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Mallorquinische Visionen

Albert Vigoleis Thelen gehört zu jenen Autoren der deutschen Nachkriegszeit, die außerhalb einer eingeschworenen Gemeinde so gut wie nicht bekannt sind. Thelen schuf skurille, erzählerisch oft ausufernde Romane und Lithografien – aus Anlass seines 100. Geburtstages in diesem September haben NDR und WDR einen seiner umfänglichen Romane für das Radio bearbeitet: "Die Insel des zweiten Gesichts", eine Liebesgeschichte auf dem Mallorca der Dreißiger Jahre, die der Regisseur Norbert Schaeffer für das Radio bearbeitet und inszeniert hat.

Frank Olbert |
    Olbert: Herr Schaeffer, wie sind Sie auf diesen entlegenen Stoff überhaupt gestoßen?

    Schaeffer: Herr Wang vom Nordeutschen Rundfunk ist mit der Bitte auf mich zugekommen, "Die Insel des zweiten Gesichts" für den Funk einzurichten. Dann habe ich das Buch gelesen und das war wirklich ein Leseabenteuer. Ich habe es nach ein paar Seiten sofort auf die Seite gelegt, weil ich auf der Stelle verstanden habe: Dieses muss man in einem Zug lesen, um es erfassen zu können. Das heißt: Ich brauche ein paar Tage frei, ohne Telefonate oder andere Geschäfte. Bald darauf habe ich mir diese Zeit einrichten können und ich habe das Buch wirklich in einem Rutsch gelesen.

    Olbert: Wie sind Sie bei der Bearbeitung vorgegangen? Sie mussten ja kürzen.

    Schaeffer: Ich hatte maximal 180 Minuten. Das Werk hat 900 Seiten. Eine Seite entspricht ungefähr drei Leseminuten. Das sind 2700 Minuten. Ich hatte also weniger als 10 Prozent der Zeit zur Verfügung. Wenn man sich das klar macht, ist das auch eine wichtige Arbeitsgrundlage für das Gespräch mit einem Dramaturgen. Das heißt, man maßt sich nicht an, das Buch abzubilden. Die Hörspielbearbeitung kann nur Aspekte wiedergeben oder eine Verdichtung sein. Und so habe ich dann ein Modell vorgelegt, wie man das überhaupt sinnvoll einteilen kann. Meine Aufgabe hieß weiterhin, für den Norddeutschen Rundfunk eine zweiteilige und für den Westdeutschen Rundfunk eine vierteilige Fassung mit entsprechend kürzeren Abschnitten zu erstellen. Die erste Entscheidung war, die ersten drei Bücher von Thelens Roman zum ersten Teil des NDR, beziehungsweise den ersten beiden des WDR zusammenzufassen und den zweiten Teil dann ganz dem vierten Buch zu widmen. Der zweite Schritt war dann in die Erzählebenen hineinzugehen. Zunächst einmal gibt es in dem Roman zunächst einmal eine Ebene, die einfach den Inhalt seiner Reisen und seines Aufenthalts auf Mallorca wiedergibt. Das war klar, dass das als roter Faden da sein sollte. Dann gibt es eine zweite Ebene, in der Thelen von seiner Kindheit erzählt, eine dritte historische, eine vierte politische und eine Metaebene des Erzählens über das Erzählen. Wir haben uns entschieden, uns neben dem roten Faden vor allem auf die politische Ebene zu konzentrieren und immer wieder als Stütze die Metaebene zu verwenden, weil man da dieses "Ich stelle mir vor.." oder "Ich erzähle über.." klar machen kann. So habe ich dann im Bezug auf diese Ebenen gekürzt, was nicht ganz einfach ist, da Thelen alles andere als linear erzählt.

    Olbert: Kommen wir zur Inszenierung. Ich habe beim Hören den Eindruck gehabt, dass das ein Rhythmus ist, der sich sehr auf die Länge der Erzählung überhaupt einlässt. Sie haben sich sehr auf die Schauspieler konzentriert und die Szenen ausgespielt.

    Schaeffer: Das ist der Respekt vor Thelen. Ich muss doch diesem langen Atem folgen. Ich kann nicht überstürzt in die Geschichte hinein. Auch wenn der Held selber überstürzt hineinstolpert, sitzt doch da der Erzähler Thelen mit seinem langen Atem. Ich habe also versucht den Rhythmus, den das Buch selber hat, zu übernehmen.

    Das Stück "Die Insel des zweiten Gesichts" von Albert V. Thelen sendet der Westdeutsche Rundfunk ab dem 15. September in vier Teilen, jeweils um 20.05 Uhr, auf WDR 5 und der Norddeutsche Rundfunk in zwei Teilen, und zwar am 17. und am 24. September, jeweils um 20.05 Uhr auf NDR Kultur. WDR 5 ab 15.09., 20.05 Uhr. NDR Kultur, ab 17.09., 20.05 Uhr.