Doch es waren gewaltige Anstrengungen nötig, um die Meerenge zwischen dem dänischen Kopenhagen und dem schwedischen Malmö zu überwinden: Ingenieure ließen tief unter dem Öresund einen Tunnel graben, eine künstliche Insel entstand, vier mächtige Pfeiler ragen 200 Meter hoch aus dem Meer. Die Brücke selbst, aus Stahl und Beton, wirkt so luftig und grazil als würde sie auf dem Wasser schweben.
Über Jahrhunderte haben sich Dänen und Schweden bekriegt. Ihre Geschichte ist - sowohl dynastisch als auch politisch – nahezu unentwirrbar ineinander verflochten. Mal hat man zusammen, mal getrennt um die Vormacht im Ostseeraum gekämpft. Die Königshäuser sind verbandelt bis heute. Dänen und Schweden sind wie Brüder, die sich stets im Wettstreit miteinander befinden. Sie lieben und sie hassen sich.
Mit dem gemeinsamen Öresundprojekt haben Dänen und Schweden wieder einmal zueinander gefunden. Ingenieure beider Länder arbeiten heute auf der neu geschaffenen Brücke zusammen. Sie sorgen für den reibungslosen Betrieb der Anlagen, rütteln Bolzen und Schrauben, spähen nach schadhaften Kabeln und durch geschmorte Sicherungen.
Der Brückenbau-Ingenieur
"This piece can´t read through the window. You have a little window in the window. You have got no holder for it?"
Drama im Morgengrauen: die Schranke der Mautstation will einfach nicht aufklappen, die deutsche Kleinfamilie schaut etwas ratlos aus ihrem schmucken Mercedes heraus. Rettung naht in Gestalt von Kent Pedersen. Der kräftig gebaute Schone mit dem runden bärtigen Gesicht und den struppigen Haaren ist Techniker und muss als Kontrolleur auf der Öresundbrücke mit den großen und den kleinen Krisen fertig werden.
"You better go now, before the gate goes down again!”"
So früh am Morgen ist Kent Pedersen die Ruhe in Person. Noch ist der blecherne Lindwurm der Berufspendler nicht so richtig in Fahrt gekommen. Da bleibt Zeit für eine dampfende Tasse Kaffee in der windgeschützten Leitzentrale.
Die ist so voll gestellt mit Schaltpulten, Computern und Flachbildschirmen, dass man sich kaum drehen kann. Dutzende Kameras beäugen jeden Winkel des gewaltigen Bauwerks. Das verschafft Kent und seinen Kollegen Übersicht, wenn wieder einmal ein Tourist mitten auf der Brücke stehen bleibt, an das Geländer tritt und in Seelenruhe Fotos für das Poesiealbum knipst. Kent Pedersen kann das gut verstehen, die Brücke bringt auch ihn, den erfahrenen Techniker, nach all den Jahren immer noch zum Staunen.
""Sie ist ein Wunderwerk der Ingenieurskunst! Es war verdammt schwierig, die Gewichte zu berechnen. Das Metall dehnt sich im Sommer aus und zieht sich im Winter zusammen. Die Kabeltrosse kommen ins Schwingen, wenn der Wind geht oder Schnee darauf liegt. Aber wir haben alle diese Probleme in den Griff bekommen!"
Kent Pedersen lebt mit Frau und Tochter im winzigen Weiler Falsterbo, da wo Schweden zu Ende ist und das Meer beginnt. Kino, Einkaufen, Flanieren – dazu fährt er rüber nach Kopenhagen. Der Mann fühlt sich an beiden Ufern des Sunds zuhause.
"Mein Vater war Däne und hat sich sein Leben lang nach einer Brücke gesehnt.
Der konnte Boote nicht ausstehen. Meine Mutter ist Schwedin und war am Anfang nicht so begeistert. Die war damals bei den Fähren angestellt. Sie fürchtete schlicht um ihren Job. Aber wenn Sie mich fragen, dann wird uns die Brücke zueinander führen. Schonen hat doch Jahrhunderte lang zu Dänemark gehört. Wir haben viel dänisches Blut in uns."
Kent verstaut die Werkzeugkiste im Wagen und wirft sich seine gelb leuchtende Windjacke über die breiten Schultern. Höchste Zeit für die Inspektion.
Er muss hinauf auf einen der gewaltigen Pylone, die im Meeresgrund verankert sind und die Brücke in der Mitte stützen.
"Dort oben auf dem Pfeiler blitzen Signallichter, die anfliegende Flugzeuge vor der Brücke warnen sollen. Vom Boden aus kann ich nicht sehen, ob die Lichter noch alle in Ordnung sind. (Lacht) Nun schauen Sie mal nicht so ängstlich! Es gibt einen Lift nach oben."
Ohne Erlaubnis klettert niemand auf der Brücke herum. Die Vorschriften sind streng. Kent muss jeden seiner Schritte bei den wachsamen Kollegen anmelden.
Rasselnd setzt sich der stählerne Aufzug in Bewegung. Zwei Minuten dauert die Fahrt bis hinauf auf die Plattform an der Spitze des Brückenpfeilers.
Kent Pedersen ist angekommen, in seinem Adlerhorst inmitten der See:
200 Meter hoch über den dunklen Wassern des Öresunds lässt er sich den tosenden Wind um die Nase wehen.
"Es ist hundekalt und es bläst gewaltig! Aber ich liebe diese Aussicht! Du schaust über den ganzen Sund. Du siehst die Dächer von Malmö und Kopenhagen. Die Travemünde-Fähre sieht aus wie ein Spielzeugboot. Am liebsten komme ich am späten Abend hier rauf, wenn die Sonne unter geht. Das ist ein wunderbares Gefühl!"
In seinem Buch "Wallanders Landschaft - eine Reise durch Schonen", schildert Thomas Steinfeld von Dänemark kommend, seine Eindrücke von der südschwedischen Region am Öresund. Er sinniert über die Zeiten, als es die Öresundbrücke noch nicht gab, und berichtet von den Veränderungen, die der Brückenbau mit sich brachte:
"Die Straße senkt sich in das Meer. Über vier, fünf Kilometer verläuft ihr helles, zweispuriges Band durch den Schlick auf dem Grund des Öresund, der Meerenge zwischen Kopenhagen und Malmö. Kaum etwas, fast nichts hat der Reisende von der dänischen Hauptstadt gesehen, als er auf der Autobahn die weiten Salzwiesen durchquert hat, von eiligen Chauffeuren, die alle Geschwindigkeitsbegrenzungen dieses bei jeder anderen Gelegenheit so vorsichtigen und rücksichtsvollen Landes missachten, immer wieder gezwungen, die Fahrbahn zu wechseln. Im Norden schien sich für eine kurze Zeit, auf der anderen Seite eines weit gestreckten Brackwassers, die Silhouette einer großen Stadt abzuzeichnen, mit hohen Schornsteinen und einem Kirchturm, der wie eine spindelförmige Schnecke oder ein auf den Kopf gestelltes Blätterteighörnchen aussieht. Schließlich geht es in den Schlick hinunter, in den Tunnel hinein, immer tiefer, und wieder hinauf, auf die Brücke, so weit nach oben, dass es für einige Augenblicke ganz unsicher zu sein scheint, ob dieser Bogen auf der anderen Seite je wieder festen Boden berühren wird."
Eine Verbindung zwischen Schweden und Dänemark gab es freilich auch schon früher. Zahlreiche Fähren verbanden die Menschen diesseits und jenseits des Öresunds. Doch mit der Fertigstellung der 2,6 Milliarden teuren Öresundbrücke vor fünf Jahren ist alles viel einfacher geworden. 11.800 Fahrzeuge und 17.000 Bahnreisende rollen heute durchschnittlich pro Tag über die neue 16 Kilometer lange Brücke. Auch die Zahl der Berufspendler ist, trotz der deftigen Preise, enorm gestiegen.
In Malmö wohnen, in Kopenhagen arbeiten. In den Morgenstunden drängen sich die Menschen auf dem Bahnsteig der Station Malmö Süd. Wer hier in der Stoßzeit einsteigt, bekommt keinen Sitzplatz mehr. Denn spätestens seit Malmö Central sind alle Sitzplätze belegt. Schon immer war Kopenhagen das wissenschaftliche und wirtschaftliche Zentrum in der Öresundregion. Doch der Wohnraum dort ist knapp und teuer. Deshalb sind viele zu Pendlern geworden, wie zum Beispiel Elisabeth Jansson. Die junge Sängerin hat im neu gebauten Opernhaus von Kopenhagen ein Engagement.
Die Pendlerin
Eine helle Küche in einer Altbauwohnung mitten in Malmö. Elisabeth Jansson steht am Gasherd und setzt eine Kanne Kaffee auf. Seit zwei Jahren wohnt die junge Mezzo-sopranistin in Malmö - ein Engagement an der königlichen Oper von Kopenhagen hat die schlanke brünette Schwedin hergezogen. Dass sie sich auf der schwedischen Seite des Öresunds niedergelassen hat, hängt vor allem mit der Situation auf dem Wohnungsmarkt zusammen:
"Ich bin aus wirtschaftlichen Gründen nach Malmö gezogen. Hier sind die Wohnungen billiger als in Kopenhagen. Die Stadt ist nicht so laut und es gibt auch nicht so viele Abgase. Man kann überall Fahrrad fahren. In Kopenhagen ist dafür mehr los, es gibt mehr Kulturangebote, mehr Einkaufsmöglichkeiten."
Das Flair großer Städte hat Elisabeth bereits während ihrer Ausbildung reichlich genossen: Grundstudium am Richard-Strauss-Konservatorium in München, Hauptstudium an der Royal Academy of Music in London und an der Opernakademie in Kopenhagen. Sie hat mit jungen Köpfen aus allen Ecken der Welt zusammengearbeitet und weiß, was die verschiedenen Nationalitäten voneinander trennt. Und, dass sich auch Dänen und Schweden durchaus unterscheiden:
"Früher dachte ich, dass wir Skandinavier uns ziemlich ähnlich sind. Aber seit ich in Kopenhagen arbeite, merke ich, was uns unterscheidet. Die Dänen beherrschen die Kunst, das Leben zu genießen. Sie sind offen, entspannt und fröhlich. Wir Schweden sind etwas vorsichtiger, halten uns am liebsten an die Regeln. Vielleicht sind wir auch etwas feige, weil wir uns nie zu weit aus dem Fenster hängen wollen, Angst vor Konflikten haben."
Im einem weißen Schränkchen im Wohnzimmer verwahrt Elisabeth Jansson ihre Schätze. Eine Sammlung von ungeordneten CD:s, wie sie selber bekennt, während sie mehrere Stapel Musik-CD:s herauszieht. Carmen ist darunter, eine der wenigen Rollen, bei denen eine Mezzosopranistin die Hauptrolle neben einem Tenor singt. Und Barockmusik, Ariodante von Händel, eine Koloraturarie, an die sie sich selbst gern einmal heranwagen würde:
"Sie ist so rhythmisch und melodiös - eine Herausforderung für den ganzen Körper. Eines meiner Ziele ist, mich in die Barockmusik zu vertiefen und mehr Händel zu singen. Es gibt eine Reinheit in dieser Musik, die mich anspricht."
Auf dem Weg zu ihrem Arbeitsplatz, in die Oper nach Kopenhagen, ist es nicht Barockmusik, sondern ihre Rolle in der Operette ”die Fledermaus”, in die sich Elisabeth Jansson vertiefen muss. Die Züge zwischen Malmö und Kopenhagen gehen tagsüber alle 20 Minuten, zweimal täglich passiert die 30-Jährige den Sund. Ausgerüstet mit einem Kaffee, einer Zimtschnecke und einer Zeitung vor der Nase, vergeht die halbe Stunde wie im Fluge.
"Ich fahre gern rüber, genieße den Blick aufs Wasser und die Küstenlinie, auf den Horizont und dann kommt diese künstliche Insel, die wir gerade passieren. Da gab es vorher nichts und jetzt haben sich Pflanzen angesiedelt und Blumen. Oft summe ich meine Stimme im Kopf vor mich hin. Manchmal bekomme ich komische Blicke, wenn ich etwas zu laut gesummt habe."
Ihr Ziel ist ein mächtiger heller Quader aus Kalkstein mit parallelen Fensterschlitzen, gegenüber von Schloss Amalienborg. Eingeweiht wurde die Oper Anfang des Jahres. Mit dem 300 Millionen Euro teuren Bau hat sich der dänische Reeder Maersk Mc-Kinney ein Denkmal gesetzt. Er ist aber auch Ausdruck für den neuen Bauboom, der die Hauptstadtregion erfasst hat. Zwischen Flughafen und Innenstadt entsteht die Örestad, ein neuer Stadtteil, in dem künftig rund 60.000 Menschen leben und arbeiten werden. Aber nicht nur aus Dänemark, auch aus Schweden kommen die Gäste. Zudem arbeiten die Orchester beiderseits des Sundes immer wieder zusammen, erzählt der musikalische Leiter der Oper, Michael Schønwandt:
"Wir machen Brückenprojekte, d.h. die Orchester in Kopenhagen und in Südschweden - Helsingborg, Malmö - gestalten gemeinsame Projekte. Durch die Brücke und die Möglichkeiten, die wir jetzt haben, um von einem Platz zu einem anderen zu fahren, wird es bestimmt in Zukunft so sein, dass wir viel mehr aufeinander zugehen."
Für Elisabeth Jansson ist der dänisch-schwedische Alltag schon jetzt Wirklichkeit. Mit dem Fahrstuhl fährt sie hinauf in den zweiten Stock, zu ihrer Garderobe. Ein paar Ziffern eintippen und wie von Geisterhand öffnet sich die Tür zum kleinen hellen Zimmerchen mit Spiegelwand, Sofa und Minibad. Zwei Etagen höher liegen die Probenräume. Elisabeth schlägt ihr Notenbuch auf und legt die Stimmgabel bereit:
Ensemble und Couplet Nr. 8 steht über dem Notenblatt, der Beginn einer Arie aus dem 2. Akt der Fledermaus, die sich Elisabeth gleich vornehmen wird. Ende des Jahres ist Premiere, die Mezzosopranistin schlüpft dann in die Rolle des arroganten Prinzen Orlowski, und zwar auf Dänisch:
"Ich spreche dänisch, aber hausgemacht. Dänisch und Schwedisch sind sich so ähnlich, deshalb habe ich keinen Sprachkurs besucht. Ich versuche es einfach und die Leute verstehen mich, auch, wenn ich manchmal richtig daneben liege. Wenn ich auf Dänisch singe, muss ich die Aussprache allerdings vorher klären. Die Fledermaus kenne ich nur auf Deutsch. Aber das ist Gewöhnungssache."
Fähren verbinden, Brücken vereinen, heißt ein Sprichwort. Am Öresund soll zusammenwachsen, was zusammen gehört. Eine ganze Region träumt vom gemeinsamen Aufbruch, von offenen Grenzen und vom fruchtbaren Austausch der Ideen. Das lässt beinahe vergessen, mit welcher Schärfe die Regierungen der beiden Brudervölker regelmäßig aneinander geraten. Jahrelang war das Kernkraftwerk Barsebäck auf der schwedischen Seite des Sunds, gegenüber von Kopenhagen, der Stein des Anstoßes. In diesem Jahr wurde es nun endlich stillgelegt. Auch empört sich Stockholm über den harten Kurs des dänischen Premiers Anders Fogh Rasmussen in der Ausländerpolitik. Denn wer mit seinem ausländischen Ehepartner nach Kopenhagen ziehen will, muss strenge Auflagen erfüllen: muss Vermögen haben, Job und Wohnung, und muss nachweisen, dass die gemeinsame Beziehung zu Dänemark größer ist als zum Herkunftsland des Partners. Erfüllt man diese Auflagen, so gibt es eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung jedoch erst nach sieben Jahren.
Vom Image Dänemarks als tolerantem und offenem Land ist deshalb, aufgrund der scharfen Ausländergesetze, nur noch wenig übrig geblieben. Streitbare Dänen wie der Filmemacher Lars von Trier, aber auch Wirtschaftsbosse und selbst das dänische Königshaus warnen inzwischen vor der fatalen Neigung, sich fremden Kulturen gegenüber abzuschotten. Die dänisch-schwedische Organisation "Äktenskap utan Gränser", zu Deutsch: Ehe ohne Grenzen, rät betroffenen Liebespaaren und Familien gar zur Flucht nach Schweden. Hunderte sind inzwischen diesem Ruf gefolgt. So sind die Dänen in Malmö mittlerweile zur fünftgrößten Ausländergruppe geworden, und zu jener, die am raschesten wächst.
Die Flüchtlinge
Bei "Harry´s" am Stortorget im Herzen von Malmö geht es zünftig zu. Die Kneipe ist im Stil eines englischen Pubs eingerichtet: Teppiche, Holzbalken und rustikale Bänke sorgen für Gemütlichkeit. Aus den Zapfhähnen der chromblitzenden Theke fließt rabenschwarzes Guinnes-Bier.
Nanna und Leigh Friend sitzen draußen in Decken gehüllt auf der Terrasse und genießen den Feierabend. Die beiden sind ein schönes Paar: Der athletische Neuseeländer sah die gertenschlanke Dänin an einem Sommermorgen zur Tür hereinkommen – und war sogleich entflammt:
"Das war in der Morgenschicht. Wir beide haben als Kellner in einem Hotel in London geschuftet. Sie kam mit ihrer Freundin herein. Und ich dachte nur: Mein Gott, was für eine großartige Frau! Sie ist wirklich ein ganzes Stück länger als ich! (Lacht) Am Anfang habe ich gar nicht gewusst, dass sie aus Dänemark stammt. Das habe ich mir erst später zusammengereimt."
Sieben Jahre sind vergangen, seit jener Begegnung am Frühstücks-Buffet. Die beiden sind inzwischen ein Ehepaar, doch ihre Zuneigung füreinander hat sie viel Nerven gekostet. Leigh konnte damals in London nicht ahnen, dass seine Liebe zur Dänin gegen ein halbes Dutzend Gesetze verstößt. Und Nanna hätte nie gedacht, dass sie einmal die Koffer packen und mit ihrem Liebsten ins Exil gehen müsste.
"Die dänischen Ausländergesetze wurden im Herbst 2003 noch einmal verschärft. Wer mit seinem ausländischen Partner zusammen leben will, muss verheiratet und mindestens 24 Jahre alt sein, er muss eine eigene Wohnung nachweisen und überdies eine Bürgschaft von 50 000 Kronen bei der Bank hinterlegen. Das sind die Regeln. Und wir hatten keine Chance. Denn wir hausten im Studentenwohnheim und an den Kauf einer Wohnung ist nicht einmal zu denken, wenn Du obendrein auch noch mit so einer Summe bürgen sollst."
Verbotene Liebe im Staate Dänemark. Dabei zielen die strengen Auflagen bei der Zuwanderung im Grunde gar nicht auf gut situierte Leute wie Nanna und Leigh.
Nach offizieller Lesart soll das Gesetzespaket in erster Linie Einwanderer-Frauen vor Zwangsehen im Kindesalter bewahren.
Doch solche zur Schau getragene Fürsorge ist allenfalls die halbe Wahrheit. Die rechtsliberale Regierung ist im Februar diesen Jahres auch deshalb wiedergewählt worden, weil sie im Wahlkampf versprochen hatte, die Zuwanderung nach Dänemark um beinahe jeden Preis zu begrenzen.
"Auf gewisse Weise leben wir Dänen immer noch in einer offenen Gesellschaft. Zum Beispiel sind wir das erste Land überhaupt, das die Homo-Ehe von Lesben und Schwulen erlaubt. Aber nach den Anschlägen in New York und London ist die Stimmung verhärtet. Auch in Dänemark gibt es rückständige Eiferer. Und es gibt eine kleine Gruppe von Zugewanderten, die seit 10 oder 20 Jahren im Land leben und noch immer kein einziges Wort Dänisch sprechen. Als kleine Nation sind wir sehr stolz auf unsere Sprache. Wir wollen, dass sich die Leute anpassen."
Anpassung bis zur Selbstaufgabe. Wie so viele andere Paare in ähnlicher Lage fanden Nanna und Leigh am Ende in Schweden Zuflucht. Weil hier die europäischen Regeln zur Freizügigkeit uneingeschränkt gelten, konnte Leigh als Ehepartner relativ problemlos eine Arbeits- und Aufenthaltsgenehmigung beantragen. Im beschaulichen Malmö fühle er sich endlich geborgen, meint er. Und doch ließen ihn auch die Schweden bisweilen spüren, dass er nicht richtig dazugehört. Leigh, der in Neuseeland eine Ausbildung zum Fotografen abgeschlossen hat, muss sich immer noch mit Kellnern über Wasser halten.
"Ich habe einen Sprachkurs gemacht, als wir hier in Schweden ankamen. Aber wegen der Arbeit musste ich das aufgeben. Seitdem bin ich nicht viel weiter gekommen. Auch deshalb weil sich in der Kneipe alle auf Englisch unterhalten. Und so halten wir es auch zuhause."
Und so sind sie beide Wanderer zwischen den Welten. Nanna fährt jeden Morgen über die Brücke nach Kopenhagen, wo sie als Juristin bei einer großen Versicherung gutes Geld verdient. Leigh träumt bisweilen von den sanften Hügeln Neuseelands und den Freunden in Hamilton. Sie haben sich eingerichtet auf ihrer Seite des Sunds. Es könnte schlimmer sein – aber auch so viel einfacher!
Kleiner Bruder, großer Bruder? Im Mittelalter gab es keinen Zweifel, welches der beiden Länder das Sagen hatte. Dänemark war eine europäische arktische Großmacht. Das Reich erstreckte sich von den eisigen Gestaden Grönlands und Islands bis tief hinunter nach Holstein und umfasste weite Teile Südschwedens. Dänische Lehnsherren plagten hungernde Bauern, ihre Kaufleute starteten vom Öresund aus Expeditionen in ferne Kolonien. Das politische Zentrum dieses Imperiums war Kopenhagen – schon damals eine blühende Metropole. Im Schloss Christiansborg regierten die Könige, der Bischof hatte seinen Sitz auf der anderen Seite des Sundes in der Domstadt Lund. Erst im 17. Jahrhundert erwachte der schwedische Nationalstolz. Die Ufer am Öresund wurden zum Schauplatz grausamer Kriege.
Kopenhagen hat auch in Zeiten der Globalisierung seinen Spitzenplatz verteidigt. Internationale Konzerne haben das Marktpotenzial der Öresundregion früh erkannt. Bereits vor der Fertigstellung der Brücke, 1997, lagen sieben nordische Hauptquartiere von Multis am Öresund. Jetzt sind es 26. Firmen wie Nestle, Ferring, Gilette, Masterfood und DaimlerChrysler haben ihre skandinavischen Niederlassungen hier hin verlegt.
Und auch wer moderne Architektur bestaunen will, ist am Öresund richtig. Im Januar wurde das klotzige neue Opernhaus von Kopenhagen eingeweiht. Und mit der Örestad wächst in der dänischen Hauptstadt ein gigantisches Wohnviertel aus dem Boden - mit spiegelnden Einkaufstempeln und futuristischen U-Bahnstationen.
Doch auch die schwedische Seite lässt sich nicht lumpen. Im westlichen Hafen von Malmö, in Västra Hamnen, entsteht gerade ebenfalls ein modernes Wohnviertel. In seiner Mitte ragt das neue Wahrzeichen der Stadt, der faszinierende Wolkenkratzer Turning Torso wie ein Symbol der riesigen unerfüllten Erwartungen in die Höhe – ein futuristischer Wohnturm mit bestem Blick und allem Luxus.
Der Consierge
Am Fuße des Turning Torso legen Bauarbeiter letzte Hand an. 190 Meter ragt der weiße Wohnriese in die Luft, dreht sich um die eigene Achse wie ein Mensch, der gerade zu einem Baseballschlag ausholt. Seine Wirbelsäule ist der Fahrstuhlschacht, in dem die Bewohner in Windeseile in luftige Höhen sausen: 54 Stockwerke in wenig mehr als einer halben Minute.
Oben lockt die kilometerweite Aussicht über den Sund. An der breiten Panoramafront drücken sich die staunenden Besucher die Nasen platt und lassen die Blicke schweifen: über Segelboote, Dampfer und die gewaltige Brücke, plötzlich so klein wie eine grazile Konstruktion aus der Welt der Spielzeugeisenbahnen. In weiter Ferne so nah die Dächer Kopenhagens in der Abendsonne.
Mitten durchs Gewühl läuft Janne Andersson: gepflegter grauer Vollbart, Zylinder, Frack. Dezent hält sich der 55-jährige Concièrge im Hintergrund, beobachtet die Szene, immer bereit, sofort zu Hilfe zu eilen. Er ist Ansprechpartner für die verwöhnten Mieter aus den 147 Luxus-Appartments.
"Wir wollen den Menschen vor allem zu einem angenehmen Wohnen verhelfen. Wir bringen ihnen Essen auf den Tisch oder richten ihre Feste aus. Es können aber auch so alltägliche Aufgaben sein wie die Terminabsprache mit dem Frisör oder dem Arzt. Wir helfen auch alten Damen dabei, den Müll runter zu tragen."
Im Turning Torso zu wohnen ist eine Frage des Lebensstils, sagt Andersson. Im 43. Stockwerk können die gestressten Grosstadtmenschen in der Sauna schwitzen. Im schattigen Keller ist Platz für die edlen Weine der Bewohner. Ein Angebot, das seinen Preis hat: 750 bis 3000 Euro kosten die Wohnungen im Monat, von der schattigen Einzimmerwohnung bis zur 200-Quadratmeter-Suite unter den Wolken. Für den gemütlichen Butler ist der Job die Erfüllung eines Kindertraums:
"Seit ich klein war, habe ich davon geträumt, ein Hotel zu besitzen, am liebsten ein Familienhotel, wo alle mit anpacken, von der Wäsche bis zum persönlichen Service. Jetzt habe ich ein Art großes Hotel bekommen, nur mit dem Unterschied, dass die Gäste länger bleiben."
Dass es soweit kommen konnte, ist fast ein kleines Wunder. Denn der Plan der Wohnungsbaugesellschaft HSB, die Appartements zu verkaufen, schlug fehl. Die Baukosten schraubten sich in astronomische Höhen. Doch Schönes hat eben seinen Preis, weiß Santiago Calatrava. Der 54-jährige Star-Architekt aus Spanien wollte eigentlich die Brücke bauen. Dann wurde der Turning Torso daraus. 180 Millionen teuer und heute das höchste Wohnhaus Europas. Das Aderwerk von Blättern, Tiere und rätselhafte Fabelwesen standen Modell für seine Entwürfe:
"Ich finde, dass die Natur ist sicher unsere Mutter und unsere Lehrerin, dass wir Teil der Natur sind und in der Natur eingebettet leben sollen. Und insofern ist es schön auf eine empirische Art die Natur nachzuahmen, aber auch sie nachzuahmen mit Seele und Herz."
Noch ist die Umgebung im Schatten des Wolkenkratzers nicht sehr ansehnlich. Im alten Westhafen Malmös, in dem einst mächtige Schiffe vom Stapel liefen und rostige Kräne rotierten, wird zur Zeit an jeder Ecke gebaut. Aus einer modernen Wohngegend soll der Turning Torso dann so herausragen, wie einst der gewaltige Kran der Kockumswerft. Das frühere Wahrzeichen der Stadt ist längst nach Asien verschifft. In den guten Zeiten der Werft hat Janne hat hier oft seinen Vater besucht:
"Er war Stahlarbeiter und hat Schiffsrümpfe gegossen. Hier auf dem Gelände wurden Bleche und Eisen bearbeitet. Dann gab es die Docks mit den gewaltigen Kränen, einen Höllenlärm und eine Mordshitze. Hier brannten viele offene Feuer und der Boden war schlammig. Überall wuselten Menschen herum und es gab ein Labyrinth von Zugverbindungen. Hier haben eine ganze Menge Leute gearbeitet."
Janne Andersson ist stolz, dass auch er heute wieder hier arbeitet. Der Turning Torso ist für ihn ein Symbol des Wandels von Malmö: Vom Industriestandort zur modernen Dienstleistungsmetropole. Vor allem das sprudelnde Leben in Malmö und Kopenhagen macht für ihn den Reiz aus. Der Flaneur schätzt die Nähe zu den Delikatessenläden in der dänischen Hauptstadt und fährt gerne ans andere Ufer, um Freunde zu treffen oder auszugehen.
"Es fühlt sich an wie die gleiche Stadt, weil es nicht so viel Zeit braucht, rüber zu kommen. Früher hat man in der Schlange gestanden, um eine Fahrkarte für die Fähre zu kaufen. Dann hat es geschneit und es war kalt. Man musste warten. Jetzt kann man den Zug oder das Auto nehmen, wann man will, einfach und bequem."
Am Abend sitzt Janne gern in seinem italienischen Lieblingsrestaurant an der Strandpromenade und lauscht dort dem Stimmengewirr aus Dänisch und Schwedisch. Oder er zieht sich in seine Wohnung zurück, am liebsten mit einem guten Whiskey und einem Westernfilm. Was für ihn ein guter Tag ist? Wenn man viele Leute getroffen und Probleme gelöst hat und man abends müde ist, wenn man nach Hause kommt, sagt Janne.
Wie jedes große Menschenwerk war auch der Bau der Öresundbrücke nicht ganz unumstritten. Umweltschützer auf beiden Seiten des Meeres liefen Sturm gegen das Vorhaben. Sie sorgten sich um den Lebensraum von Robben und Aalen. Inzwischen haben sich die Wogen geglättet. Kompromisse wurden geschlossen. Wie es der Umwelt tatsächlich geht, wird regelmäßig unter die Lupe genommen. Zum Beispiel auf der künstlichen Insel Pepparholmen, die auf der Hälfte der Strecke liegt.
Herr auf Pepparholmen, und so zu sagen das grüne Gewissen der Brücken-Investoren, ist ein schmaler drahtiger Däne um die 50, der schon als Kind im Garten herumschlich und mit der Lupe auf Spinnenjagd ging. Er lebt in einem alten Bauernhof im Norden von Seeland, züchtet zottelige Island-Pferde in der Freizeit und hat den wohl ungewöhnlichsten Arbeitsplatz auf diesem Erdenrund, den man überhaupt nur haben kann.
Der Umweltschützer
Expedition zur Insel Pepparholmen. Das karge Eiland wird nur von einigen besonders robusten Tieren und Pflanzen bevölkert. Der Meeresbiologe Hans Ohrt kommt gelegentlich vorbei, allein schon um die Aussicht zu genießen:
"Die Insel liegt streng genommen auf der dänischen Seite des Öresunds.
Wir haben einen sehr schönen Blick auf die Brücke und ihre Pfeiler, die schier endlos gen Himmel streben. Dort im Norden liegt Malmö mit dem Wolkenkratzer Turning Torso. Weiter hinten im Dunst lässt sich das Atomkraftwerk Barsebäck erahnen. Und in dieser Richtung kommen die Windmühlen vor Kopenhagen in Sicht."
Pepparholmen ist ein Kunstprodukt der Ingenieure. Die gerade einmal vier Kilometer lange Insel wurde aus Tausenden Kubikmetern Gestein und Sediment vom Meeresgrund erschaffen. Der Abraum war bei den Grabungen für die Fundamente der Brückenpfeiler angefallen. Ganz bewusst werden weder Büsche noch Bäume gepflanzt. Die Arten sollen sich ihre unwirtliche Heimat selbst erobern.
"Am Anfang gab es kein Leben, nichts. Es war wie auf einer Vulkaninsel, die aus dem Meer aufsteigt. Es gab nur reichlich Salz und Kalk und es war ungeheuer trocken. Alles musste neu beginnen. Es ist ein Natur-Experiment. Und es ist gelungen! Wir zählen heute 400 Pflanzen- und 15 Vogelarten. Es gibt allerhand Insekten und sogar Raubtiere wie die grün gefleckte Kröte. Die mag ungestörte Buchten mit stillen Wassern. Und die haben wir hier auf Pepparholm."
Besonders liebreizend ist die Insel nicht. Hier kommt der Tunnel ans Tageslicht und die Brücke beginnt. Alle paar Minuten brausen die Schnellzüge aus Malmö und Kopenhagen vorbei.
Hans Ohrt stapft mit Gummistiefeln durch einen schilff-bewachsenen Wassergraben. Wir sind im Revier der grün gefleckten Kröte. Der Biologe späht vergebens unter Blättern und Runken. Die Lurche ziehen es vor, unerkannt zu bleiben:
"Ich bin aufgewachsen auf der Insel Seeland. Im Sommer haben wir ganze Tage am Meer zugebracht, oder in den Wäldern. Ich brauche die See, kann nicht anderswo leben. Uns Dänen zieht es nach Feierabend hinaus in die Natur. Das ist bei den Schweden drüben nicht anders. Umweltschäden und Abfälle sind uns ein Graus!"
Entsprechend groß waren die anfänglichen Proteste gegen den Bau der Öresundbrücke. Vor allem die Sorge um das empfindliche und flache Meer trieb viele Bewohner der Öresundregion auf die Barrikaden. Die meisten Bedenken habe er aus der Welt schaffen können, meint Hans Ohrt, der als Gutachter beim Brücken-Konsortium unter Vertrag steht:
"Es gibt eine starke Strömung hier. Seegraswälder gedeihen auf dem Meeresgrund und eine Menge Miesmuscheln. Wir haben ein artenreiches Vogelleben. Die größte Sorge war, dass die umfangreichen Grabungen die Strömung verändern und der Öresund somit versanden könnte. Auch durften wir die Vögel in der Brutzeit nicht stören. Und wir sorgten uns um eine Kolonie von Seehunden, die im Frühjahr von Rügen herüberwandert."
In Computer-Modellen wurden für viel Geld die schönsten Bautechniken entwickelt. Auch die andauernde Beobachtung von Pepparholmen ist ein Zugeständnis an die Umweltschützer. Fünf Jahre ist die Brücke in Betrieb und die befürchteten Umweltschäden sind weitestgehend ausgeblieben. Allerdings sehen die Fischereibehörden die Wanderungen der jungen Aale gefährdet. Der Streit wird vor Gericht ausgetragen. Dabei gibt es heute weitaus mehr Kleinstlebewesen im Öresund als vor dem Bau, versichert Hans Ohrt, der mit den Gedanken gerade woanders ist. Inmitten der Geröllhalde am Ufer hat er ein exotisches Wesen mit langen haarigen Beinen und acht Augen ausgemacht:
"Sie sollten aufpassen, wo sie Ihre Füße hinsetzen! Da drüben unter dem Stein sitzt die so genannte Landstreicher-Spinne aus Amerika. Die kann zubeißen, aber sie ist zum Glück nicht ganz so gefährlich wie sie aussieht. Wir haben einen Insektenexperten, der hilft uns bei der Inventur. Der war ganz schön verblüfft, als ihm das Tier hier über den Weg lief. Das ist ein hübsches Exemplar! (Stöhnt) Die hat es mit der Angst bekommen. Sie ist in den Untergrund gegangen."
Und so gräbt er noch eine ganze Weile nach seiner Spinne, der König von Pepparholmen. Und draußen über der See geht ganz langsam die Sonne unter.
Literatur: Thomas Steinfeld, Wallanders Landschaft, Eine Reise durch Schonen, Paul Zsolnay Verlag, Wien 2002
Über Jahrhunderte haben sich Dänen und Schweden bekriegt. Ihre Geschichte ist - sowohl dynastisch als auch politisch – nahezu unentwirrbar ineinander verflochten. Mal hat man zusammen, mal getrennt um die Vormacht im Ostseeraum gekämpft. Die Königshäuser sind verbandelt bis heute. Dänen und Schweden sind wie Brüder, die sich stets im Wettstreit miteinander befinden. Sie lieben und sie hassen sich.
Mit dem gemeinsamen Öresundprojekt haben Dänen und Schweden wieder einmal zueinander gefunden. Ingenieure beider Länder arbeiten heute auf der neu geschaffenen Brücke zusammen. Sie sorgen für den reibungslosen Betrieb der Anlagen, rütteln Bolzen und Schrauben, spähen nach schadhaften Kabeln und durch geschmorte Sicherungen.
Der Brückenbau-Ingenieur
"This piece can´t read through the window. You have a little window in the window. You have got no holder for it?"
Drama im Morgengrauen: die Schranke der Mautstation will einfach nicht aufklappen, die deutsche Kleinfamilie schaut etwas ratlos aus ihrem schmucken Mercedes heraus. Rettung naht in Gestalt von Kent Pedersen. Der kräftig gebaute Schone mit dem runden bärtigen Gesicht und den struppigen Haaren ist Techniker und muss als Kontrolleur auf der Öresundbrücke mit den großen und den kleinen Krisen fertig werden.
"You better go now, before the gate goes down again!”"
So früh am Morgen ist Kent Pedersen die Ruhe in Person. Noch ist der blecherne Lindwurm der Berufspendler nicht so richtig in Fahrt gekommen. Da bleibt Zeit für eine dampfende Tasse Kaffee in der windgeschützten Leitzentrale.
Die ist so voll gestellt mit Schaltpulten, Computern und Flachbildschirmen, dass man sich kaum drehen kann. Dutzende Kameras beäugen jeden Winkel des gewaltigen Bauwerks. Das verschafft Kent und seinen Kollegen Übersicht, wenn wieder einmal ein Tourist mitten auf der Brücke stehen bleibt, an das Geländer tritt und in Seelenruhe Fotos für das Poesiealbum knipst. Kent Pedersen kann das gut verstehen, die Brücke bringt auch ihn, den erfahrenen Techniker, nach all den Jahren immer noch zum Staunen.
""Sie ist ein Wunderwerk der Ingenieurskunst! Es war verdammt schwierig, die Gewichte zu berechnen. Das Metall dehnt sich im Sommer aus und zieht sich im Winter zusammen. Die Kabeltrosse kommen ins Schwingen, wenn der Wind geht oder Schnee darauf liegt. Aber wir haben alle diese Probleme in den Griff bekommen!"
Kent Pedersen lebt mit Frau und Tochter im winzigen Weiler Falsterbo, da wo Schweden zu Ende ist und das Meer beginnt. Kino, Einkaufen, Flanieren – dazu fährt er rüber nach Kopenhagen. Der Mann fühlt sich an beiden Ufern des Sunds zuhause.
"Mein Vater war Däne und hat sich sein Leben lang nach einer Brücke gesehnt.
Der konnte Boote nicht ausstehen. Meine Mutter ist Schwedin und war am Anfang nicht so begeistert. Die war damals bei den Fähren angestellt. Sie fürchtete schlicht um ihren Job. Aber wenn Sie mich fragen, dann wird uns die Brücke zueinander führen. Schonen hat doch Jahrhunderte lang zu Dänemark gehört. Wir haben viel dänisches Blut in uns."
Kent verstaut die Werkzeugkiste im Wagen und wirft sich seine gelb leuchtende Windjacke über die breiten Schultern. Höchste Zeit für die Inspektion.
Er muss hinauf auf einen der gewaltigen Pylone, die im Meeresgrund verankert sind und die Brücke in der Mitte stützen.
"Dort oben auf dem Pfeiler blitzen Signallichter, die anfliegende Flugzeuge vor der Brücke warnen sollen. Vom Boden aus kann ich nicht sehen, ob die Lichter noch alle in Ordnung sind. (Lacht) Nun schauen Sie mal nicht so ängstlich! Es gibt einen Lift nach oben."
Ohne Erlaubnis klettert niemand auf der Brücke herum. Die Vorschriften sind streng. Kent muss jeden seiner Schritte bei den wachsamen Kollegen anmelden.
Rasselnd setzt sich der stählerne Aufzug in Bewegung. Zwei Minuten dauert die Fahrt bis hinauf auf die Plattform an der Spitze des Brückenpfeilers.
Kent Pedersen ist angekommen, in seinem Adlerhorst inmitten der See:
200 Meter hoch über den dunklen Wassern des Öresunds lässt er sich den tosenden Wind um die Nase wehen.
"Es ist hundekalt und es bläst gewaltig! Aber ich liebe diese Aussicht! Du schaust über den ganzen Sund. Du siehst die Dächer von Malmö und Kopenhagen. Die Travemünde-Fähre sieht aus wie ein Spielzeugboot. Am liebsten komme ich am späten Abend hier rauf, wenn die Sonne unter geht. Das ist ein wunderbares Gefühl!"
In seinem Buch "Wallanders Landschaft - eine Reise durch Schonen", schildert Thomas Steinfeld von Dänemark kommend, seine Eindrücke von der südschwedischen Region am Öresund. Er sinniert über die Zeiten, als es die Öresundbrücke noch nicht gab, und berichtet von den Veränderungen, die der Brückenbau mit sich brachte:
"Die Straße senkt sich in das Meer. Über vier, fünf Kilometer verläuft ihr helles, zweispuriges Band durch den Schlick auf dem Grund des Öresund, der Meerenge zwischen Kopenhagen und Malmö. Kaum etwas, fast nichts hat der Reisende von der dänischen Hauptstadt gesehen, als er auf der Autobahn die weiten Salzwiesen durchquert hat, von eiligen Chauffeuren, die alle Geschwindigkeitsbegrenzungen dieses bei jeder anderen Gelegenheit so vorsichtigen und rücksichtsvollen Landes missachten, immer wieder gezwungen, die Fahrbahn zu wechseln. Im Norden schien sich für eine kurze Zeit, auf der anderen Seite eines weit gestreckten Brackwassers, die Silhouette einer großen Stadt abzuzeichnen, mit hohen Schornsteinen und einem Kirchturm, der wie eine spindelförmige Schnecke oder ein auf den Kopf gestelltes Blätterteighörnchen aussieht. Schließlich geht es in den Schlick hinunter, in den Tunnel hinein, immer tiefer, und wieder hinauf, auf die Brücke, so weit nach oben, dass es für einige Augenblicke ganz unsicher zu sein scheint, ob dieser Bogen auf der anderen Seite je wieder festen Boden berühren wird."
Eine Verbindung zwischen Schweden und Dänemark gab es freilich auch schon früher. Zahlreiche Fähren verbanden die Menschen diesseits und jenseits des Öresunds. Doch mit der Fertigstellung der 2,6 Milliarden teuren Öresundbrücke vor fünf Jahren ist alles viel einfacher geworden. 11.800 Fahrzeuge und 17.000 Bahnreisende rollen heute durchschnittlich pro Tag über die neue 16 Kilometer lange Brücke. Auch die Zahl der Berufspendler ist, trotz der deftigen Preise, enorm gestiegen.
In Malmö wohnen, in Kopenhagen arbeiten. In den Morgenstunden drängen sich die Menschen auf dem Bahnsteig der Station Malmö Süd. Wer hier in der Stoßzeit einsteigt, bekommt keinen Sitzplatz mehr. Denn spätestens seit Malmö Central sind alle Sitzplätze belegt. Schon immer war Kopenhagen das wissenschaftliche und wirtschaftliche Zentrum in der Öresundregion. Doch der Wohnraum dort ist knapp und teuer. Deshalb sind viele zu Pendlern geworden, wie zum Beispiel Elisabeth Jansson. Die junge Sängerin hat im neu gebauten Opernhaus von Kopenhagen ein Engagement.
Die Pendlerin
Eine helle Küche in einer Altbauwohnung mitten in Malmö. Elisabeth Jansson steht am Gasherd und setzt eine Kanne Kaffee auf. Seit zwei Jahren wohnt die junge Mezzo-sopranistin in Malmö - ein Engagement an der königlichen Oper von Kopenhagen hat die schlanke brünette Schwedin hergezogen. Dass sie sich auf der schwedischen Seite des Öresunds niedergelassen hat, hängt vor allem mit der Situation auf dem Wohnungsmarkt zusammen:
"Ich bin aus wirtschaftlichen Gründen nach Malmö gezogen. Hier sind die Wohnungen billiger als in Kopenhagen. Die Stadt ist nicht so laut und es gibt auch nicht so viele Abgase. Man kann überall Fahrrad fahren. In Kopenhagen ist dafür mehr los, es gibt mehr Kulturangebote, mehr Einkaufsmöglichkeiten."
Das Flair großer Städte hat Elisabeth bereits während ihrer Ausbildung reichlich genossen: Grundstudium am Richard-Strauss-Konservatorium in München, Hauptstudium an der Royal Academy of Music in London und an der Opernakademie in Kopenhagen. Sie hat mit jungen Köpfen aus allen Ecken der Welt zusammengearbeitet und weiß, was die verschiedenen Nationalitäten voneinander trennt. Und, dass sich auch Dänen und Schweden durchaus unterscheiden:
"Früher dachte ich, dass wir Skandinavier uns ziemlich ähnlich sind. Aber seit ich in Kopenhagen arbeite, merke ich, was uns unterscheidet. Die Dänen beherrschen die Kunst, das Leben zu genießen. Sie sind offen, entspannt und fröhlich. Wir Schweden sind etwas vorsichtiger, halten uns am liebsten an die Regeln. Vielleicht sind wir auch etwas feige, weil wir uns nie zu weit aus dem Fenster hängen wollen, Angst vor Konflikten haben."
Im einem weißen Schränkchen im Wohnzimmer verwahrt Elisabeth Jansson ihre Schätze. Eine Sammlung von ungeordneten CD:s, wie sie selber bekennt, während sie mehrere Stapel Musik-CD:s herauszieht. Carmen ist darunter, eine der wenigen Rollen, bei denen eine Mezzosopranistin die Hauptrolle neben einem Tenor singt. Und Barockmusik, Ariodante von Händel, eine Koloraturarie, an die sie sich selbst gern einmal heranwagen würde:
"Sie ist so rhythmisch und melodiös - eine Herausforderung für den ganzen Körper. Eines meiner Ziele ist, mich in die Barockmusik zu vertiefen und mehr Händel zu singen. Es gibt eine Reinheit in dieser Musik, die mich anspricht."
Auf dem Weg zu ihrem Arbeitsplatz, in die Oper nach Kopenhagen, ist es nicht Barockmusik, sondern ihre Rolle in der Operette ”die Fledermaus”, in die sich Elisabeth Jansson vertiefen muss. Die Züge zwischen Malmö und Kopenhagen gehen tagsüber alle 20 Minuten, zweimal täglich passiert die 30-Jährige den Sund. Ausgerüstet mit einem Kaffee, einer Zimtschnecke und einer Zeitung vor der Nase, vergeht die halbe Stunde wie im Fluge.
"Ich fahre gern rüber, genieße den Blick aufs Wasser und die Küstenlinie, auf den Horizont und dann kommt diese künstliche Insel, die wir gerade passieren. Da gab es vorher nichts und jetzt haben sich Pflanzen angesiedelt und Blumen. Oft summe ich meine Stimme im Kopf vor mich hin. Manchmal bekomme ich komische Blicke, wenn ich etwas zu laut gesummt habe."
Ihr Ziel ist ein mächtiger heller Quader aus Kalkstein mit parallelen Fensterschlitzen, gegenüber von Schloss Amalienborg. Eingeweiht wurde die Oper Anfang des Jahres. Mit dem 300 Millionen Euro teuren Bau hat sich der dänische Reeder Maersk Mc-Kinney ein Denkmal gesetzt. Er ist aber auch Ausdruck für den neuen Bauboom, der die Hauptstadtregion erfasst hat. Zwischen Flughafen und Innenstadt entsteht die Örestad, ein neuer Stadtteil, in dem künftig rund 60.000 Menschen leben und arbeiten werden. Aber nicht nur aus Dänemark, auch aus Schweden kommen die Gäste. Zudem arbeiten die Orchester beiderseits des Sundes immer wieder zusammen, erzählt der musikalische Leiter der Oper, Michael Schønwandt:
"Wir machen Brückenprojekte, d.h. die Orchester in Kopenhagen und in Südschweden - Helsingborg, Malmö - gestalten gemeinsame Projekte. Durch die Brücke und die Möglichkeiten, die wir jetzt haben, um von einem Platz zu einem anderen zu fahren, wird es bestimmt in Zukunft so sein, dass wir viel mehr aufeinander zugehen."
Für Elisabeth Jansson ist der dänisch-schwedische Alltag schon jetzt Wirklichkeit. Mit dem Fahrstuhl fährt sie hinauf in den zweiten Stock, zu ihrer Garderobe. Ein paar Ziffern eintippen und wie von Geisterhand öffnet sich die Tür zum kleinen hellen Zimmerchen mit Spiegelwand, Sofa und Minibad. Zwei Etagen höher liegen die Probenräume. Elisabeth schlägt ihr Notenbuch auf und legt die Stimmgabel bereit:
Ensemble und Couplet Nr. 8 steht über dem Notenblatt, der Beginn einer Arie aus dem 2. Akt der Fledermaus, die sich Elisabeth gleich vornehmen wird. Ende des Jahres ist Premiere, die Mezzosopranistin schlüpft dann in die Rolle des arroganten Prinzen Orlowski, und zwar auf Dänisch:
"Ich spreche dänisch, aber hausgemacht. Dänisch und Schwedisch sind sich so ähnlich, deshalb habe ich keinen Sprachkurs besucht. Ich versuche es einfach und die Leute verstehen mich, auch, wenn ich manchmal richtig daneben liege. Wenn ich auf Dänisch singe, muss ich die Aussprache allerdings vorher klären. Die Fledermaus kenne ich nur auf Deutsch. Aber das ist Gewöhnungssache."
Fähren verbinden, Brücken vereinen, heißt ein Sprichwort. Am Öresund soll zusammenwachsen, was zusammen gehört. Eine ganze Region träumt vom gemeinsamen Aufbruch, von offenen Grenzen und vom fruchtbaren Austausch der Ideen. Das lässt beinahe vergessen, mit welcher Schärfe die Regierungen der beiden Brudervölker regelmäßig aneinander geraten. Jahrelang war das Kernkraftwerk Barsebäck auf der schwedischen Seite des Sunds, gegenüber von Kopenhagen, der Stein des Anstoßes. In diesem Jahr wurde es nun endlich stillgelegt. Auch empört sich Stockholm über den harten Kurs des dänischen Premiers Anders Fogh Rasmussen in der Ausländerpolitik. Denn wer mit seinem ausländischen Ehepartner nach Kopenhagen ziehen will, muss strenge Auflagen erfüllen: muss Vermögen haben, Job und Wohnung, und muss nachweisen, dass die gemeinsame Beziehung zu Dänemark größer ist als zum Herkunftsland des Partners. Erfüllt man diese Auflagen, so gibt es eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung jedoch erst nach sieben Jahren.
Vom Image Dänemarks als tolerantem und offenem Land ist deshalb, aufgrund der scharfen Ausländergesetze, nur noch wenig übrig geblieben. Streitbare Dänen wie der Filmemacher Lars von Trier, aber auch Wirtschaftsbosse und selbst das dänische Königshaus warnen inzwischen vor der fatalen Neigung, sich fremden Kulturen gegenüber abzuschotten. Die dänisch-schwedische Organisation "Äktenskap utan Gränser", zu Deutsch: Ehe ohne Grenzen, rät betroffenen Liebespaaren und Familien gar zur Flucht nach Schweden. Hunderte sind inzwischen diesem Ruf gefolgt. So sind die Dänen in Malmö mittlerweile zur fünftgrößten Ausländergruppe geworden, und zu jener, die am raschesten wächst.
Die Flüchtlinge
Bei "Harry´s" am Stortorget im Herzen von Malmö geht es zünftig zu. Die Kneipe ist im Stil eines englischen Pubs eingerichtet: Teppiche, Holzbalken und rustikale Bänke sorgen für Gemütlichkeit. Aus den Zapfhähnen der chromblitzenden Theke fließt rabenschwarzes Guinnes-Bier.
Nanna und Leigh Friend sitzen draußen in Decken gehüllt auf der Terrasse und genießen den Feierabend. Die beiden sind ein schönes Paar: Der athletische Neuseeländer sah die gertenschlanke Dänin an einem Sommermorgen zur Tür hereinkommen – und war sogleich entflammt:
"Das war in der Morgenschicht. Wir beide haben als Kellner in einem Hotel in London geschuftet. Sie kam mit ihrer Freundin herein. Und ich dachte nur: Mein Gott, was für eine großartige Frau! Sie ist wirklich ein ganzes Stück länger als ich! (Lacht) Am Anfang habe ich gar nicht gewusst, dass sie aus Dänemark stammt. Das habe ich mir erst später zusammengereimt."
Sieben Jahre sind vergangen, seit jener Begegnung am Frühstücks-Buffet. Die beiden sind inzwischen ein Ehepaar, doch ihre Zuneigung füreinander hat sie viel Nerven gekostet. Leigh konnte damals in London nicht ahnen, dass seine Liebe zur Dänin gegen ein halbes Dutzend Gesetze verstößt. Und Nanna hätte nie gedacht, dass sie einmal die Koffer packen und mit ihrem Liebsten ins Exil gehen müsste.
"Die dänischen Ausländergesetze wurden im Herbst 2003 noch einmal verschärft. Wer mit seinem ausländischen Partner zusammen leben will, muss verheiratet und mindestens 24 Jahre alt sein, er muss eine eigene Wohnung nachweisen und überdies eine Bürgschaft von 50 000 Kronen bei der Bank hinterlegen. Das sind die Regeln. Und wir hatten keine Chance. Denn wir hausten im Studentenwohnheim und an den Kauf einer Wohnung ist nicht einmal zu denken, wenn Du obendrein auch noch mit so einer Summe bürgen sollst."
Verbotene Liebe im Staate Dänemark. Dabei zielen die strengen Auflagen bei der Zuwanderung im Grunde gar nicht auf gut situierte Leute wie Nanna und Leigh.
Nach offizieller Lesart soll das Gesetzespaket in erster Linie Einwanderer-Frauen vor Zwangsehen im Kindesalter bewahren.
Doch solche zur Schau getragene Fürsorge ist allenfalls die halbe Wahrheit. Die rechtsliberale Regierung ist im Februar diesen Jahres auch deshalb wiedergewählt worden, weil sie im Wahlkampf versprochen hatte, die Zuwanderung nach Dänemark um beinahe jeden Preis zu begrenzen.
"Auf gewisse Weise leben wir Dänen immer noch in einer offenen Gesellschaft. Zum Beispiel sind wir das erste Land überhaupt, das die Homo-Ehe von Lesben und Schwulen erlaubt. Aber nach den Anschlägen in New York und London ist die Stimmung verhärtet. Auch in Dänemark gibt es rückständige Eiferer. Und es gibt eine kleine Gruppe von Zugewanderten, die seit 10 oder 20 Jahren im Land leben und noch immer kein einziges Wort Dänisch sprechen. Als kleine Nation sind wir sehr stolz auf unsere Sprache. Wir wollen, dass sich die Leute anpassen."
Anpassung bis zur Selbstaufgabe. Wie so viele andere Paare in ähnlicher Lage fanden Nanna und Leigh am Ende in Schweden Zuflucht. Weil hier die europäischen Regeln zur Freizügigkeit uneingeschränkt gelten, konnte Leigh als Ehepartner relativ problemlos eine Arbeits- und Aufenthaltsgenehmigung beantragen. Im beschaulichen Malmö fühle er sich endlich geborgen, meint er. Und doch ließen ihn auch die Schweden bisweilen spüren, dass er nicht richtig dazugehört. Leigh, der in Neuseeland eine Ausbildung zum Fotografen abgeschlossen hat, muss sich immer noch mit Kellnern über Wasser halten.
"Ich habe einen Sprachkurs gemacht, als wir hier in Schweden ankamen. Aber wegen der Arbeit musste ich das aufgeben. Seitdem bin ich nicht viel weiter gekommen. Auch deshalb weil sich in der Kneipe alle auf Englisch unterhalten. Und so halten wir es auch zuhause."
Und so sind sie beide Wanderer zwischen den Welten. Nanna fährt jeden Morgen über die Brücke nach Kopenhagen, wo sie als Juristin bei einer großen Versicherung gutes Geld verdient. Leigh träumt bisweilen von den sanften Hügeln Neuseelands und den Freunden in Hamilton. Sie haben sich eingerichtet auf ihrer Seite des Sunds. Es könnte schlimmer sein – aber auch so viel einfacher!
Kleiner Bruder, großer Bruder? Im Mittelalter gab es keinen Zweifel, welches der beiden Länder das Sagen hatte. Dänemark war eine europäische arktische Großmacht. Das Reich erstreckte sich von den eisigen Gestaden Grönlands und Islands bis tief hinunter nach Holstein und umfasste weite Teile Südschwedens. Dänische Lehnsherren plagten hungernde Bauern, ihre Kaufleute starteten vom Öresund aus Expeditionen in ferne Kolonien. Das politische Zentrum dieses Imperiums war Kopenhagen – schon damals eine blühende Metropole. Im Schloss Christiansborg regierten die Könige, der Bischof hatte seinen Sitz auf der anderen Seite des Sundes in der Domstadt Lund. Erst im 17. Jahrhundert erwachte der schwedische Nationalstolz. Die Ufer am Öresund wurden zum Schauplatz grausamer Kriege.
Kopenhagen hat auch in Zeiten der Globalisierung seinen Spitzenplatz verteidigt. Internationale Konzerne haben das Marktpotenzial der Öresundregion früh erkannt. Bereits vor der Fertigstellung der Brücke, 1997, lagen sieben nordische Hauptquartiere von Multis am Öresund. Jetzt sind es 26. Firmen wie Nestle, Ferring, Gilette, Masterfood und DaimlerChrysler haben ihre skandinavischen Niederlassungen hier hin verlegt.
Und auch wer moderne Architektur bestaunen will, ist am Öresund richtig. Im Januar wurde das klotzige neue Opernhaus von Kopenhagen eingeweiht. Und mit der Örestad wächst in der dänischen Hauptstadt ein gigantisches Wohnviertel aus dem Boden - mit spiegelnden Einkaufstempeln und futuristischen U-Bahnstationen.
Doch auch die schwedische Seite lässt sich nicht lumpen. Im westlichen Hafen von Malmö, in Västra Hamnen, entsteht gerade ebenfalls ein modernes Wohnviertel. In seiner Mitte ragt das neue Wahrzeichen der Stadt, der faszinierende Wolkenkratzer Turning Torso wie ein Symbol der riesigen unerfüllten Erwartungen in die Höhe – ein futuristischer Wohnturm mit bestem Blick und allem Luxus.
Der Consierge
Am Fuße des Turning Torso legen Bauarbeiter letzte Hand an. 190 Meter ragt der weiße Wohnriese in die Luft, dreht sich um die eigene Achse wie ein Mensch, der gerade zu einem Baseballschlag ausholt. Seine Wirbelsäule ist der Fahrstuhlschacht, in dem die Bewohner in Windeseile in luftige Höhen sausen: 54 Stockwerke in wenig mehr als einer halben Minute.
Oben lockt die kilometerweite Aussicht über den Sund. An der breiten Panoramafront drücken sich die staunenden Besucher die Nasen platt und lassen die Blicke schweifen: über Segelboote, Dampfer und die gewaltige Brücke, plötzlich so klein wie eine grazile Konstruktion aus der Welt der Spielzeugeisenbahnen. In weiter Ferne so nah die Dächer Kopenhagens in der Abendsonne.
Mitten durchs Gewühl läuft Janne Andersson: gepflegter grauer Vollbart, Zylinder, Frack. Dezent hält sich der 55-jährige Concièrge im Hintergrund, beobachtet die Szene, immer bereit, sofort zu Hilfe zu eilen. Er ist Ansprechpartner für die verwöhnten Mieter aus den 147 Luxus-Appartments.
"Wir wollen den Menschen vor allem zu einem angenehmen Wohnen verhelfen. Wir bringen ihnen Essen auf den Tisch oder richten ihre Feste aus. Es können aber auch so alltägliche Aufgaben sein wie die Terminabsprache mit dem Frisör oder dem Arzt. Wir helfen auch alten Damen dabei, den Müll runter zu tragen."
Im Turning Torso zu wohnen ist eine Frage des Lebensstils, sagt Andersson. Im 43. Stockwerk können die gestressten Grosstadtmenschen in der Sauna schwitzen. Im schattigen Keller ist Platz für die edlen Weine der Bewohner. Ein Angebot, das seinen Preis hat: 750 bis 3000 Euro kosten die Wohnungen im Monat, von der schattigen Einzimmerwohnung bis zur 200-Quadratmeter-Suite unter den Wolken. Für den gemütlichen Butler ist der Job die Erfüllung eines Kindertraums:
"Seit ich klein war, habe ich davon geträumt, ein Hotel zu besitzen, am liebsten ein Familienhotel, wo alle mit anpacken, von der Wäsche bis zum persönlichen Service. Jetzt habe ich ein Art großes Hotel bekommen, nur mit dem Unterschied, dass die Gäste länger bleiben."
Dass es soweit kommen konnte, ist fast ein kleines Wunder. Denn der Plan der Wohnungsbaugesellschaft HSB, die Appartements zu verkaufen, schlug fehl. Die Baukosten schraubten sich in astronomische Höhen. Doch Schönes hat eben seinen Preis, weiß Santiago Calatrava. Der 54-jährige Star-Architekt aus Spanien wollte eigentlich die Brücke bauen. Dann wurde der Turning Torso daraus. 180 Millionen teuer und heute das höchste Wohnhaus Europas. Das Aderwerk von Blättern, Tiere und rätselhafte Fabelwesen standen Modell für seine Entwürfe:
"Ich finde, dass die Natur ist sicher unsere Mutter und unsere Lehrerin, dass wir Teil der Natur sind und in der Natur eingebettet leben sollen. Und insofern ist es schön auf eine empirische Art die Natur nachzuahmen, aber auch sie nachzuahmen mit Seele und Herz."
Noch ist die Umgebung im Schatten des Wolkenkratzers nicht sehr ansehnlich. Im alten Westhafen Malmös, in dem einst mächtige Schiffe vom Stapel liefen und rostige Kräne rotierten, wird zur Zeit an jeder Ecke gebaut. Aus einer modernen Wohngegend soll der Turning Torso dann so herausragen, wie einst der gewaltige Kran der Kockumswerft. Das frühere Wahrzeichen der Stadt ist längst nach Asien verschifft. In den guten Zeiten der Werft hat Janne hat hier oft seinen Vater besucht:
"Er war Stahlarbeiter und hat Schiffsrümpfe gegossen. Hier auf dem Gelände wurden Bleche und Eisen bearbeitet. Dann gab es die Docks mit den gewaltigen Kränen, einen Höllenlärm und eine Mordshitze. Hier brannten viele offene Feuer und der Boden war schlammig. Überall wuselten Menschen herum und es gab ein Labyrinth von Zugverbindungen. Hier haben eine ganze Menge Leute gearbeitet."
Janne Andersson ist stolz, dass auch er heute wieder hier arbeitet. Der Turning Torso ist für ihn ein Symbol des Wandels von Malmö: Vom Industriestandort zur modernen Dienstleistungsmetropole. Vor allem das sprudelnde Leben in Malmö und Kopenhagen macht für ihn den Reiz aus. Der Flaneur schätzt die Nähe zu den Delikatessenläden in der dänischen Hauptstadt und fährt gerne ans andere Ufer, um Freunde zu treffen oder auszugehen.
"Es fühlt sich an wie die gleiche Stadt, weil es nicht so viel Zeit braucht, rüber zu kommen. Früher hat man in der Schlange gestanden, um eine Fahrkarte für die Fähre zu kaufen. Dann hat es geschneit und es war kalt. Man musste warten. Jetzt kann man den Zug oder das Auto nehmen, wann man will, einfach und bequem."
Am Abend sitzt Janne gern in seinem italienischen Lieblingsrestaurant an der Strandpromenade und lauscht dort dem Stimmengewirr aus Dänisch und Schwedisch. Oder er zieht sich in seine Wohnung zurück, am liebsten mit einem guten Whiskey und einem Westernfilm. Was für ihn ein guter Tag ist? Wenn man viele Leute getroffen und Probleme gelöst hat und man abends müde ist, wenn man nach Hause kommt, sagt Janne.
Wie jedes große Menschenwerk war auch der Bau der Öresundbrücke nicht ganz unumstritten. Umweltschützer auf beiden Seiten des Meeres liefen Sturm gegen das Vorhaben. Sie sorgten sich um den Lebensraum von Robben und Aalen. Inzwischen haben sich die Wogen geglättet. Kompromisse wurden geschlossen. Wie es der Umwelt tatsächlich geht, wird regelmäßig unter die Lupe genommen. Zum Beispiel auf der künstlichen Insel Pepparholmen, die auf der Hälfte der Strecke liegt.
Herr auf Pepparholmen, und so zu sagen das grüne Gewissen der Brücken-Investoren, ist ein schmaler drahtiger Däne um die 50, der schon als Kind im Garten herumschlich und mit der Lupe auf Spinnenjagd ging. Er lebt in einem alten Bauernhof im Norden von Seeland, züchtet zottelige Island-Pferde in der Freizeit und hat den wohl ungewöhnlichsten Arbeitsplatz auf diesem Erdenrund, den man überhaupt nur haben kann.
Der Umweltschützer
Expedition zur Insel Pepparholmen. Das karge Eiland wird nur von einigen besonders robusten Tieren und Pflanzen bevölkert. Der Meeresbiologe Hans Ohrt kommt gelegentlich vorbei, allein schon um die Aussicht zu genießen:
"Die Insel liegt streng genommen auf der dänischen Seite des Öresunds.
Wir haben einen sehr schönen Blick auf die Brücke und ihre Pfeiler, die schier endlos gen Himmel streben. Dort im Norden liegt Malmö mit dem Wolkenkratzer Turning Torso. Weiter hinten im Dunst lässt sich das Atomkraftwerk Barsebäck erahnen. Und in dieser Richtung kommen die Windmühlen vor Kopenhagen in Sicht."
Pepparholmen ist ein Kunstprodukt der Ingenieure. Die gerade einmal vier Kilometer lange Insel wurde aus Tausenden Kubikmetern Gestein und Sediment vom Meeresgrund erschaffen. Der Abraum war bei den Grabungen für die Fundamente der Brückenpfeiler angefallen. Ganz bewusst werden weder Büsche noch Bäume gepflanzt. Die Arten sollen sich ihre unwirtliche Heimat selbst erobern.
"Am Anfang gab es kein Leben, nichts. Es war wie auf einer Vulkaninsel, die aus dem Meer aufsteigt. Es gab nur reichlich Salz und Kalk und es war ungeheuer trocken. Alles musste neu beginnen. Es ist ein Natur-Experiment. Und es ist gelungen! Wir zählen heute 400 Pflanzen- und 15 Vogelarten. Es gibt allerhand Insekten und sogar Raubtiere wie die grün gefleckte Kröte. Die mag ungestörte Buchten mit stillen Wassern. Und die haben wir hier auf Pepparholm."
Besonders liebreizend ist die Insel nicht. Hier kommt der Tunnel ans Tageslicht und die Brücke beginnt. Alle paar Minuten brausen die Schnellzüge aus Malmö und Kopenhagen vorbei.
Hans Ohrt stapft mit Gummistiefeln durch einen schilff-bewachsenen Wassergraben. Wir sind im Revier der grün gefleckten Kröte. Der Biologe späht vergebens unter Blättern und Runken. Die Lurche ziehen es vor, unerkannt zu bleiben:
"Ich bin aufgewachsen auf der Insel Seeland. Im Sommer haben wir ganze Tage am Meer zugebracht, oder in den Wäldern. Ich brauche die See, kann nicht anderswo leben. Uns Dänen zieht es nach Feierabend hinaus in die Natur. Das ist bei den Schweden drüben nicht anders. Umweltschäden und Abfälle sind uns ein Graus!"
Entsprechend groß waren die anfänglichen Proteste gegen den Bau der Öresundbrücke. Vor allem die Sorge um das empfindliche und flache Meer trieb viele Bewohner der Öresundregion auf die Barrikaden. Die meisten Bedenken habe er aus der Welt schaffen können, meint Hans Ohrt, der als Gutachter beim Brücken-Konsortium unter Vertrag steht:
"Es gibt eine starke Strömung hier. Seegraswälder gedeihen auf dem Meeresgrund und eine Menge Miesmuscheln. Wir haben ein artenreiches Vogelleben. Die größte Sorge war, dass die umfangreichen Grabungen die Strömung verändern und der Öresund somit versanden könnte. Auch durften wir die Vögel in der Brutzeit nicht stören. Und wir sorgten uns um eine Kolonie von Seehunden, die im Frühjahr von Rügen herüberwandert."
In Computer-Modellen wurden für viel Geld die schönsten Bautechniken entwickelt. Auch die andauernde Beobachtung von Pepparholmen ist ein Zugeständnis an die Umweltschützer. Fünf Jahre ist die Brücke in Betrieb und die befürchteten Umweltschäden sind weitestgehend ausgeblieben. Allerdings sehen die Fischereibehörden die Wanderungen der jungen Aale gefährdet. Der Streit wird vor Gericht ausgetragen. Dabei gibt es heute weitaus mehr Kleinstlebewesen im Öresund als vor dem Bau, versichert Hans Ohrt, der mit den Gedanken gerade woanders ist. Inmitten der Geröllhalde am Ufer hat er ein exotisches Wesen mit langen haarigen Beinen und acht Augen ausgemacht:
"Sie sollten aufpassen, wo sie Ihre Füße hinsetzen! Da drüben unter dem Stein sitzt die so genannte Landstreicher-Spinne aus Amerika. Die kann zubeißen, aber sie ist zum Glück nicht ganz so gefährlich wie sie aussieht. Wir haben einen Insektenexperten, der hilft uns bei der Inventur. Der war ganz schön verblüfft, als ihm das Tier hier über den Weg lief. Das ist ein hübsches Exemplar! (Stöhnt) Die hat es mit der Angst bekommen. Sie ist in den Untergrund gegangen."
Und so gräbt er noch eine ganze Weile nach seiner Spinne, der König von Pepparholmen. Und draußen über der See geht ganz langsam die Sonne unter.
Literatur: Thomas Steinfeld, Wallanders Landschaft, Eine Reise durch Schonen, Paul Zsolnay Verlag, Wien 2002