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Mammutprojekt über die Liebe

"Die Wissenschaft und die Liebe", so hieß ein Abend der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Auf drei Etagen wurde den Besuchern rund um das Thema Zahlreiches geboten: Philosophisches, Gedichte, Liebeserzählungen aus drei Jahrhunderten und Ethnologenvorträge.

Von Frank Hessenland |
    Es ist das Phänomen, das Friedrich Hölderlin als Erster beschrieben hat: Die wahre Liebe beginnt da, wo sich unter Millionen von Apfelhälften, die in einem See getrennt voneinander umherschwimmen, die einzigen zwei finden, die genau zueinanderpassen. Ernst genommen, beschreibt das romantische Bild des unerfüllt in die Bankiersgattin Susette Gontard verliebten Hölderlin das Dilemma des modernen Singles der Gegenwart in westlichen Gesellschaften. Stets auf der Suche stellt er fest, dass er seine andere Hälfte nicht findet und die Suche immer schwerer wird, wie Günter Stock, Gastgeber des Abends, Präsident der Akademie der Wissenschaften und Kopf des Forschungsprojektes "Zukunft mit Kindern" beschreibt.

    "Wer es mit 20 Jahren nicht schafft und mit 30 bis 35 einen Partner sucht, der wird merken, dass die Schwelle schon höher ist. Wir haben es in einer Untersuchung festgehalten, wo es um die Zukunft mit Kindern geht und da ist die Entscheidung für ein Kind gar nicht so sehr von finanziellen Überlegungen abhängig, sondern davon, ob man den richtigen Partner findet. Und viele Singles finden nicht den richtigen Partner."

    Keine Liebe – keine Kinder, sagt sich der deutsche Single und kriegt keine. Die Lösung des Dilemmas der wahren Liebe sucht er mittlerweile im Internet. Millionen Menschen sind derzeit in Partnerschaftsbörsen angemeldet, hat die Ethnologin Julie Dombrowski recherchiert.

    "Wie wählt man nun eigentlich unter den zwei Millionen Börsenmitgliedern den richtigen aus? Börsen, die Partnervorschläge als Dienstleistung offerieren, geben auf diese Frage eine simple, aber aus ethnologischer Sicht extrem interessante Antwort. Den richtigen Partner findet man mithilfe der Wissenschaft."

    Passende Partner werden also nun scheinbar errechnet und nicht mehr erfühlt. Der Glaube an die göttliche Fügung weicht dem an computergesteuerte Algorithmen, was einerseits einen Zeitgewinn verspricht.

    "Online Dater können nun scheinbar das für sie beste ökonomische und psychologische Geschäft machen."

    Andererseits aber auch die Bindungslosigkeit verstärkt:

    "Wir erinnern uns, es können bis zu 3,7 Millionen Dater online sein… Wenn Ihnen der Herr nicht zusagt, gehen Sie einfach auf das nächste Profil."

    Die Wahrscheinlichkeit einer langjährigen Beziehung steigt übrigens mit dem Glauben an Richtigkeit des Systems, an das sich die Suchenden verschrieben haben. Dabei ist es nicht so wichtig, ob dies die bei indischen arrangierten Ehen bemühte Astrologie, die Algorithmen der Paarbörsen oder jüdische Kabbalistik ist, welche den Grund der Ehe "fundieren", sagt Christiane Brosius, Ethnologin aus Heidelberg – Hauptsache der Grund ist nicht nur das Gefühl.

    "Es wird davon ausgegangen, dass es eine gewisse Reziprozität geben muss und die wird von externen Experten bestimmt und die sind bei den Datingbörsen die Psychologen und in Indien sind das die Eltern oder die Astrologen. Die Tatsache, dass man letztendlich Angst hat, selber Entscheidungen zu fällen, die man dann auch aussitzen muss, wenn man die Verantwortung anderen übergibt, Experten Psychologen oder den Eltern sitzt man ein bisschen fester im Sattel. Und ich glaube, dass wir einem ähnlichen Risikofaktor hier im Westen unterworfen sind. Einer Angst letztendlich dann doch falsche Entscheidungen zu treffen, einer Angst der Wissenschaft eigentlich unser Vertrauen geben und dann machen wir es schon richtig und die Liebe kommt dann wahrscheinlich doch irgendwie."

    Der Gedanke, dass die Liebe doch irgendwie kommt, wenn eine Reihe von Faktoren stimmen, ist übrigens auch in arabischen Ländern überaus populär, berichtet der Ethnologe Steffen Strohmeyer. Dort spielt sich Liebe nicht als Folge Beziehungskisten ab, sondern als monatelanges inneres Schwärmen für jemand, mit dem man nie allein ein Wort gewechselt hat. Bis es zur Heirat kommt, muss ein jahrelanger, entnervender Familienprozess durchlaufen werden. Das Schwärmen gilt eher als sehr schöne, merkwürdige Krankheit, von der jeder befallen wird.

    "Allgemein wird das gepriesen, dass es nicht gut ist, sich zu verlieben, weil, das wurde mir gesagt, ja weißt du, wenn du verliebt bist, das ist so als wärst du betrunken und machst dann einen Vertrag, dann bist du nicht nüchtern, du kannst nicht klar denken, deine Gefühle sind nicht vernünftig."

    Der Abend "Die Wissenschaft und die Liebe" in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften war ein Mammutprojekt, das für seine 2000 Besucher auf drei Stockwerken vieles bot: Philosophisches, Gedichte, Liebeserzählungen aus drei Jahrhunderten und Ethnologenvorträge: Ohne Liebe, so ließe sich zusammenfassen, ginge es besser - wenn es ohne ginge - was es meist nicht tut.