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Maldoom bittet Kinder zum Tanz

Der Choreograf Royston Maldoom will mit Tanz soziale, ethnische und rassische Schranken einreißen. In Ludwigshafen lässt Maldoom 100 Kinder aus Haupt- und Sonderschulen zu Béla Bartóks "Konzert für Orchester" tanzen.

Von Christian Gampert |
    Es ist immer schön, wenn man an das Positive im Menschen glaubt und auch anderen damit ein gutes Gefühl vermittelt. Royston Maldoom zum Beispiel glaubt, dass jeder Mensch tanzen kann. Im weitesten Sinne stimmt das natürlich, jeder hat auch ohne Tanzstunde schon einmal in einer Disco herumgehampelt, aber Maldoom geht da ein bisschen weiter: Sein Credo ist, dass jedes Individuum durch tänzerische Bewegung auch in Kontakt mit sich selbst komme und durchstarte zu seinen verschütteten Möglichkeiten.

    Mit solchen Glaubensbekenntnissen rennt man natürlich bei Kultusministerien und Kulturförderern offene Türen ein. Und auch die potenzielle Klientel, die sich bislang noch auf der Schule langweilt oder auf der Straße herumhängt, lässt sich gern von der eigenen Begabung überzeugen, vor allem, wenn der Lehrmeister gleich in der ersten Stunde erklärt, er sei sehr streng und mit ihm sei nicht zu spaßen - und man dann aber locker auf das große Ziel hinarbeitet, auf die Aufführung von "Le sacre du printemps", als Kinofilm mit dem netten Dirigenten und Selbsterklärer Sir Simon Rattle dann einfach "Rhythm is it" genannt.

    Der Film war der Durchbruch, und obwohl Royston Maldoom schon seit 30 Jahren mit Laien und seit 1988 in Deutschland arbeitet, kann er sich seitdem vor Anfragen kaum retten. Eine Presseagentur bereitet die Journalisten in zig Telefonaten auf das große Ereignis vor, das da in Ludwigshafen stattfindet, von der BASF gefördert wird und ganz visionär "Listen to our future" heißt. Royston Maldoom wird mit 100 Kindern aus Haupt- und Sonderschulen zu Béla Bartóks "Konzert für Orchester" tanzen - das heißt, er firmiert als "Project Consultant and Director" und schaut am Anfang und am Ende mal kurz herein, die fünfwöchige Probenzeit übernimmt der Choreograf Mohan C. Thomas. Aber noch bevor der erste Tanzschritt getan ist, gibt es ein Pressegespräch, bis zuletzt war unsicher, ob Maldoom auch kommt, und es ist dann genau so, wie man sich so etwas vorstellt: Da sitzen ein netter älterer Tanzmeister mit Knöpfchen im Ohr und sein sehr junger Schüler.

    Maldoom, Mitte 60, ist von dieser ausgesuchten Höflichkeit, wie sie nur Engländer haben. Er ist auch im Gespräch absolut professionell, und was er mit den Kindern tut, ist, soweit man es im Film sehen kann, auch für Bewegungsidioten hilfreich und ermutigend, wenngleich die Massenornamente, die er in "Sacré du Printemps" mit Simon Rattle hinzauberte, nicht jedermanns Geschmack sein werden. Aber den Jugendlichen gefällt es, manche bleiben sogar beim Tanzen, besonders Jungen, und für Maldoom ist es immer noch "challenging", eine Herausforderung, wie er sagt.

    Nein, es gebe wenig soziale Unterschiede beim Tanzen, meint Maldoom, da seien sehr begabte Unterschichtler und unfähige Mittelschichtler und umgekehrt, und an seiner Arbeit mit Kindern sei eigentlich nichts Geheimnisvolles:

    "Ich habe eine Erwartung und einen Glauben an ihre Fähigkeiten. Wenn ich mit einer Gruppe zu arbeiten beginne, arbeite ich nie mit der Person, die gerade vor mir steht, sondern mit demjenigen, den ich nach fünf Wochen Probe erleben werde. Ich habe schon ein Bild im Kopf von der Qualität, die sie erreichen werden, denn sie alle können dahin kommen. Wir alle können das."

    Es ist also vor allem der Glaube an die eigene Potenz, den Maldoom vermittelt. Und in der Tat wirkt ein Kursus beim Meister für viele als Anstoß, etwas aus dem eigenen Leben zu machen. Die Langzeitwirkung sei positiv, sagt Maldoom: Viele hätten sich zu einem Schulabschluß aufgerafft, sich einen Job besorgt oder seien gar an die Uni gegangen. Manche würden gar Tänzer, seltsamerweise vor allem Jungen. Handelt es sich also gar nicht um Tanz, sondern um Therapie?

    "Es ist nicht mehr Therapie, als es auch für einen professionellen Tänzer oder jemanden vom Royal Ballet oder auch für mich selber wäre. Es ist Therapie für uns alle, aber ich vermeide dieses Wort. Wenn ich mit Leuten arbeite, die besondere Wünsche haben oder soziale Probleme, dann nennt man das Therapie. Wenn ich mit einer Tanz-Compagnie arbeite, tut man das nicht. Dabei weiß ich gar nicht, was der Unterschied ist: Wir machen genau dasselbe."

    Wahrscheinlich liegt Maldooms Wirkung vor allem darin begründet, dass er die Jugendlichen als Individuen ernst nimmt, sie wie Erwachsene behandelt. Und natürlich, dass er außerhalb der oft verhassten Schule steht. Maldoom hält große Stücke auf den deutschen Ausdruckstanz der 1920er Jahre, der übrigens auch in der Anfangsphase des Staates Israel (und davor) als gemeinschaftsstiftendes Element eine große Rolle spielte.

    Was in Ludwigshafen bis zur Premiere Anfang Juli genau passieren wird, blieb etwas nebulös. Man fuhr ins Hochhaus des Geldgebers, der BASF, schaute von oben auf rauchende Chemieschlote und sprach bei Lachsbrötchen über Kultursponsoring. Dann fuhr man in einen Vorort zu einer Waldorf-Sonderschule und sah verunsicherte Jugendliche, die über die gerade stattgehabte Probe nichts sagen konnten oder das verständlicherweise nicht wollten. Man habe "so Bewegungen" gemacht, soviel war zu erfahren.

    Als einen "herausragenden und ganz und gar eigenständigen Beitrag zur kulturellen Jugendarbeit" bezeichnete Roland Härtel, der rheinland-pfälzische Staatssekretär für Wissenschaft, Weiterbildung, Forschung und Kultur, das Ludwigshafener Projekt. Wahrscheinlich hat er ja recht. Herausragend ist natürlich auch das Honorar für den (die meiste Zeit abwesenden) Royston Maldoom. Aber über Geld redet man nicht bei der BASF. Man hat es.