Archiv


Man nennt es Karriere

Als Barbara Schulte anfing beim Siegwerk, war sie das "Mädchen für alles", heute hat sie Gesamtprokura für ihr Unternehmen. Das klingt nach Karriere. Ist es sicherlich auch – aber die kann mit Zweifeln, Verzicht und ständiger Neuorientierung verbunden sein.

Von Aya Bach |
    Die Arbeitsbelastung ist hoch.
    Die Arbeitsbelastung ist hoch. (IMAGO / Bernd Leitner)
    "Der Sport hilft mir, die Dinge abzubauen. Früher nicht, aber seitdem ich jogge, mit meiner Nachbarin, seit 10 Jahren. Und je mehr ich das mache, merke ich, dass ich von den Gedanken loskomme, und dann ist es manchmal so, dass die Nachbarin sagt, denkst du wieder ans Siegwerk, und dann sagt sie, du wirst wieder schneller!"

    Wie viel sie im Schnitt arbeitet, hat Barbara Schulte zwar nie nachgerechnet, aber zehn Stunden am Tag, sagt sie, sind es bestimmt. Sie ist Vertriebsleiterin für den Bereich Deutschland in einer Firma, die Druckfarben für Verpackungen herstellt. Gesamtprokura für das Unternehmen hat sie auch – ein hoch verantwortungsvoller Job. Das war nicht unbedingt vorgezeichnet, als sie zum Siegwerk kam: Da war sie 16, hatte gerade mal die Höhere Handelsschule abgeschlossen und fing an als Kaufmännische Angestellte. Besonders aufregend erschien ihr das nicht: Sie musste Botengänge übernehmen und Telexe verteilen.

    "Das Schlimmste war, dass ich eine Kollegin hatte, die nur ein Jahr älter war als ich, aber sie hatte drei Monate Berufserfahrung an anderer Stelle und bekam viel anspruchsvollere Arbeiten. Da hab ich mich bei der Chefin beschwert und gesagt, ich wollte anspruchsvollere Arbeiten haben, dafür wäre ich nicht zur Schule gegangen, und das hat dann auch geklappt!"

    Trotzdem fühlte sie sich unglücklich, denn der Betrieb erschien ihr zu eingefahren. Aber sie interessierte das, was dort entsteht: Druckfarben für die Verpackung von Dingen, die jeder verwendet – für Chipstüten, Süßigkeiten und Joghurt, für Tiefkühlprodukte, Zigaretten oder Papiertaschentücher. Farben, denen Hitze und Kälte, Fett oder Wasser, Licht oder vielfaches Anfassen und Knautschen nichts anhaben.

    Probedrucke solcher Farben entstehen hier auf großen Maschinen. Diese Abläufe kennt Barbara Schulte aus dem FF. Von Anfang an war sie im Vertrieb tätig, schrieb die internen Aufträge und stellte den Kunden Farben vor, die ihre Kollegen ausgearbeitet hatten. Aber sie wollte mehr.

    "Ich hab meinerseits auch immer Druck ausgeübt, hab meine Wünsche klar adressiert, hab damit auch angeeckt, aber ich denk schon, dass ich da sehr klar den Weg gegangen bin."

    Der Weg, das hieß mehr Verantwortung und Spielraum für eigene Entscheidungen. Trotzdem dachte Barbara Schulte nach zehn, fünfzehn Jahren noch einmal über einen Wechsel nach, einfach um nicht so lange bei einem Arbeitgeber zu bleiben. Sie bewarb sich auch woanders – aber der Job gefiel ihr inzwischen so gut, dass ein neuer Arbeitgeber schon viel hätte bieten müssen. Schließlich blieb es dabei: Sie richtete ihre gesamte Energie auf die Arbeit beim Siegwerk:

    "Ich bin ein Mensch, der alles immer sehr richtig, hundertprozentig macht, und ich hätte mir nie vorstellen können, Kinder zu bekommen und die dann zu einer Tagesmutter oder zu meiner Mutter zu geben. Ich hab mich dann für den Beruf entschieden, für die Karriere, wenn Sie so wollen, und ich glaube, das ist auch gut so."

    Fast beiläufig erzählt sie, wie sie in den 80er-Jahren Handlungsvollmacht im Unternehmen erhielt und 1993 Gesamtprokura. Karrieregeil sei sie nicht, sagt sie - wichtig war ihr einfach, etwas zu tun, in dem sie sich wiederfinden konnte:

    "Man kann nicht nur Erfolge haben, man muss auch Misserfolge haben, aber man kann sich schon sehr verwirklichen in diesem Werdegang. Es ging immer weiter, es wurde nie langweilig, ist es auch heute noch nicht."

    Das klingt, als wäre es immer bergauf gegangen. Doch immer wieder gab es Zweifel, Brüche, Fragezeichen. Vor allem, als sich die Firma von einem mittelständischen in ein internationales Unternehmen verwandelte. Damit änderte sich der gesamte Arbeitsalltag: Firmensprache ist jetzt Englisch.

    "Ja, das ist schon ne Schwierigkeit, das geb ich zu, aber wir werden im Haus gefördert, es wird Englischunterricht geboten, und man muss auch mal über seinen Schatten springen, und mal versuchen zu reden oder zu schreiben, wenn es mal nicht so perfekt ist. Es ist schon anspruchsvoll, das muss ich sagen!"

    Und als Barbara Schulte gerade mal Anfang 40 war, musste sie eine Erfahrung machen, die viele in diesem Alter kalt erwischt:

    "Ich hatte schon den Eindruck, dass die 'alten' Mitarbeiter nicht mehr diesen Stellenwert haben, dass man vielleicht so'n bisschen als unflexibel angesehen wird, weil man schon so lange im Unternehmen ist, und das hat mir schon etwas Sorge bereitet. Ich glaube, das ist Mitarbeitern die auch schon lange im Unternehmen waren, dass es denen ähnlich gegangen ist. Aber es hat sich Gott sei dank nicht verstärkt, und es ist jetzt ne recht gute Mischung. Ich glaube, ich kann von mir sagen, dass ich sehr belastbar bin und nehme es auch mit einigen Jüngeren auf."

    Das Wichtigste ist ihr ohnehin die Arbeit im Team: Doch trotz des guten Verhältnisses zu den Kolleginnen und Kollegen bleibt die Belastung enorm hoch.

    "Diesen Job kann man auch nur dann machen, wenn zu Hause im Privatleben alles in Ordnung ist. Wenn Sie einen Partner haben, der dafür sehr viel Verständnis hat und der Sie unterstützt, der auch akzeptiert, dass Sie erfolgreich im Beruf sind."

    Trotzdem hat Barbara Schulte bislang noch nie über so etwas wie Vorruhestand nachgedacht. Dass sie jetzt so lange beim Siegwerk ist, kann sie selbst kaum glauben:

    "40 Jahre ist ja eine Ewigkeit, länger als ich mit meinem Mann verheiratet bin! Wenn ich jetzt höre, ich bin 40 Jahre beim Siegwerk, dann erschrecke ich, und sage, du kannst doch noch nicht so alt sein, aber das sagt vielleicht aus, wie kurzlebig mir die Zeit vorgekommen ist."