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"Man sollte versuchen, etwas Neues zu machen"

Bereits seit zehn Jahren spielen "Franz Ferdinand" im großen Rockzirkus mit. Frontman Alex Kapranos erklärt im Corsogespräch, warum kommerzieller Erfolg kein Nachteil für ein Musikgenre sein muss und welche die Inspirationsquellen für das neue Album "Right Thoughts, Right Words, Right Action" waren.

mit Dennis Kastrup | 24.08.2013
    Dennis Kastrup: Ich bin mit Indiemusik in den 90ern aufgewachsen. Das war damals der Untergrund. Jetzt habe ich die Gelegenheit, Ihnen das mitzuteilen: Ich glaube, dass Sie Indiemusik kaputtgemacht haben, weil sie mit Ihren Songs so erfolgreich waren, dass der Mainstream Indie gehört hat.

    Alex Kapranos: Da muss ich widersprechen. Ich glaube, dass Indiemusik phasenweise Mainstream war und dann auch wieder nicht. Ich würde uns außerdem niemals als Indieband bezeichnen. Wir sind eine Band auf einem Indielabel. Ich glaube auch nicht, dass wir ein Teil dieses entsetzlichen und allgemeinen Genres "Indiemusik" sind. Das gilt besonders für die Zeit nach unserem ersten Album. Das ist nicht unsere Schuld.

    Kastrup: Entschuldigung, aber dieses Gefühl habe ich nun mal seitdem ...

    Kapranos: Aber so etwas Ähnliches ist in den 90ern doch auch passiert. Für mich hat sich das nach so Bands wie den Stone Roses und den Happy Mondays verändert. Da entstand eine andere Art von Indiemusik. In Amerika geschah das mit Grunge, eben auch eine andere Indiemusik, die Mainstream wurde. Dann kam Indiemusik aus dem Britpop. In den vergangenen Jahren kamen diese Bands wieder aus Amerika, aus Brooklyn und Portland. Vielleicht ist "Indie" auch das falsche Wort. Vielleicht ist es alternative Musik, die in den Mainstream einzieht. Das passiert immer wieder.

    Kastrup: Sie haben Ihre musikalische Richtung in letzter Zeit ein wenig verändert: Ihr Post-Dance-Punk hat sich in mehr Pop verwandelt. Wie kam es dazu?

    Kapranos: Wir haben viel mehr Melodien und auch gute Rhythmen dabei. Es ist seltsam: In den vergangenen Jahren habe ich das Gefühl bekommen, dass Bands denken, sie müssten nur in die eine oder andere Richtung gehen. Beim Schreiben von melodischer Musik will man sich vom Rhythmus befreien. Das kann man bei diesem Revival von Folkmusik sehen. Es ist pure Melodie und der Rhythmus wird im Zuge dessen vernachlässigt. So etwas erkennt man auch an der Entwicklung von Electronic Dance Music in Amerika oder an elektronsicher Musik, die aus Europa oder Großbritannien kommt. Die heben überhaupt nicht die Melodie hervor. Es ist nur der Rhythmus. Wir mögen beides.

    Kastrup: Dann lassen Sie uns doch mal über eine Melodie sprechen: Bei dem Song "Fresh Strawberries" musste ich an die Beatles in den 60ern denken. Ging es Ihnen auch so?

    Kapranos: Ich bin mir sicher, das war überhaupt nicht so. Wir haben nicht versucht, solche Musik zu machen. Folgendes ist passiert: Wir hatten den Song und haben den Refrain gesungen. Beim Singen haben wir gedacht, dass dieser Teil wirklich gut als Harmonie funktionieren würde. Es war so eine Harmonie, die man nicht unbedingt sehr oft in der Musik von heute findet. Ich glaube aber nicht, dass wir da wie eine Band aus den 60ern spielen. Ich hasse es ehrlich gesagt, dass es diesen Trend unter manchen britischen Bands gibt. Die haben alle eine Idealvorstellung davon, wie es als Band in den 60ern gewesen sein muss. Ich bin da mal ehrlich: Das ist großer Schwachsinn, weil es so nicht wirklich war und man das nie wieder herstellen kann. Man sollte versuchen, etwas Neues zu machen. Wenn wir also eine Harmonie singen, dann tun wir das nicht, weil wir versuchen, die Vergangenheit wieder herzustellen, sondern weil wir etwas Neues schaffen wollen.

    Kastrup: Das wollen Bands doch immer: Sich verändern und etwas Neues machen. Bands, die Gitarren spielen, haben da aber ein Problem, weil die Möglichkeiten irgendwann ausgeschöpft sind. Stimmen Sie zu?

    Kapranos: Nein. Das stimmt nicht. Das ist absoluter Blödsinn. Das ist dasselbe, wenn man so etwas über die Synthesizer oder das Schlagzeug sagt. In dem Fall ist nicht das Instrument, sondern das Vorstellungsvermögen der spielenden Person eingeschränkt. Die Vorstellungskraft ist doch grenzenlos. Die Werkzeuge bzw. Instrumente benutzt man doch nur, um seine Ideen auszudrücken. Eine Gitarre ist ein Werkzeug wie jedes andere. Wir haben uns nun mal für dieses entschieden.

    Kastrup: Können Sie mir ein Beispiel für diese Ideen auf dem Album geben?

    Kapranos: Eine Gitarre ist ein Instrument, mit dem man Musik macht. Die Originalität entsteht nicht durch die Entscheidung für ein Instrument, sondern durch die Art und Weise, wie man schreibt und Musik macht. Für mich bedeutet das, vorher gehörte lyrische oder rhythmische Ideen, oder die Kombinationen davon, auszuprobieren. Dann kommt vielleicht so ein Cumbia-Rhythmus dazu, der dann zu unserem wird, wie zum Beispiel in dem Stück "Brief Encounters". So etwas habe ich vorher noch nicht in unserer Musik gehört. In dem Song "Goodbye Lovers And Friends" findet man dann sogar einen Baile Funk Rhythmus, den wir so spielen, wie wir das kennen.

    Wir hören aber auch, wie Leute um uns herum Gitarren spielen, und sagen dann: "Ich werde das nicht so spielen. Ich werde etwas anderes spielen!" Bei uns würde das vielleicht heißen: "Hier schreiben wir also einen Song mit Akkorden. Lasst uns die wieder total wegnehmen und nur die Melodie alleine spielen. Und jetzt spielen wir eine Melodie und dazu eine, die genau in die andere Richtung geht. Und warum schauen wir uns eigentlich unsere eigene Inspiration an? Lasst uns mal nicht die Stone Roses als Inspiration nehmen. Warum nicht Dvořák und Strawinski?" Ich will mich woanders umschauen. Nur wenn du dir Orte außerhalb deines Einflussbereichs anschaust, kannst du wirklich ein Original sein. Es geht nicht um das Instrument, das du spielst. Das wäre so, als würdest du jemanden, der für ein Orchester komponiert, sagen: "Sie können die Streicher nicht benutzen, weil das schon vor 300 Jahren gemacht wurde!" So einen Schwachsinn habe ich noch nie in meinem Leben gehört!

    Kastrup: Sie haben von kolumbianischer Cumbia-Musik als Einfluss gesprochen. Wie sind sie denn darauf gestoßen?

    Kapranos: Wir waren in Südamerika auf Tour. Ich bin in Glasgow aufgewachsen und hätte ohne die Band wahrscheinlich nie die Chance gehabt, Länder wie Peru oder Kolumbien zu sehen und so auch deren Musik kennenzulernen. Ich weiß nicht, wie ich das sonst hätte entdecken können. Es ist aber alles da draußen. Man kommt da ja leicht ran. Ich liebe es, weil es musikalisch etwas in mir ausgelöst hat. Das höre ich nicht in anderer Musik, weil Cumbia sehr langsam ist, aber gleichzeitig doch auch sehr beschwingend. Man will sich dazu bewegen. Es fühlt sich schnell an, während es langsam ist. Das finde ich toll. Die Rhythmen klangen sehr neu für mich. Das ist in Musik immer der Ursprung von Originalität: Man hört etwas aus einem anderen Zusammenhang in einem anderem Zusammenhang. Mach daraus dein eigenes Ding, auch irgendwie neben der Spur. Dann erschaffst du etwas Neues.

    Kastrup: Der Schwede Björn Yttling hat Sie als Produzent bei den Aufnahmen unterstützt. Er ist unter anderem bekannt als Mitglied der Band "Peter, Björn and John". Wie verlief der erste Kontakt?

    Kapranos: Björn hat mich gefragt, wie das Album klingen soll. Ich habe geantwortet, dass es wie Franz Ferdinand, wie die Essenz der Band klingen soll. Er meinte dann ein wenig sarkastisch: "Oh ja. Was genau meinst du? Wie Daft Punk oder die Gitarren von Dr. Feelgood?" Ich fand den Vergleich ganz gut und mochte seinen Sinn für Humor. Ich mochte bei Dr. Feelgood jetzt nicht unbedingt das R´n'B Songwriting, sondern die ganze Ausführung davon. Man hatte das Gefühl, dass die vier Mitglieder sehr fokussierte Menschen waren. Es war echt, sehr derbe und ungeschliffen. Gitarrist Wilko spielt seine Gitarre so direkt. Es dreht sich alles um das Riff. Wir werden sehr oft gefragt, wer denn die Rhythmus- und wer die Lead-Gitarre in unserer Band spielt. Keiner von uns macht das. Wir spielen rhythmische Melodien. Und ich habe das Gefühl, Wilko macht genau das auch in Dr. Feelgood. Es geht um das Riff. Es übernimmt die Führungsrolle und den Rhythmus. Es ist alles dasselbe und man kann es nicht unterscheiden.

    Kastrup: Sie haben das ehemalige Dr. Feelgood Mitglied Wilko Johnson vor Kurzem auch interviewt. Können Sie die Begegnung beschreiben?

    Kapranos: Er war für mich eine große Inspiration. Er ist zurzeit offensichtlich schwer krank. Man muss es so sagen: Er steht vor dem Ende seines Lebens. Ich habe vorher noch nie jemanden gesehen, der so auf die Situation reagiert wie er. Er hat über sein Leben gesprochen: wie er durch schwere Zeiten und dunkle Depressionen gegangen ist und was für ein Hochgefühl es war, als ihm gesagt wurde, dass er bald sterben würde. Das stand im totalen Gegensatz zu dem Gefühl, das er sein gesamtes Leben lang hatte: Verzweiflung. Als er realisiert hatte, dass seine Zeit vorbei sein würde, hat er das letzten Endes so anerkannt. Vielleicht ist das eine Lehre für uns alle.