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Malerei als lebendiges Leben

Leonardo da Vinci, Michelangelo und Raffael gelten als die wichtigsten Namen der Renaissancemalerei. Mit ihren Werken prägten sie entscheidend die Kunst späterer Generationen. Raffael ist der jüngste der drei Giganten. Am 6. April 1483 wurde er in Urbino geboren.

Von Carmela Thiele | 06.04.2008
    Prachtentfaltung, Machtbewusstsein, Kunstsinn: Als Papst Julius II. 1508 seine Privatgemächer in Rom neu ausmalen ließ, ging es nicht allein um Schönheit. Er rief die besten Maler Italiens zu sich und fand in dem jungen Raffael ein Talent, dem er bald die komplette Ausstattung seiner Gemächer übertrug.

    Es entstanden die berühmtesten Fresken der Hochrenaissance, unter anderem die "Schule von Athen". Dieses "Programm-Bild" fasste nicht nur das traditionelle Wissen der Vergangenheit zusammen, sondern entwarf das Ideal des neuen Menschen, der sich seines schöpferischen und freien Wesens bewusst ist. Giorgio Vasari beschrieb diese Versammlung bedeutender Geistesgrößen der Antike:

    "Desgleichen sind dort Aristoteles und Platon, der eine den 'Timaios', der andere die 'Ethik' in der Hand, dargestellt, und um sie herum bildet eine große Schule von Philosophen einen Kreis. Es ist unmöglich, die Schönheit jener Astrologen und Mathematiker wiederzugeben, die mit Zirkeln unzählige Figuren und Zeichen auf ihren Tafeln darstellen."

    Der 1509 zum Hofmaler ernannte Raffaello Santi triumphierte über den schwierigen Michelangelo, der ebenfalls in den Diensten des Papstes stand. Die feinen Manieren des am 6. April 1483 in Urbino geborenen Sohnes eines Malers entsprachen der damals neuen Vorstellung eines Künstlers, der auch ein umfassend gebildeter Hofmann sein sollte. Zudem gab der liebenswürdige Raffael das, was er in seiner Jugend aus den Werken Peruginos, Leonardo da Vincis und anderer gelernt hatte, gerne an seine Schüler weiter. Vasari:

    "(...) Er gab unzähligen Arbeit, half ihnen und lehrte sie mit jener Liebe, die nicht Künstlern, sondern seinen eigenen Söhnen gegenüber angebracht gewesen wäre. Aus diesem Grunde sah man ihn nie zu Hofe gehen, ohne in Begleitung von 50 Malern, alle tüchtig und gut, die ihm Gesellschaft leisteten, um ihm Ehre zu erweisen (…). Er lebte in der Tat nicht als Maler, sondern als Fürst."

    Die gigantischen Aufträge erledigte der Künstler zunehmend mit Hilfe seiner Werkstatt. Neben der Ausmalung der Papst-Gemächer schuf Raffael auch Gemälde für andere Auftraggeber. Berühmt war er für seine sensiblen Porträts und seine Madonnendarstellungen, die Lebendigkeit und harmonische Formgebung miteinander verknüpften.

    "Und in Wahrheit ist es so, dass man die anderen Malereien Malereien nennen darf, jene Raffaels aber lebendige Dinge, weil das Fleisch bebt, man den Geist sieht, die Sinne seiner Figuren pulsieren und lebendiges Leben sich in ihnen zu erkennen gibt (…)."

    Vasari rühmte die ungeheure Kunstfertigkeit des unermüdlich neue Einflüs-se verarbeitenden Künstlers. Raffael brillierte außerdem als Geschichtenerzähler. In seinen komplexen Bildern hatte jede Figur eine Aufgabe, jede Geste war Teil der Komposition. In der "Transfiguration", einem seiner letzten Werke aus dem Jahr 1519, bewies er nochmals sein Talent, Gegensätze zu vereinen. Trotz aller Dramatik des Verklärungsgeschehens scheint eine höhere Ordnung in dem Bild zu walten. Raffael starb am Karfreitag 1520 im Alter von 37 Jahren auf dem Höhepunkt seines Ruhmes. Sein Bewunderer Pandolfo Pico della Mirandola:

    "Hier spricht man von nichts anderem als vom Tod dieses guten Menschen, der am Ende seiner 33 Jahre sein erstes Leben beendet hat; sein zweites aber, jenes des Ruhmes, der weder der Zeit noch dem Tod unterliegt, wird ewig währen, sowohl durch seine Werke als auch durch die Bemühungen der Gelehrten, die ihn in ihren Schriften preisen."

    In diesem Brief an Isabella d’Este, die Herzogin von Mantua, machte Pandolfo Raffael vier Jahre jünger. Er rückte ihn damit in die Nähe des Hei-lands, der im Alter von 33 Jahren am Kreuz gestorben sein soll. Größer kann die Verehrung nicht sein, die ein Maler zu Lebzeiten genießt. Die Wertschätzung der klassischen Ausgewogenheit der Werke Raffaels hielt bis ins 19. Jahrhundert an.

    In der Zeit der Moderne überwog dagegen der Vorwurf des Eklektizismus. Zuviel verdanke Raffael seinen großen Kollegen Leonardo da Vinci und Michelangelo, hieß es. Doch war es gerade Raffaels Fähigkeit, die besten Er-rungenschaften der Malerei neu zusammenzusetzen, die sein überragendes Talent ausmachte. Die Postmoderne hätte ihn eigentlich schon längst wieder entdecken müssen.