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Malis falscher Frieden

Die Sicherheitslage im Norden Malis ist weiterhin dramatisch. Zuletzt wurden zwei französische Journalisten in der Tuareg-Hochburg Kidal ermordet. Kritiker warnen: Die internationale Gemeinschaft habe sich in Mali von einem falschen Frieden blenden lassen.

Von Alexander Göbel | 09.11.2013
    Sie waren keine Abenteurer, sondern erfahrene Afrikajournalisten. Sie kannten sich aus – auch im gefährlichen Norden Malis. In Kidal hatten Ghislaine Dupont und Claude Verlon vom französischen Radiosender RFI ein Interview mit einem Tuareg-Rebellen geführt, unmittelbar danach wurden sie verschleppt.

    Soldaten der malischen Armee und der UN-Mission Minusma machten sich auf die Suche – und fanden nur die Leichen der beiden Reporter. Erschossen in der Wüste, wenige Kilometer außerhalb der Stadt. Inzwischen wurden die Leichname von Ghislaine Dupont und Claude Verlon nach Frankreich überführt. Dort, aber auch in Mali selbst sind die Menschen fassungslos.

    "Diese Morde haben das ganze malische Volk erschüttert. Das waren Menschen, die auf der Suche nach Informationen waren - sie hatten keine Waffen, sondern nur Mikrofone, und sie wollten einfach nur die Wahrheit herausfinden. Sie wollten Mali helfen mit ihrer Arbeit, sie wollten Mali internationale Aufmerksamkeit geben. Wir können nicht begreifen, wie man sie so kaltblütig umbringen konnte."

    Offenbar führt die Spur wieder einmal zu Al Kaida im islamischen Maghreb, kurz AQMI. Die Terrorgruppe, die seit Jahren in Mali aktiv ist, hat inzwischen die Verantwortung für den Mord an den beiden Journalisten übernommen. Die mauretanische Nachrichtenagentur Sahara Médias veröffentlichte ein Communiqué der Kampfgruppe des Tuaregs Abdelkrim Targui. Darin heißt es, die Tötung von Ghislaine Dupont und Claude Verlon sei Rache für die Verbrechen Frankreichs und der internationalen Gemeinschaft gegen die Muslime des Staates Azawad. Targui galt als einer der engsten Vertrauten von AQMI-Chef Abu Zeid, der Anfang des Jahres von tschadischen und französischen Truppen getötet worden war. Ein Anführer ist tot, der Terror geht weiter, vor allem in Kidal.

    Fest steht: "Kidal ist das Epizentrum aller Probleme von Mali" – so hatte es auch Ghislaine Dupont in ihrer letzten Reportage selbst formuliert. Und so sieht das auch der frühere Präsidentschaftskandidat Tiebilé Dramé – im Juli hatte er für Mali mit den Tuareg den Vertrag von Ouagadougou ausgehandelt, damit die Waffen schweigen und überhaupt Präsidentschaftswahlen stattfinden konnten. Alle anderen Probleme, Entwaffnung der Rebellen, territoriale Ansprüche, die sollten später gelöst werden.

    "Im Vertrag von Ouagadougou ging es darum, nach dem Krieg die Souveränität des malischen Staates wiederherzustellen. Heute müssen wir erkennen, dass wir fünf, sechs Monate wertvolle Zeit verloren haben: Die Tuareg-Rebellen sind noch immer nicht entwaffnet, es kommen immer mehr radikale Kämpfer zurück in die Region, auch Al Kaida ist weiterhin aktiv. Und deswegen überrascht es mich nicht, dass sich die Lage so verschlechtert hat."

    1500 Kilometer nördlich von Malis Hauptstadt Bamako ist die Tuareg-Hochburg Kidal zu einer No-go-Area geworden, obwohl offiziell die radikalen Islamisten vertrieben, obwohl am Flughafen der Stadt französische Truppen stationiert sind, obwohl alliierte Militäraktionen mit dem passenden Namen "Hydra" versuchen, den Terror einzudämmen. Doch im hohen Norden Malis spielt der Staat keine Rolle – statt der malischen Fahne weht hier noch immer die Flagge von Azawad, das riesige Gebiet beanspruchen die Tuareg-Rebellen für sich, immer wieder kommt es zu Anschlägen. Dass Kidal überhaupt einen Sonderstatus behalten durfte, damit Mali eine besonders von Frankreich gewollte Präsidentschaftswahl durchpeitschen konnte – für Mohamed Bazoum war das immer ein gefährlicher Kuhhandel.

    Der Außenminister des Nachbarstaates Niger spricht aus, was viele Beobachter denken: Frankreich und damit die internationale Gemeinschaft hätten sich von der Euphorie über den Neuanfang in Bamako blenden lassen, wohl wissend, dass das Tuareg-Problem nicht gelöst sei. Die Folgen, so Mohamed Bazoum, seien fatal:

    "Ja, ganz klar, alle haben sich täuschen lassen und nicht gehandelt, alle Entscheidungsträger haben moralische Schuld auf sich geladen. Nun mussten auch Ghislaine und Claude dafür bezahlen. Wenn wir nichts tun, wird der Norden Malis zu einem rechtsfreien Raum, und das könnte eine Lage heraufbeschwören, wie wir sie im Januar 2013 hatten – wir wären also wieder da, wo alles angefangen hat."