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"Man erreicht eine Dichte, die den Zuschauer stärker mit hineinnimmt"

Der Film war mutig und funktioniert, sagt Michael Rutz, Chefredakteur des Rheinischen Merkur und selbst Autor eines Dokumentarfilms über Helmut Kohl, über die Darstellung des Altkanzlers in einem Spielfilm: "Das ist eine emotionale Dichte, bei der es einem einen Schauer über den Rücken jagt."

Michael Rutz im Gespräch mit Bettina Klein | 21.10.2009
    "Ich geh' da jetzt raus und spreche als Mann aus dem Volk, als der Mann aus Oggersheim. Das war schon immer meine Stärke."

    "Was auch passiert, später wird man es mit Deinem Namen in Verbindung bringen. Es wäre merkwürdig, wenn Du keine Angst hättest."

    "Ich habe eigentlich gar keine Angst. Ist mir nicht mitgegeben."

    Bettina Klein: Der Schauspieler Thomas Thieme gestern Abend in der Rolle von Helmut Kohl in einem Porträt, das das ZDF ausgestrahlt hat, relativ ungewöhnlich mit eingeschnittenen Dokumentarszenen, wie wir das aus anderen Themenbereichen bereits kennen, aber diesen Kohl auf diese Art und Weise dargestellt zu sehen, das war sicherlich nicht ganz gewöhnlich. Ich möchte darüber jetzt sprechen mit Michael Rutz, Chefredakteur des Rheinischen Merkur. Er war und ist selbst Autor eines Dokumentarfilmes über den Altkanzler. Guten Morgen, Herr Rutz.

    Michael Rutz: Guten Morgen, Frau Klein.

    Klein: Da spielt ein Mann, der definitiv nicht Pfälzer ist, nicht Pfälzer Dialekt spricht, sondern leicht Sächsisch. War das jetzt mutig, oder gewagt, oder ein Beitrag zur deutschen Vereinigung? Hat das funktioniert für Sie?

    Rutz: Ich würde sagen, erstens es hat funktioniert, zweitens es war trotzdem ein bisschen mutig. Ich musste mich am Anfang des Filmes gerade bei den inneren Monologen, wo der O-Ton dieses Nachdenken den Bildern unterlegt ist, erst daran gewöhnen, dass das nicht Hans-Dietrich Genscher ist, der da spricht, sondern Helmut Kohl.

    Klein: ... , der Hallenser Dialekt spricht.

    Rutz: Ja. Wenn man das dann abzieht, muss man sagen, dass der Film doch eine mögliche Darstellungsform ist.

    Klein: Hat dieser Film den bisherigen Erkenntnissen über Helmut Kohl etwas Substanzielles hinzugefügt?

    Rutz: Das hat er nicht. Alles das, was in diesem Film an Fakten ausgebreitet wird, in den inneren Monologen, aber auch in den Dialogen, also im Drehbuch, alles das ist bekannt. Das hat Helmut Kohl vielfach erzählt, auch in den mehrtägigen Interviews, die er damals mit mir gemacht hat, aber auch vor allem in seinen eigenen Erinnerungen steht das alles detailgenau drin. Insofern gab es nichts Neues. Was neu daran ist, dass man eine dramaturgische Darstellung versucht hat, dort, wo bisher nur das Interview und das Gespräch mit dem, der das alles selber verursacht hat, möglich war.

    Klein: Sie haben ja selbst vor einigen Jahren mit einem Kollegen zusammen eine Dokumentation gedreht. Dies war nun Spielfilmformat. Was kann man auf dieser fiktiven Ebene vielleicht doch abbilden, was sich einer Dokumentation entzieht?

    Rutz: Ich denke, dass es manche Augenblicke gibt, die in einer solchen dramaturgischen Darstellung eine Dichte erreichen, die den Zuschauer stärker mit hineinnimmt, als wenn man darüber nur erzählt, oder einen bestimmten Vorgang im Interview, im Gespräch bespricht. Ich denke, dass das in verschiedenen Sequenzen gelungen ist. Ich denke da an den Parteitag in Bremen beispielsweise, der ja sehr emotional dicht für Helmut Kohl gewesen ist.

    Klein: September '89, als er gestürzt werden sollte.

    Rutz: Ja, genau. '89, als er gestürzt werden sollte. Und mitten in diese Absicht hinein, dass Lothar Späth gegen ihn kandidierte, platzte dann die Nachricht von der Öffnung der ungarischen Grenze für die DDR-Bürger, die dort campierten, was Helmut Kohl dann dort in Bremen vor jedenfalls einer schwierigen politischen Auseinandersetzung gerettet hat. Ob es eine Niederlage geworden wäre, kann man nicht sagen. Das andere ist die Szene dann auch vor der Dresdener Rede. Daraus haben Sie gerade einen O-Ton gespielt. Das sind dann schon so emotionale Dichten, wo einem dann schon ein kleiner Schauer über den Rücken läuft, auch wenn man den Vorgang selber kennt.

    Klein: Der Schauspieler Thomas Thieme, der Kohl gestern Abend dargestellt hat, hat bei uns im Interview gestern hier im Deutschlandfunk gesagt, es war auch diese Art von Sensibilität, auch von Einsamkeit, die man vielleicht nicht auf den ersten Blick immer mit Helmut Kohl verbunden hat, die ihn gereizt habe an dieser Figur und auch an der Darstellung. Ist das etwas, das Ihnen bei Helmut Kohl als Person begegnet ist?

    Rutz: Auf jeden Fall. Helmut Kohl ist außerordentlich sensibel. Er denkt darüber auch oft nach. Er hat mir mal gesagt, mein Problem ist, dass ich manchmal, wenn ich in einen Raum komme, durch meine schiere Körpergröße den Leuten wie eine Dampfwalze vorkomme, dabei meine ich das gar nicht so. Er hat schon eine sehr sensible Seite immer gehabt und natürlich ist die Einsamkeit eines Kanzlers, der in dieser Position ja letztlich alle Entscheidungen am Ende selber treffen muss, schon recht groß. Dass die Einsamkeit so groß sein würde an dieser Stelle, damit hatte er zu Beginn seiner politischen Karriere in Bonn nicht gerechnet.

    Klein: Der Film gestern endete vor der Spendenaffäre und jenen unrühmlichen Bestandteilen der Kohlschen Biografie. Das ganze Bild gab es also nicht zu besichtigen. Es waren die problematischen Teile oder einige der problematischen Teile tatsächlich ausgeblendet. Hätte das nicht unbedingt mit hinein gehört, um das ganze Bild zu zeigen?

    Rutz: Ich denke, das war eine bewusste Entscheidung zu sagen, wir zeigen jetzt im Jahre 2009 den Helmut Kohl, der die deutsche Einheit gemanagt hat. Der Film nimmt zwar einen biografischen Rückgriff in seine Jugend auch hinein, die ihn ja geprägt hat in seiner Art zu denken - deswegen muss man das immer auch zeigen -, die Erziehung, diese Kriegserlebnisse, dieses Niederreißen der Grenzpfähle zwischen Deutschland und Frankreich, aber dann eben auch in diesem starken europäischen Bewusstsein, das er hatte, und dieser Überzeugung, die deutsche Einheit kommt, ist das schon, wie ich finde, auch ein biografisch zunächst abgeschlossener Teil, der im Film ja dann auch im Jahr 1990 endet.

    Klein: Er ist ja in der jüngsten Vergangenheit kaum noch in der Öffentlichkeit aufgetaucht, ein bisschen von der Bildfläche verschwunden. Welchen Stellenwert nimmt dieser Altkanzler im Augenblick in der Wahrnehmung der Deutschen ein, die ja nun ihre Kanzlerin haben, die sich seinerzeit ziemlich strikt von ihrem Ziehvater gelöst hat?

    Rutz: Zunächst mal hat sie sehr viel von ihm gelernt. Sie ist doch sehr lange in den 90er-Jahren neben ihm gewesen und hat gesehen, wie man mit Macht umgeht und wie einsam Macht machen kann, und wie man eine Partei zusammenhält. Das ist das eine. Das andere ist: Ich glaube, dass die Deutschen heute wissen um den Anteil, den Helmut Kohl an der deutschen Einheit gehabt hat, und das wurde auch in diesem Film gestern deutlich: dieser Zehn-Punkte-Plan, dieses Vorbreschen vor den Reaktionen, möglichen negativen Reaktionen von Alliierten, das hat die deutsche Einheit wesentlich befördert, wenn nicht sogar so, wie sie jetzt da ist, ermöglicht. Dieses historische Verdienst, denke ich, kann man ihm nicht nehmen und will ihm auch niemand mehr nehmen. Das hat Deutschland sehr genutzt.

    Klein: Michael Rutz, der Chefredakteur des Rheinischen Merkur. Danke Ihnen für das Gespräch.

    Rutz: Bitte sehr.