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Mali und die Macht der Religiösen

Am 28. Juli wird in Mali ein neuer Präsident gewählt. Kandidaten, die nicht über gute Kontakte zu den Führungsfiguren der muslimischen Gemeinschaft verfügen, haben kaum Chancen. Allerdings wünschen sich die Malier einen Staatschef, der islamistischen Tendenzen früh entgegen tritt.

Von Katrin Gänsler | 23.07.2013
    Der Einzug der Islamisten in den Norden Malis hat Spuren hinterlassen.
    Der Einzug der Islamisten in den Norden Malis hat Spuren hinterlassen. (picture alliance / dpa / Philippe De Poulpiquet)
    Mali befindet sich in Wahlkampfstimmung. Die Wahl am 28. Juli gilt als extrem bedeutend für das Land. Schließlich ist es die erste nach dem Staatsstreich und der Besetzung des Nordens durch verschiedene islamistische Gruppierungen. Auch Taxifahrer Lassana Coulibaly fiebert dem Wahltermin entgegen. Mit seinem gelben Wagen fährt er durch die Straßen von Bamako.

    "Ich liebe IBK – Ibrahim Boubacar Keïta. Was auch immer IBK sagt, das macht er auch. Und zwar ohne Probleme. Er muss alles nur einmal sagen, und schon hat er die ganze Welt hinter sich versammelt."

    Über Ibrahim Boubacar Keïta, der als aussichtsreichster Kandidat gilt und bereits Premierminister und Präsident der Nationalversammlung war, wird aber noch eines erzählt: Er soll besonders gute Kontakte zu einflussreichen Muslimen haben. Imam Mahmoud Dicko ist mit einer solchen Aussage allerdings vorsichtig. Er ist Präsident des Hohen Islamischen Rates, dem höchsten Gremium der muslimischen Gemeinschaft.

    "Vielleicht gibt es in der Tat viele religiöse Meinungsführer, die gute Kontakte zu ihm haben. Das wäre gut möglich. Aber alle Kandidaten haben Beziehungen zu der religiösen Führungsschicht – ohne Ausnahme."

    In Mali bekennen sich mehr als 90 Prozent der Einwohner zum Islam, der eine lange Tradition im Land hat. So galt die Stadt Timbuktu am Rande der Sahara über Jahrhunderte als Zentrum des afrikanischen Islams. Die Altstadt von Djenné mit ihrer berühmten Lehmmoschee gehört seit 1988 zum Weltkulturerbe der UNESCO. Trotz der großen Bedeutung der Religion betonen viele Malier allerdings: Wir sind zwar Muslime, aber Mali ist ein laizistisches Land. Ein Präsidentschaftskandidat muss dennoch ganz bestimmten Kriterien entsprechen, gibt Imam Mahmoud Dicko zu.

    "Ein Faktor ist sicherlich, ob jemand wirklich gläubig ist. Das heißt: Ist jemand wirklich aufrichtig? Jemand, der weder Korruption, noch Vetternwirtschaft akzeptiert. Wenn jemand gläubig ist, dann hat er auch Moral. In diesem Sinn spielt die Religion durchaus eine Rolle."

    All diese Eigenschaften könnte natürlich auch ein christlicher Kandidat mitbringen. Im Nachbarland Senegal, wo ebenfalls mehr als 90 Prozent der Einwohner Muslime sind, war der erste Präsident nach der Unabhängigkeit ein Katholik. Léopold Sédar Senghor regierte den Senegal 20 Jahre lang und erhielt vor den Wahlen sogar die Empfehlung des Marabouts, der religiösen Verantwortungsträger der muslimischen Bruderschaften. Ob sich ein christlicher Kandidat jedoch auch in Mali durchsetzen könnte? Imam Dicko bleibt skeptisch:

    "Warum eigentlich nicht? Das wäre kein Problem. Aber schwierig wäre es. Das wäre so, als ob in Deutschland ein Muslim Präsident wird. Das ist die gleiche Antwort. Können sie sich vorstellen, dass das leicht wäre?"

    Muslimische Organisationen haben in Mali großen Einfluss auf die Politik. Das zeigte sich beispielsweise bei der Änderung des Familienrechts. Das Heiratsalter wurde auf 18 Jahre heraufgesetzt. Mädchen und Jungen wurden beim Erbrecht gleichgestellt. Eheschließungen mussten auch vom Staat beglaubigt werden. Die Reform war längst beschlossen. Doch der Hohe Islamische Rat protestierte und mobilisierte Zehntausende Menschen. Mit Erfolg, erklärt Annette Lohmann, Leiterin der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bamako.

    "Es ist dem Islamischen Rat dann gelungen, 2011 eine Reform der Reform einzuleiten und eine komplett konservative Agenda durchzusetzen. Sie haben sich in allen strittigen Punkten damals durchgesetzt."

    Auch im vergangenen Jahr sorgte der Hohe Islamische Rat auf politischer Ebene erneut für eine einschneidende Veränderung, sagt Annette Lohmann:

    "Dass sie zunehmend in den Bereich der Politik eindringen, sieht man daran, dass es ihnen gelungen ist, ein Ministerium für religiöse Angelegenheiten durchzusetzen, was es so nicht gegeben hat und was von einem Minister, der ebenfalls Mitglied dieses Hohen Islamischen Rates ist, geleitet wird."

    Doch auch bei Christen sind die Wahlen wenige Tage vor dem 28. Juli ein wichtiges Gesprächsthema. Théodore Togo, Generalsekretär der Caritas in Mali, schult gerade Wahlbeobachter. Sie sollen – so wünscht er es sich – überall im Land den Wahlverlauf überwachen und auf Probleme aufmerksam machen. Ein geordneter Wahlverlauf sei wichtiger als alles andere, darauf lege die Kirche viel wert, sagt Théodore Togo:

    "Die Bischöfe haben ihre Botschaft bereits verkündet. Die ist sehr deutlich und sagt: Alle Christen sollen dafür sorgen, dass die Wahlen glaubwürdig sind, transparent und ruhig."

    Gelingt das, könnte Mali einen großen Schritt in Richtung Demokratie machen. Nach dem Staatsstreich vom März 2012 und dem Einzug der Islamisten, die acht Monate lang im Norden herrschten, wünschen sich viele Malier das mehr denn je. Doch dafür ist ein Präsident notwendig, der sich um den Norden kümmert und islamistische Tendenzen früh erkennt. Dschihadisten sollen sich dort kein zweites Mal ausbreiten. Mali hat seine Lehren aus der jüngsten Geschichte gezogen, ist sich Caritas-Leiter Théodore Togo sicher:

    "Die Malier, ganz gleich ob Muslime oder Christen, haben begriffen: Man muss sehr aufmerksam sein. Wenn man nicht aufpasst, dann kann dieser andere Islam wiederkommen, den wir so gar nicht kennen. Doch der kann uns sehr unterdrücken. Das haben wir hier verstanden."