Sonntag, 28. April 2024

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Malerei-Retrospektive in Neu-Ulm
Erotische Leiber und Puppen

Stadtlandschaften, Stillleben und Akte - das Künstlerpaar Emil Maetzel und Dorothea Maetzel-Johannsen probierte vieles aus, befeuerte den Expressionismus in Hamburg und stellte immer wieder seine Familie in den Mittelpunkt. Das Edwin-Scharff-Museum in Neu-Ulm widmet dem Paar nun eine Retrospektive.

Von Christian Gampert | 12.01.2020
Dorothea Maetzel-Johannsens Gemälde "Frauen am Tisch", 1920. Öl auf festem Karton. Privatsammlung Österreich
Essen als erotischer Akt von Dorothea Maetzel-Johannsen (Edwin Scharff Museum / Foto: Ketterer Kunst)
Sie war Lehrerin für Zeichnen, er studierte Architektur. Eine professionelle Kunst-Ausbildung hatten beide nicht. Aber sie hatten einen unbändigen Ausdruckswillen, den sie zunächst vor allem im Holzschnitt auslebten, einem vergleichsweise billigen und radikal expressiven Verfahren. Die ersten Räume der Ausstellung zeigen Arbeiten aus der Zeit des Ersten Weltkriegs, Emil Maetzels "Große Beweinung", Dorothea Maetzel-Johannsens "Pietà" – das Kriegs-Leid und die Trauer werden in das religiöse Motiv der Kreuzabnahme übersetzt. Bei ihr ist die Linienführung weicher und noch vom Jugendstil beeinflusst, während er schon relativ früh mit expressiver Gewalt ins Holz schneidet und dann auch prismatisch-konstruktivistische Elemente benutzt.
Melancholisch und sorgenvoll
Während Emil Maetzel sich als Zeichner an Hamburger Stadtlandschaften und Akten ausprobierte, zeichnete seine Ehefrau Stillleben – und stellte später die beschützende Mutter mit Kind, die sie selber war, sehr melancholisch und sorgenvoll dar. Auch ihre Arbeit "Zwei nackte Paare in einem Raum" wuchtet die bloßen, schwarzweiß verschatteten Körper in eine Depression, wie man sie eher aus Picassos blauer Periode kennt.
Aber: Die Familie war das dominante Thema der Maetzels, in einem positiven Sinne. Sie waren Künstler, die zwischen 1911 und 1917 vier Kinder bekamen, mit ihnen eher unbürgerlich lebten und das auch bildlich darstellten. Er arbeitete bei der Hamburger Baubehörde und war Haupt-Organisator der "Hamburgischen Sezession"; sie blieb zu Hause, alte Rollenteilung, hatte dadurch aber mehr Zeit für die Kunst, sagt Kuratorin Helga Gutbrod.
"Es sind recht viele Mutter und Kind-Motive, also dieses enge Beieinandersein zwischen der stillenden Mutter und dem kleinen Kind auf dem Schoß. Aber auch Emil Maetzel, was ja interessant ist als Mann, zeigt immer wieder um 1920 seine Tochter Ruth, arbeitend, schlafend, lesend, die anderen Kinder im Garten spielend."
Keilförmige Formensprache
In den 1920ziger Jahren, als beide ernsthaft mit dem Malen beginnen, werden aber zwei unterschiedliche Wege sichtbar. Dorothea Maetzel-Johannsen interessiert sich in der Hauptsache für den weiblichen Körper, der in scharfkantig konturierten Akten meist in erotischer Zweisamkeit auftaucht. Der Titel ihres stärksten Bildes lautet "Überredung": zwei unterschiedlich getönte Frauenleiber, der ältere leicht gelblich, der jüngere rötlich schimmernd, sind einander vorsichtig zugetan, und in der teils keilförmigen Formensprache erinnert das durchaus an Ernst Ludwig Kirchner, den die Maetzels von zahlreichen Museums- und Galeriebesuchen in Berlin kannten. Auch in der Lithographie dekliniert Dorothea Maetzel solche Themen grandios durch, während die Frauenkörper, die in den Kohlezeichungen von Emil Maetzel auftauchen, an die libertären Fehmarn-Bilder von Kirchner denken lassen.
Emil Maetzel favorisiert, wenn er seine Kinder malt, allerdings eine merkwürdig stereometrische, verkünstelte Körperform, so dass die Kinder wie bewegungslose Puppen erscheinen.
Während Dorothea Maetzel-Johannsen mit diesen Gemälden um 1919 bis 1921 wirklich sehr großen Eindruck macht, sie sind stark expressionistisch gefärbt, ist Maetzel einer, der plötzlich eine ganz andere Herangehensweise hat, der sich Kinder, seine Kinder vielleicht auch, zum Vorbild nimmt, ja fast puppenartige Figuren zu schaffen, die ein bißchen wie in einer eigenen Welt leben.
Glückliches Paar mit Humor
Dorothea Maetzel war weitaus erfolgreicher als ihr Mann, bekam den Auftrag für einige Tür-Friese der Hamburger Kunsthalle, reiste malend durch Frankreich und starb leider 1930, mit 44 Jahren, an einer Herzinsuffizienz.
Emil Maetzel, der afrikanische Skulpturen sammelte und ihre stilisierten Formen malerisch nachempfand, war den Nazis verdächtig und wurde von der Baubehörde entlassen. Maetzel lebte in innerer Emigration und starb erst 1955. Von den glücklichen Zeiten des Künstlerpaars kündet in der Ausstellung ein riesenformatiges Foto, das die beiden 1926 in orientalischer Verkleidung auf einem Künstlerfest zeigt. Sie konnten auch lustig sein – und werden jetzt in dieser schönen Ausstellung wiederentdeckt.