einem Technologiedefizit geführt, denn viele US-amerikanische Unternehmen kaufen lieber andere Betriebe auf, als selbst in Forschung zu investieren. Letztlich ist der Rüstungssektor in den USA das einzige Feld, in dem die Forschungsausgaben tatsächlich hoch sind. Dass massiv ausländisches Kapital importiert wird, hat auch mit der wachsenden Ausfuhr US-amerikanischen Kapitals durch transnationale Unternehmen zu tun, die billiger im Ausland produzieren, was wiederum zu einem erhöhten Importbedarf führt. Eine der zentralen inländischen Maßnahmen dieses Deindustrialisierungsprozesses ist das so genannte downsizing, also der Abbau angemessen bezahlter Stellen und die Schaffung von Billiglohnjobs. So werden, um beispielsweise der drohenden Schließung eines Betriebs in einer Stadt entgegenzuarbeiten, gesetzliche Bestimmungen, die dem Unternehmen im Weg sind, schlicht außer Kraft gesetzt. Auf diese Weise werden häufig Bedingungen geschaffen, die an die Dritte Welt erinnern. In den USA ist so allmählich ein Heer von Lohnsklaven entstanden. Sylvers appelliert insgeheim an sie, wenn er mit anderen seiner Zunft hofft, dass der Geduldsfaden der 'working poor’ doch endlich einmal reißen möge.
Durch Steuersenkungen, antigewerkschaftliche Politik, Privatisierungen und drastische Kürzungen staatlicher Dienstleitungen im sozialen Bereich haben die Regierungen seit Jimmy Carter fleißig an der Umstrukturierung mitgewirkt. Sylvers Unterkapitel zu Bill Clintons Präsidentschaft macht die Kontinuität des sozialen Abbaus durch die US-Administrationen der vergangenen zwei Jahrzehnte deutlich. Und man fragt sich, ob Republikaner und Demokraten letztlich doch nur die Rhetorik voneinander trennt. Der Autor beschließt das erste Kapitel zur Veränderung des US-amerikanischen Wirtschaftssystems mit einer interessanten Schlussfolgerung:
So kann ohne Übertreibung gesagt werden, dass die NATO-Länder und Japan tatkräftig an der Lösung der US-amerikanischen Krise mitgewirkt haben. Das alles ist Ausdruck der ungebrochenen Hegemonie der USA in der internationalen Politik und Wirtschaft.
Inwiefern die anderen, zumal die Mächtigen der Europäischen Union, den Herrschaftsanspruch der USA auf unterschiedlichsten Ebenen, eben auch als Gläubiger, überhaupt erst ermöglichen, dem nachzugehen, wäre ein lohnender Aspekt gewesen. Die zentrale, auch im Untertitel des Buches angedeutete Frage, ist für Sylvers ja die, wie es den USA trotz wirtschaftlicher Probleme möglich ist, ihren Hegemonialanspruch aufrechtzuerhalten. In historischen Untersuchungen wurde herausgearbeitet, dass ein Übergewicht politisch-militärischer über die ökonomische Macht eine "imperiale Überdehnung" zur Folge habe, die dann zwangsläufig zum Niedergang führen müsse. Eine historische Analogie scheint sich hier angesichts des imperialen Gewichts der heutigen USA freilich nicht anzubieten. Sylvers führt nun in Anlehnung an andere Autoren den Begriff der strukturellen Macht ein und kommt zu dem Schluss:
Der wesentliche Unterschied zwischen der US-amerikanischen Macht und der irgendeines anderen Staates ist daran erkennbar, dass die internationalen Einrichtungen (UNO, IWF usw.) keine Initiative ergreifen, die den USA nicht genehm ist.
Allerdings werden dann gleich im Anschluss zahlreiche weitere Faktoren genannt wie der nationale Reichtum an Getreide und Erdöl sowie der große Binnenmarkt und der Dollar als Leitwährung, die ebenso wie die strategische Bedeutung der transnationalen Konzerne allesamt zur Hegemonialstellung der USA beitrügen. Auch kulturelle Charakteristika gehörten dazu, wie die tradierte Bereitschaft zu risikoreichem Handeln, gerade im neu definierten Finanzsektor von besonderer Bedeutung, aber auch die effiziente Integration eingewanderter Arbeitskräfte. Sie verleihe dem Kapitalismus US-amerikanischer Provenienz eine Dynamik sui generis. Man hätte nun an dieser Stelle weniger ein eifriges Auflisten unterschiedlichster Untersuchungsergebnisse erwartet als vielmehr eine Analyse des Autors, wie sich die kontinuierliche Dominanz der Vereinigten Staaten denn nun vernünftig erklären lässt. Und der Begriff der strukturellen Macht, präzise definiert und angewandt, hätte dabei weiteren Aufschluss geben können.
Auch das letzte Kapitel, das sich mit den Möglichkeiten politischen Widerstands befasst, erweist sich als schwach. In seiner Einleitung hatte der Autor betont, dass Forschung als reiner Zeitvertreib ein Luxus sei und der Wunsch nach Veränderung des Bestehenden die entscheidende Motivation zu sein habe. Nun aber verfängt sich Sylvers gerade da, wo es um den praktischen Wert seiner Untersuchungsergebnisse gehen sollte, in den Fallstricken seiner Terminologie. Der letzte Abschnitt mit dem unglücklichen Titel "Eine eventuelle antikapitalistische Volksbewegung" bleibt blass und vage. Das hat damit zu tun, dass er zwar den Übergang vom Industrie- zum Finanzkapitalismus und seine soziokulturellen Folgen in den vorangegangenen Kapiteln ausführlich beschrieben hat, nicht aber die notwendigen Schlussfolgerungen zieht. Das gilt nicht zuletzt für die Welt der Arbeit, die ja massiven Veränderungen unterliegt und sich weg bewegt von regulären Beschäftigungsformen. So bleibt es letztlich bei dem - auch noch leicht misszuverstehenden - Appell, dass ein "antikapitalistisches Programm" mit der Politik der ethnischen und rassischen Begünstigungen brechen müsse, dass Identitätspolitik nur in eine Sackgasse führe, weil sie vom "wirklichen" politischen und ökonomischen Kampf ablenke. Was Sylvers statt dessen vorschwebt, ist ein international orientiertes Bündnis von Lohnabhängigen, die sich unter dem Klassenbanner zusammenfinden. Doch wie wirklichkeitsfern eine solche Forderung heute ist, wo es immer weniger Lohnabhängige im klassischen Sinne gibt, weiß er selbst, und so versteigt er sich am Ende in eine antiquiert anmutende Rhetorik:
Die Schwierigkeiten bei der Entwicklung eines internationalistischen Bewusstseins sind enorm, da das Kapital mehr denn je in der Lage ist, die einzelnen Teile der internationalen Arbeiterklasse gegeneinander auszuspielen und somit ihre objektive Einheit kontinuierlich zu zerstören.
Als detaillierte Bestandsaufnahme der sozioökonomischen Verhältnisse in den USA ist Sylvers Darstellung zu lesen; als eine Untersuchung, die eine eigenständige Deutung anvisiert, ist seine Arbeit jedoch enttäuschend.
Barbara Eisenmann besprach: "Die USA - Anatomie einer Weltmacht - Zwischen Hegemonie und Krise". Das Buch ist im PapyRossa Verlag erschienen, hat 33 Seiten und kostet 16.90 Euro.
Interessant ist es, sich mit Sylvers noch einmal die Bedeutung des Übergangs vom Industrie- hin zum Dienstleistungskapitalismus vor Augen zu führen, der ja in den USA bereits seit den 70er Jahren und weitaus radikaler als in Europa stattgefunden hat. Der industrielle Sektor wurde dabei nicht nur viel rascher, sondern auch vollständiger zugunsten des neuen Dienstleistungsbereichs abgebaut. Dass die USA, was ihre wirtschaftliche Position betrifft, und zwar gemessen am Pro-Kopf-Einkommen, an der Produktivität und an Weltmarktanteilen, eher schwach dastehen, ist eine gemeinhin wenig beleuchtete Tatsache. Ebenso, dass Staat und Unternehmen sich dabei einer Verschuldungspolitik bedienen. Fast ein Drittel ihrer Schuldtitel sind im Besitz von Ausländern, vorwiegend Japanern und Europäern, aber auch zunehmend Chinesen. Die Produktionskapazität des Landes ist durch den neoliberalen Umbau seiner Wirtschaft wesentlich zurückgegangen. Der Import übertrifft den Export, denn Investitionen erfolgen seit den 80er Jahren vorwiegend im Finanzsektor, nicht aber im produktiven Bereich. Immer stärker geht es nur um kurzfristige Abschöpfung von Profiten. Hauptinvestoren sind die privaten und staatlichen Rentenfonds, die dazu wesentlich beigetragen haben. Die Ausrichtung an schnellen Profiten hat auch zu einem Technologiedefizit geführt, denn viele US-amerikanische Unternehmen kaufen lieber andere Betriebe auf, als selbst in Forschung zu investieren. Letztlich ist der Rüstungssektor in den USA das einzige Feld, in dem die Forschungsausgaben tatsächlich hoch sind. Dass massiv ausländisches Kapital importiert wird, hat auch mit der wachsenden Ausfuhr US-amerikanischen Kapitals durch transnationale Unternehmen zu tun, die billiger im Ausland produzieren, was wiederum zu einem erhöhten Importbedarf führt. Eine der zentralen inländischen Maßnahmen dieses Deindustrialisierungsprozesses ist das so genannte downsizing, also der Abbau angemessen bezahlter Stellen und die Schaffung von Billiglohnjobs. So werden, um beispielsweise der drohenden Schließung eines Betriebs in einer Stadt entgegenzuarbeiten, gesetzliche Bestimmungen, die dem Unternehmen im Weg sind, schlicht außer Kraft gesetzt. Auf diese Weise werden häufig Bedingungen geschaffen, die an die Dritte Welt erinnern. In den USA ist so allmählich ein Heer von Lohnsklaven entstanden. Sylvers appelliert insgeheim an sie, wenn er mit anderen seiner Zunft hofft, dass der Geduldsfaden der 'working poor’ doch endlich einmal reißen möge.
Durch Steuersenkungen, antigewerkschaftliche Politik, Privatisierungen und drastische Kürzungen staatlicher Dienstleitungen im sozialen Bereich haben die Regierungen seit Jimmy Carter fleißig an der Umstrukturierung mitgewirkt. Sylvers Unterkapitel zu Bill Clintons Präsidentschaft macht die Kontinuität des sozialen Abbaus durch die US-Administrationen der vergangenen zwei Jahrzehnte deutlich. Und man fragt sich, ob Republikaner und Demokraten letztlich doch nur die Rhetorik voneinander trennt. Der Autor beschließt das erste Kapitel zur Veränderung des US-amerikanischen Wirtschaftssystems mit einer interessanten Schlussfolgerung:
So kann ohne Übertreibung gesagt werden, dass die NATO-Länder und Japan tatkräftig an der Lösung der US-amerikanischen Krise mitgewirkt haben. Das alles ist Ausdruck der ungebrochenen Hegemonie der USA in der internationalen Politik und Wirtschaft.
Inwiefern die anderen, zumal die Mächtigen der Europäischen Union, den Herrschaftsanspruch der USA auf unterschiedlichsten Ebenen, eben auch als Gläubiger, überhaupt erst ermöglichen, dem nachzugehen, wäre ein lohnender Aspekt gewesen. Die zentrale, auch im Untertitel des Buches angedeutete Frage, ist für Sylvers ja die, wie es den USA trotz wirtschaftlicher Probleme möglich ist, ihren Hegemonialanspruch aufrechtzuerhalten. In historischen Untersuchungen wurde herausgearbeitet, dass ein Übergewicht politisch-militärischer über die ökonomische Macht eine "imperiale Überdehnung" zur Folge habe, die dann zwangsläufig zum Niedergang führen müsse. Eine historische Analogie scheint sich hier angesichts des imperialen Gewichts der heutigen USA freilich nicht anzubieten. Sylvers führt nun in Anlehnung an andere Autoren den Begriff der strukturellen Macht ein und kommt zu dem Schluss:
Der wesentliche Unterschied zwischen der US-amerikanischen Macht und der irgendeines anderen Staates ist daran erkennbar, dass die internationalen Einrichtungen (UNO, IWF usw.) keine Initiative ergreifen, die den USA nicht genehm ist.
Allerdings werden dann gleich im Anschluss zahlreiche weitere Faktoren genannt wie der nationale Reichtum an Getreide und Erdöl sowie der große Binnenmarkt und der Dollar als Leitwährung, die ebenso wie die strategische Bedeutung der transnationalen Konzerne allesamt zur Hegemonialstellung der USA beitrügen. Auch kulturelle Charakteristika gehörten dazu, wie die tradierte Bereitschaft zu risikoreichem Handeln, gerade im neu definierten Finanzsektor von besonderer Bedeutung, aber auch die effiziente Integration eingewanderter Arbeitskräfte. Sie verleihe dem Kapitalismus US-amerikanischer Provenienz eine Dynamik sui generis. Man hätte nun an dieser Stelle weniger ein eifriges Auflisten unterschiedlichster Untersuchungsergebnisse erwartet als vielmehr eine Analyse des Autors, wie sich die kontinuierliche Dominanz der Vereinigten Staaten denn nun vernünftig erklären lässt. Und der Begriff der strukturellen Macht, präzise definiert und angewandt, hätte dabei weiteren Aufschluss geben können.
Auch das letzte Kapitel, das sich mit den Möglichkeiten politischen Widerstands befasst, erweist sich als schwach. In seiner Einleitung hatte der Autor betont, dass Forschung als reiner Zeitvertreib ein Luxus sei und der Wunsch nach Veränderung des Bestehenden die entscheidende Motivation zu sein habe. Nun aber verfängt sich Sylvers gerade da, wo es um den praktischen Wert seiner Untersuchungsergebnisse gehen sollte, in den Fallstricken seiner Terminologie. Der letzte Abschnitt mit dem unglücklichen Titel "Eine eventuelle antikapitalistische Volksbewegung" bleibt blass und vage. Das hat damit zu tun, dass er zwar den Übergang vom Industrie- zum Finanzkapitalismus und seine soziokulturellen Folgen in den vorangegangenen Kapiteln ausführlich beschrieben hat, nicht aber die notwendigen Schlussfolgerungen zieht. Das gilt nicht zuletzt für die Welt der Arbeit, die ja massiven Veränderungen unterliegt und sich weg bewegt von regulären Beschäftigungsformen. So bleibt es letztlich bei dem - auch noch leicht misszuverstehenden - Appell, dass ein "antikapitalistisches Programm" mit der Politik der ethnischen und rassischen Begünstigungen brechen müsse, dass Identitätspolitik nur in eine Sackgasse führe, weil sie vom "wirklichen" politischen und ökonomischen Kampf ablenke. Was Sylvers statt dessen vorschwebt, ist ein international orientiertes Bündnis von Lohnabhängigen, die sich unter dem Klassenbanner zusammenfinden. Doch wie wirklichkeitsfern eine solche Forderung heute ist, wo es immer weniger Lohnabhängige im klassischen Sinne gibt, weiß er selbst, und so versteigt er sich am Ende in eine antiquiert anmutende Rhetorik:
Die Schwierigkeiten bei der Entwicklung eines internationalistischen Bewusstseins sind enorm, da das Kapital mehr denn je in der Lage ist, die einzelnen Teile der internationalen Arbeiterklasse gegeneinander auszuspielen und somit ihre objektive Einheit kontinuierlich zu zerstören.
Als detaillierte Bestandsaufnahme der sozioökonomischen Verhältnisse in den USA ist Sylvers Darstellung zu lesen; als eine Untersuchung, die eine eigenständige Deutung anvisiert, ist seine Arbeit jedoch enttäuschend.
Barbara Eisenmann besprach: "Die USA - Anatomie einer Weltmacht - Zwischen Hegemonie und Krise". Das Buch ist im PapyRossa Verlag erschienen, hat 33 Seiten und kostet 16.90 Euro.