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"Maler der Elemente"

Das Werk William Turners wurde in Deutschland bisher nur acht Mal ausgestellt. Das Bucerius-Kunstforum zeigt den Briten nun unter der Überschrift "Maler der Elemente", was angesichts seiner wolkigen Wasserbilder logisch klingt - aber auch ein bisschen fantasielos.

Von Carsten Probst |
    "William Turner - Maler der Elemente": Der Titel der Hamburger Ausstellung klingt wie eine höfliche, etwas langweilige Anpassung an das maritime Ambiente der Hansestadt. Nur kunsthistorisch vorgebildetes Publikum wird hinter diesem Titel auch die Anspielung auf die antike Elementenlehre verstehen, die in ihrer Überlieferung so prägend für die Hochzeit der europäischen Landschaftsmalerei zwischen Renaissance und Klassizismus gewesen ist. Feuer, Wasser, Erde, Luft waren klar voneinander unterscheidbare Aggregatzustände des Immergleichen, eines Kontinuums der Schöpfung, für sie waren feste Plätze reserviert im Formenkanon der Szenen und der Aufteilung des Bildraumes.

    Mit dem 18. Jahrhundert und der Einführung der Naturwissenschaften zerfiel die alte Ordnung, aus vier Elementen wurden schnell über 30 und eine immer unüberschaubare Vielzahl der Wechselwirkungen. Es ist die These dieser Ausstellung, dass diese Wandlungen im chemischen Weltverständnis um die Wende zum 19. Jahrhundert auch eine neue Form der Landschaftsmalerei hervorbrachte. Im Gegensatz zu denen von transzendentem Licht durchstrahlten Bildräumen eines Caspar David Friedrichs oder Philipp Otto Runges in der deutschen Romantik waren es John Constable und William Turner in England, die sich in ihren Gemälden dieser neuen Unübersichtlichkeit annahmen.

    Bei ihnen werden nicht mehr Landschaftspanoramen durch die Farben geschickt inszeniert, sondern die Natur ergreift gleichsam ihrerseits Besitz von den Farben, zerrt an ihnen, bringt die traditionelle Ordnung des Bildraumes ins Wanken mit einer damals ungekannten Dynamik. William Turner verließ dabei irgendwann in seiner zweiten Lebenshälfte den Boden des damaligen allgemeinen Konsenses, was noch als Malerei gelten dürfe.

    Unter dem Einfluss der Bilder Claude Lorraines, vor allem aber seines Italienaufenthaltes von 1819 malte er zunehmend nur noch die Wirkungen von Naturkräften, so als sei die Malerei deren direkte Folge. Der Betrachter scheint sich immer wieder in bis dahin völlig unmöglichen Perspektiven zu befinden: Mitten auf dem Meer in einem gewaltigen Sturm, ohne Schiff oder sonstigen Halt in Sicht. Irgendwo in der Luft schwebend über einem Rest von Landschaft, in deren Farbenspiel sich die ewige Unruhe und Wandlung der Schöpfung spiegelt.

    Turner, der nebenbei immer noch relativ traditionelle Landschaftsmotive als Auftragswerke malte, zeigt sich in seinen Tausenden von experimentellen Skizzen besessen von dieser ekstatischen Form der Naturmalerei, einer Art Action Painting, in der sich alles mit allem mischt und die daher in dieser Ausstellung als "fusion" bezeichnet wird. Diese Gemälde preisen ein Mysterium der unerhörten Vielfalt der Natur, der unkontrollierbaren Wirbel ihrer Entwicklung. In manchen bezieht er in diese Naturentwicklung auch die Industrialisierung ein, Maschinen und Fabriken als eine Art Transformation der Gewalten.

    Goethes Farbenlehre sekundiert in ihrer Gleichsetzung von Farbe und Wahrnehmung. Alle Naturkräfte lassen sich demnach allein in Farbmischungen ausdrücken, ohne Rücksicht auf figurative Erscheinungen. In den Farbstimmungen verwischen die Grenzen zwischen den Dingen und Zuständen, zwischen Wasser und Land, fest und flüssig, heiß und kalt, licht und dunkel.

    Auf späten, abstrakten Gemälden wie "Stormy Sea with Dolphins" (gemalt zwischen 1835 und 1840) sind nur noch Farbwolken, Schlieren, Farbspritzer zu sehen, ohne feste Gestalt oder Form, Oben oder Unten. Das schäumende Wasser ist nur noch eine optische Vorstellung und Schwaden aus Dunkelgrün, Weiß, Ocker und Rot, Blick und Bild, Innen- und Außenwahrnehmung verschmelzen.

    Neben hymnischer Verehrung hauptsächlich durch englische Kollegen wie John Ruskin, erfuhr Turner für diese Art der Malerei in Deutschland zeitlebens eher Verachtung. Auch heute noch tun sich in der Hamburger Ausstellung Besucher schwer mit diesen Gemälden: "Das soll ein Bild sein? Man sieht gar nichts." Selten war, so scheint es, ein museumspädagogisches Vermittlungsprogramm bei einem Romantiker so nötig wie hier.